„Das Leben ist mehr als Essen und Trinken“ (Mt 14,13-21)
Liebe Schwestern und Brüder,
Schriftsteller und Dichter waren immer diejenigen, die am besten die Fragestellungen, die Stimmungen und das Lebensgefühl einer Epoche artikulieren konnten. Deshalb will ich meine Predigt mit zwei Texten zeitgenössischer Schriftsteller beginnen.
Der Erste stammt vom Göttinger Dichter Rudolf Otto Wiemer, geboren 1905 in Thüringen. Unter der doppelsinnigen Überschrift „Zeitsätze“ schreibt Wiemer:
Als wir sechs waren, hatten wir Masern, als wir vierzehn waren, hatten wir Krieg, als wir zwanzig waren, hatten wir Liebeskummer, als wir dreißig waren, hatten wir Kinder. Als wir dreiunddreißig waren, hatten wir Adolf. Als wir vierzig waren, hatten wir Feindflüge, als wir fünfundvierzig waren, hatten wir Schutt. Als wir achtundvierzig waren, hatten wir Kopfgeld. Als wir fünfzig waren, hatten wir Wohlstand. Als wir sechzig waren, hatten wir Gallensteine. Als wir siebzig waren hatten wir gelebt.
Ein Gedicht, das unter die Haut geht; Worte, die aufhorchen lassen; Sätze, die uns zu einer Bilanz unseres eigenen Lebens provozieren. Immer „hatten wir etwas“; nur am Ende, da hat-ten wir nichts mehr, denn da „hatten wir gelebt“. Das hier aufgelistete Leben kommt mir vor wie eine Aneinanderreihung von Elend, Schicksal und Banalitäten. Und ich muss mich un-willkürlich fragen: Ist dein Leben auch so ein mehrgängiges Menü von Elend, Schicksal und Banalitäten – vielleicht noch etwas erweitert: Wir hatten Geld, wir hatten Spaß, wir hatten Freizeit und Urlaub?
Dieses Geicht bohrt aber weiter: Was haben wir, wenn wir alles hatten, wirklich gehabt? Was fehlt denn noch immer, wenn wir alles hatten? Oder: Was macht ein Leben letztlich wertvoll, wofür lohnt es sich zu leben? Oder noch einmal anders: Was kann unseren Lebenshunger und unseren Lebensdurst wirklich stillen?
Für die evangelische Theologin Dorothee Sölle liegt die Tragik unserer Zeit darin, dass viele sich mit der Befriedigung ihrer Bedürfnisse zufriedengeben, dass viele von materiellen Gütern allein ein erfülltes Leben erwarten. Die Konsequenz einer solchen einseitigen Orientierung hat sie in einem Schlagwort formuliert: „Der Tod am Brot allein“.
„Der Mensch“ – schreib sie – „lebt nicht vom Brot allein, er stirbt sogar am Brot allein einen allgegenwärtigen, schrecklichen Tod, den Tod am Brot allein, den Tod der Verstümmelung, den Tod des Erstickens, den Tod aller Beziehungen. Den Tod, bei dem wir noch eine Weile weiter vegetieren können, weil die Maschine noch läuft, den furchtbaren Tod der Beziehungs-losigkeit: Wir atmen noch, konsumieren weiter, wir scheiden aus, wir erledigen, wir produzie-ren, wir reden noch vor uns hin und leben doch nicht.“
Nicht nach dem Sinn und dem Ziel unseres Lebens fragen; nicht mehr hungern und dürsten nach Gerechtigkeit; an der Oberfläche bleiben und nicht zu den eigentlichen Lebens-Mitteln vordringen; geistige und religiöse Impulse unterdrücken; Zeit und Geld für Dinge opfern, die doch keine innere Zufriedenheit schenken können; Mitmenschlichkeit und Solidarität ver-kümmern lassen – das alles führt zum Tod am Brot allein.
Zur Zeit haben wir Urlaubszeit, Die Schulferien haben begonnen, an der Uni haben die Se-mesterferien angefangen und viele machen jetzt Urlaub in Balkonien oder fahren weg in fremde Länder oder in eine schöne Gegend im eigenen Land. Von vielen hört man in diesen Tagen den Satz: „Jetzt bin ich aber wirklich urlaubsreif!“ Die meisten von uns sind urlaubs-reif. Sie wollen abschalten vom Alltag, vom Berufsleben, um sich an Leib und Seele zu erho-len. Manche suchen ruhige Orte auf, zum Wandern und Verweilen, sie bevorzugen die Berge oder Routen, die abseits der großen Tourismusströme liegen. Andere wollen im Urlaub etwas erleben, sie suchen das Abenteuer und die sportliche Herausforderung. Dann gibt es aber auch jene, die dem typischen Urlaubstourismus unserer Tage verfallen sind: Spanien und Italien, Griechenland und Türkei, Indonesien und Afrika. Und ich frage mich: Sind diese Menschen denn auch wirklich dort? Umgeben sie sich nicht im Urlaubsland mit all jenen Dingen, die sie auch zuhause haben: Sauerkraut und Kassler, Bier aus heimischen Brauereien, SAT-TV und Internet, - nicht zu vergessen die BILD und die FAZ, den SPIEGEL und den STERN? Am Strand wird mit Landsleuten Skat gespielt und mit dem Handy hält man Kontakt zu seinen Freunden in der Heimat. Sind diese Touristen denn wirklich weg, oder umgeben sie sich nur vor fremder Kulisse mit vertrauten Gewohnheiten von daheim?
Vor kurzem sah ich auf einem Parkplatz ein elegantes Wohnmobil mit TV-Antenne, Surfbrett, Mountainbikes. Doch damit noch nicht genug: Auf einem Hänger stand noch ein Kleinauto, ein Smart, - für den Nahverkehr sozusagen. Nicht dass ich diese „Ferienausstattung“ den Ur-laubern nicht gönnen würde! Doch die Verwunderung drängt sich auf: Was brauchen wir Menschen nicht alles, um für zwei, drei Wochen entspannen zu können! Da lobe ich mir den Bergwanderer, der mit einem kleinen Rucksack auskommt.
Vor diesem Hintergrund tauchen dann Fragen auf! Wovon leben wir? Was macht unser Leben aus? Wonach hungern und dürsten wir wirklich? Was brauchen wir im Leben? - Unser Le-ben, unsere Welt, unser Alltag – sie sind geprägt vom Nützlichkeitsdenken! Was kommt dabei heraus? Was habe ich davon? Lohnt sich der Einsatz? Welche Leistung erbringt der Arbeit-nehmer?
Im heutigen Evangelium geht es um mehr als um die Sättigung der Mägen. Brot steht für: Liebe, Anerkennung, Gemeinschaft und Frieden. Das macht auch die Geschichte deutlich, die wir eben gehört haben. (Hinweis: Heriburg Laarmann, Freude am Glauben, Grünewald-Verlag, Mainz 1981, Seite 119ff.) Es gibt Dinge im Leben – und darauf will Jesus hinweisen –, die kann man mit Geld nicht bezahlen. Ja, die wesentlichen Dinge sind ohne Geld zu be-kommen. Einer hat in diesem Zusammenhang einmal gesagt: „Nicht alles bekommt man für Geld. Die Schale lässt sich kaufen, aber nicht der Kern!“ Das Leben ist mehr als man verdie-nen und bezahlen kann. Aller Kaufkraft zum Trotz leben wir letztlich von dem, was wir nicht kaufen können, vom Unbezahlbaren.
Wer teilt, so Jesu Intention, wer sein Herz öffnet, wer von sich etwas hergibt, wer sich selbst einbringt, der kommt nicht zu kurz, sondern vermehrt sogar das Leben!!!! Ich denke da an Menschen, die sich ehrenamtlich einsetzen. Sie fragen nicht, was kommt dabei herum? Was springt für mich dabei heraus? Nein, sie teilen ihre Zeit, ihre Gaben, damit andere leben kön-nen, damit es anderen gut geht.
Ich kann selber kein Italienisch, aber ich habe mir sagen lassen, dass es im Italienischen eine sehr schöne, sinnreiche Redewendung gibt. Wenn ein Mensch voll Liebe und Güte ist, dann sagt man von ihm, frei übersetzt,: „Er ist gut wie Brot!“ Wie geht das, Brot für Andere wer-den? Dem Ehepartner, dem Arbeitskollegen, einem kranken Menschen, einem Menschen im Altenheim etwas geben, wovon er leben kann? – Es gab einen, der für uns alle Brot wurde. „Seht, das ist mein leib, für euch gebrochen!... Wer von diesem Brot isst, wird leben in Ewig-keit!“ (vgl. 1 Kor 11,24; JOh 6,58). Er ist Brot geworden für uns, weil er die Sünder nicht abwies und die Kranken nicht ihrem Schicksal überließ, weil er die Trauernden tröstete und die Gebeugten aufrichtete, weil er die Menschen liebte und sich brechen ließ für sie.
In der Kirche der Brotvermehrung in Tabgha am See Gennesaret befindet sich vor dem Altar ein Fußbodenmosaik aus dem 5. Jahrhundert. Es zeigt zwischen zwei Fischen einen Korb, in dem vier Brote liegen, jeweils mit einem Kreuz bezeichnet. Das fünfte Brot liegt auf dem Al-tar – bis heute. Jetzt in der Stunde der Eucharistie wird ER für uns zum Brot des Lebens, da-mit wir lebendiges Brot werden können für andere. Amen.
P. Hans-Werner Günther OSFS
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