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Über die Heilige Eucharistie I

Annecy, Juli 1597 (OEA VII,320-327; DASal 9,77-82)

Mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise (Joh 6,56)

Die Wahrheit ist in sich so schön und so köstlich, daß unser Verstand sie notwendigerweise mit Liebe und höchstem Wohlgefallen umfängt, wenn sie ihm klar und verständlich vorgestellt wird. Sie ist sein Ziel, sagen die Peripatetiker; sie ist seine Nahrung, sagen die Platoniker; sie ist seine Vollendung, sagen sie alle gemeinsam mit unseren ehrwürdigen Theologen. „Die ganze Welt ruft und verlangt nach der Wahrheit; der Himmel preist sie, alles wird durch ihre Macht in Bewegung gesetzt“, sagte der weise Serubbabel (3. Esra 4,36), der wegen dieser Sentenz als der Klügste von allen Medern und Persern galt. Wenn das von jeder Form der Wahrheit gesagt werden kann, wieviel mehr dann, ich bitte euch, meine lieben Brüder, von der Wahrheit, die von allen die erste und vortrefflichste ist, ich sage, von der christlichen Wahrheit. Im Vergleich mit ihr ist jede andere Wahrheit eher Einbildung als Wahrheit. Diese Wahrheit ist „schöner, als die berühmte Helena war“, ob deren Schönheit so viele Griechen und Trojaner ihr Leben ließen, sagt der hl. Augustinus (Epist. 40,4), denn aus Liebe zu ihr sind unvergleichlich mehr hervorragende Menschen und heilige Märtyrer gestorben. Sie ist erstrebenswerter als Gold und Topas (Ps 119,127), süßer als Zucker und Honig (Ps 19,11; 119,103), sie macht den Geist froh und die Augen leuchtend (Ps 19,9), wie David singt. Beseelt vom Wunsch, in den folgenden Predigten die Wahrheit des allerheiligsten Altarssakramentes zu beweisen, meine sehr teuren Brüder, glaube ich das nicht besser unternehmen zu können als dadurch, daß ich euch so klar und bündig die wirkliche Lehre der Kirche darlege. Diese Lehre ist so klar und so köstlich, daß euer Verstand beim ersten Anblick ihrer Schönheit sie mit unglaublicher Liebe und Freude annehmen wird, dessen bin ich sicher. An ihrer Art und ihrer Anmut wird er mit Sicherheit erkennen, daß sie eine Tochter Gottes ist, hervorgegangen aus seinem Mund, empfangen im Schoß seiner unendlichen Weisheit (Sir 24,5). Wenn ich euch aber daneben das Aussehen der gegenteiligen Unwahrheit zeige, so zweifle ich nicht im geringsten, daß deren unglaubliche Häßlichkeit euch die Schönheit der kirchlichen Lehre noch viel mehr bewundern und lieben läßt. Das ist es, kurz gesagt, was ich in dieser ersten Predigt vorhabe: die Wahrheit sehr klar darzustellen, und um sie noch deutlicher zu zeigen, ihr die Irrtümer gegenüberzustellen, die ihr widersprechen. Macht eure Augen auf, ihr Christen, seht diese Wahrheit: begehrenswerter als jede andere im Evangelium, zugleich aber so gewaltig und erhaben, daß weder ihr noch ich ihren Glanz zu ertragen vermöchten, wenn nicht Er uns beisteht, der sie geoffenbart hat. Rufen wir ihn deshalb vor allem um seinen Beistand an durch die Fürsprache seiner allerseligsten Mutter, die wir in der gewohnten Weise grüßen: Ave Maria.

Ein Leib kann nicht zur Speise werden, wenn er nicht in irgendeiner Gestalt dem gegenwärtig ist, der ihn ißt, und er kann nur in der Gestalt eine Speise sein, in der er dem gegenwärtig ist, der ihn ißt. Diese Wahrheit, glaube ich, kann niemand leugnen; denn das Essen ist ein Aneignen und eine Vereinigung der Speise mit dem, der sie zu sich nimmt, überaus innig und im strengsten Sinn, bis schließlich die Speise sich in den umwandelt, der sie ißt, oder dieser sie in sich umwandelt. Es ist daher einfach notwendig, daß ihm die Speise gegenwärtig ist, und man kann das Essen nicht anders verstehen, als daß die Speise in den eingeht, der sie ißt, und sich mit ihm vereinigt. Nun finde ich, ganz allgemein gesprochen, daß ein Leib nur in einer von drei Weisen gegenwärtig sein, zu einem anderen in Beziehung kommen oder mit ihm vereinigt werden kann: wirklich und ungeistig, geistig und unwirklich oder wirklich und geistig zugleich. Die erste Art ist wirklich, aber grob, natürlich und fleischlich; die zweite ist geistig, bildlich und weniger wirklich; die dritte ist ebenso wirklich wie die erste, ebenso geistig wie die zweite, sie ist bewundernswerter als die erste und bewundernswerter als die zweite. Erwägen wir sie eingehender und sehen wir, welche der drei Arten der Gegenwart und dem Genuß des Leibes Unseres Herrn im hochheiligen Sakrament angemessener ist.

Ich sage also zunächst, daß ein Leib einem anderen gegenwärtig sein und folglich gegessen werden kann: wirklich und ungeistig, aber auf natürliche und fleischliche Weise. Dabei gibt es keine Schwierigkeit. So ist mein Leib gegenwärtig auf dieser Kanzel, der eure auf euren Bänken. Das ist wirklich, meine Brüder, denn es ist das unserem Leib eigene Wesen und Sein, das hier ist. Aber es ist fleischlich, denn es ist verbunden mit allen natürlichen Eigenschaften unseres Fleisches, der Schwere und Stofflichkeit, der Sterblichkeit, Unansehnlichkeit und ähnlichen Merkmalen unserer Armseligkeit und der uns eigenen Natur. Das ist die gewöhnliche und natürliche Art des Gegenwärtigseins unseres Leibes und aller Körper hier auf Erden; nach dieser Art können sie auch eine Speise sein. Das geschah mit dem Leib Isebels (2Kön 9,35-37), denn die Hunde fraßen ihn wirklich, tatsächlich und fleischlich; sie zerfleischten ihn, da er hinfällig war; sie zerrten ihn hin und her, da er schwer war; sie bissen hinein, da er stofflich war; schließlich war er nicht mehr und nicht weniger als das Fleisch eines Pferdes oder eines Ochsen. So wurden die Leute, die der König von Assyrien herholte, um Samaria zu bevölkern, wirklich und fleischlich von den Löwen gefressen (2 Kön 18,25), gleicherweise von den Bären die Kinder, die Elischa verspotteten (2 Kön 2,23f). Ebenso essen die Menschenfresser unter den Indianern sich gegenseitig wirklich und tatsächlich auf, uzw. genau so fleischlich, wie sie das Fleisch von Schafen und Kälbern verzehren. Auf gleiche Weise aßen die zwei Samariterinnen (2 Kön 6,26-29), vom Hunger während der Belagerung getrieben, wirklich und fleischlich das eine ihrer Kinder; sie zerfleischten es mit starken Zähnen, füllten ihren Magen und ihren Leib mit dem Fleisch, das aus ihm hervorgegangen war. Das genügt zu diesem Punkt. Ich glaube, ihr habt mich verstanden, da ich nur von der einen Art des Gegenwärtigseins und Essens spreche, von der gewöhnlichen, natürlichen und fleischlichen.

Meine Brüder, nun muß ich euch sagen: als die Leute in Kafarnaum hörten, wie unser Erlöser in einer Rede, die er vor ihnen hielt, so oft nachdrücklich betonte, daß man sein Fleisch essen und sein Blut trinken muß, daß sein Fleisch wahrhaft eine Speise ist, daß das Brot, das er geben wird, sein Fleisch für das Leben der Welt ist (Joh 6,52-56), da glaubten sie, daß er ihnen sein Fleisch in dieser ersten Weise zu essen geben wollte, d. h. wirklich (denn seine Worte waren so eindeutig, daß sie nicht zweifeln konnten), aber fleischlich. Denn sie dachten, er wolle es ihnen tot geben, stück- und bissenweise, roh, gewöhnlich, fett, verderblich, schwer, greifbar, sichtbar; daß sie es folglich zerfleischen und kauen müßten, wie die Menschenfresser, Kannibalen und ungebildeten Wilden, die einander auffressen, wie jemand das Fleisch von Hammeln und Schafen ißt. Sehr erstaunt über diese Zumutung sagten sie zueinander: Wie kann der uns sein Fleisch zu essen geben? Und als sie sahen, daß er darauf bestand, es ihnen sogar mit seiner feierlichsten Beteuerung zu versichern, fügten sie hinzu: Diese Rede ist hart; wer kann sie hören? (Joh 6,54.61).

Sie nannten die Worte Unseres Herrn hart, d. h. herb, roh, ungehörig, grausam, weil sie dachten, Unser Herr wollte sie sein Fleisch essen und sein Blut trinken lassen, fleischlich und nach der natürlichen und gewöhnlichen Seinsweise des Fleisches und Blutes; das aber schien ihnen wahrhaftig sehr roh, barbarisch und ungehörig. Wem sträubten sich nicht die Haare vor Entsetzen und wer würde nicht erschaudern, wenn er einen menschlichen Leib essen und das Blut eines Menschen trinken müßte? Wieviel grausamer aber mußte das den Zuhörern Unseres Herrn erscheinen, da er ebenso wie sie Jude der Nation und der Religion nach war. Bei den Juden war aber das menschliche Fleisch so unantastbar, daß man selbst nach der Berührung mit einem toten Leib unrein und befleckt war. Und was das Blut betrifft, war es so verpönt, daß es nach dem Gesetz nicht einmal erlaubt war, das der Tiere zu genießen (Dtn 12,23). Was Wunder also, wenn diese armen Leute so erstaunt waren, als sie hörten, daß Unser Herr sein Fleisch und sein Blut als Speise und Trank geben wollte, da sie glaubten, er wollte das tote Fleisch und Blut in der ihm eigenen Gestalt, in der natürlichen, fleischlichen Beschaffenheit geben? Wahrhaftig ein plumper Verstand, der sehr schwerfällig arbeitet.

Der gleichen Art des groben, fleischlichen Essens wurden die ersten Christen von den gottlosen Heiden beschuldigt; ich bitte euch, meine lieben Brüder, das zu beachten. Die Urkirche, die sich über den ganzen Erdkreis ausbreitete, legte vor ihren Kindern offen Zeugnis dafür ab, daß der Leib des Gottessohnes wirklich genossen und sein Blut getrunken wird. Als die Worte, mit denen sie das erklärte, den Heiden und anderen Feinden des Erlösers zu Ohren kamen, ergriffen sie die Gelegenheit, die Christen zu verleumden und sie der Menschenfresserei zu beschuldigen. Sie behaupteten, daß sie kleine Kinder verzehrten, sie schlachteten und mit starken Zähnen zerfleischten; sie sagten, die Christen hielten bei ihrem Sakrament und Mysterium ihr Festmahl nach Art der Zyklopen mit Menschenfleisch. Tertullian sagt in seiner Apologie (c. 4): „Man bezichtigt uns des verbrecherischen Kindermordes und des anschließenden Mahles beim Sakrament.“ In der Tat bestätigt Plinius II. in dem Brief, den er an Trajan schrieb, der bei Tertullian (c. 2) wiedergegeben ist, daß man die Christen dieses Verbrechens beschuldigte. Wenn man ihn genau liest, entlastet er sie allerdings.

Diese Verleumdung bestand noch zur Zeit des Minutius Felix. Er zitiert (Dialog, c. 3) die Worte eines gewissen Caecilius, der die Christen noch in gleicher Weise beschuldigt: eine wahrhaft häßliche Beschuldigung. Aber bei diesen frühen Feinden der Kirche ist diese verkehrte Auffassung einigermaßen entschuldbar, denn unsere Kirchenväter bekannten öffentlich, daß sie den Leib des Herrn genießen, und die heiligen Schriften erklärten es so offenkundig, daß die Heiden, wenn sie entweder Christen miteinander reden hörten oder die Schriften sahen, annehmen mußten, daß die Kirche daran glaubte. Andererseits überstieg es ihr geistiges Vermögen, zum rechten Verständnis dieses wirklichen Genießens zu kommen, denn das lehrt nur der Glaube. Außerdem waren unsere Christen bei der Feier dieses Geheimnisses so abgeschlossen und versteckt, daß sie nicht einmal den Katechumenen erlaubten, es zu sehen. Da also die Heiden einfach sagen hörten, daß die Christen das Fleisch des Gottessohnes essen, da sie aber weder wußten noch erraten konnten, daß dies anders als auf fleischliche Weise geschieht, beschuldigten sie die Christen des Verbrechens der Menschenfresserei.

Wer aber kann diese Beschuldigung für entschuldbar halten in unserer Zeit, in der die Unverschämtheit so weit zu gehen wagt, daß sie die gleiche Verleumdung wieder aufgreift, um die Katholiken zu beschimpfen? Und wer waren diese Unverschämten, sagt ihr mir. Meine Lieben, das sind Getaufte, erzogen und unterwiesen in der Kirche Gottes, die tausendmal der Feier der heiligen Eucharistie beigewohnt, die hundertmal an ihr teilgenommen haben. Nach all dem haben sie sich von der heiligen Gemeinschaft der Gläubigen getrennt, um eigene Sekten zu gründen. Und nun lassen sie uns nicht einmal die Beweise gegen diese Verleumdung ebenso eindeutig vorbringen, wie sie ganz und gar unwissend über unseren Glauben sind. Wie oft warfen sie uns vor, wenn wir wirklich den Leib Unseres Herrn genießen, dann müßten wir ihn zerfleischen, kauen und abnagen; und von daher griffen sie zu so unverschämten und ausgefallenen Argumenten, daß es schlimmer nicht sein könnte. Hat es denn jemals in der Irrlehre eine anmaßendere Unverschämtheit gegeben als diese?

Nun, das alles ist nichts anderes als eine Verleumdung, das wißt ihr sehr wohl, meine sehr teuren Brüder. Nein, das hat Unser Herr niemals gemeint oder gesagt, daß man sein Fleisch auf fleischliche, grobe Art essen soll, wie man totes, verderbliches Fleisch ißt. Die Leute in Kafarnaum, die es so auffaßten, waren arme Menschen, die die Worte des Herrn nicht recht bedachten, die nie in diesem Sinn ausgelegt werden können. Hört doch Unseren Herrn; er sagt: Mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise, aber auch: Wer mein Fleisch ißt, hat das ewige Leben. Wenn er nichts gesagt hätte als das, dann hätte die Auslegung der Leute von Kafarnaum eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich, weil er nur einfach von Fleisch gesprochen hätte. Aber hat er nicht seine Absicht hinreichend zum Ausdruck gebracht, als er in der gleichen Rede sagte: Ich bin das lebendige Brot, der ich vom Himmel herabgestiegen bin? Seht ihr nicht, daß er nicht von einer toten Speise spricht, sondern von einer lebendigen? Sie wäre aber nicht lebendig, wenn sie zerfleischt, gebrochen und in Stücke zerrissen würde. Wer mich ißt, sagte er, wird durch meine Liebe leben. Er will also nicht sein totes Fleisch und nicht nur dieses geben, sondern er will sich selbst ganz schenken. Er gäbe aber nicht sich selbst ganz, wenn er nur sein totes Fleisch anböte.

Vor allem aber hat Unser Herr in beredter Weise diese grobe und ganz fleischliche Auffassung zurückgewiesen durch die Worte: Spiritus est qui vivificat, caro non prodest quidquam; verba quae locutus sum vobis, spiritus et vita sunt. Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch ist zu nichts nütze. Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und Leben (Joh 6,64) Heilige Worte, göttliche Worte, überaus erhabene Worte, die geeignet sind, dieser schwerfälligen und groben Auffassung den Boden zu entziehen, daß der Leib Unseres Herrn fleischlich genossen werde; dies durch zwei schöne Gedanken, die unsere Kirchenväter aus diesen Worten sehr weise herausgelesen und abgeleitet haben. „Wie also“, sagt der hl. Chrysostomus (Hom. 47 in Joh, § 2), „ist das Fleisch zu nichts nütze? Spricht er nicht von seinem eigenen Fleisch? Das geht niemals an, sondern er spricht von Menschen, die es fleischlich verstehen.“ Und der hl. Cyprian sagt (De Coena): „In diesem Sinn nützen das Fleisch und das Blut zu nichts, noch vermag der fleischliche Sinn zu einer Auffassung von solcher Tiefe vorzudringen, wenn nicht der Glaube zu Hilfe kommt; nec carnalis sensus ad intellectum tantae profunditatis penetrat nisi fides accedat.“*


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