"Sei, wie du bist" (Lk 5,1-11)
Ich will Ihnen etwas sagen, aber behalten Sie es gut: Wir bemühen uns manchmal so sehr, gute Engel zu werden, dass wir es unterlassen, gute Männer und Frauen zu sein. Unsere Unvollkommenheit muss uns bis zum Grabe begleiten. Wir können nicht gehen, ohne die Erde zu berühren; wir dürfen uns nicht auf die Erde hinlegen oder uns dort wälzen, aber wir dürfen auch nicht ans Fliegen denken; denn wir sind erst kleine Kücken, die noch keine Flügel haben. Gehen wir hübsch auf dem Lande, da die hohe See uns Schwindel im Kopf und Übelkeit verursacht. Bleiben wir ganz ruhig in der Gegenwart Gottes; üben wir gewisse, unserer eigenen Kleinheit entsprechende kleine Tugenden. Lassen wir uns nicht in Dinge ein, die über unser Vermögen gehen. Diese kleinen Tugenden werden mehr im Herabsteigen als im Emporsteigen geübt und sind daher der Kraft unserer Beine angepasst: Geduld haben, den Nächsten ertragen, Hilfsbereitschaft, Demut, ein freundlicher Mut, Liebenswürdigkeit, Duldsamkeit unserer eigenen Unvollkommenheit gegenüber, solche kleine Tugenden also. Ich sage damit nicht, dass man im Gebet nicht emporsteigen soll, aber Schritt für Schritt. Franz von Sales (DASal 6,40-41)
Liebe Schwestern und Brüder,
was ist einer der fundamentalen Unterschiede zwischen Gott und den Menschen?
Der Mensch lässt sich sehr stark von Äußerlichkeiten beeinflussen, Gott nicht. Weder Figur, Auftreten, Schminke, Prunk oder Macht beeindrucken ihn, was beim Menschen sehr wohl sehr viel zählt. Ein gut inszenierter Auftritt beim Vorstellungsgespräch, umrahmt von äußerem Schick und Styling, mit der effektvollen Wortwahl, die die eigenen Vorzüge herausstreicht, kommt besser an als das Alltagsoutfit der normalen Persönlichkeit, die eben auch Schattenseiten, Fehler und Schwächen aufzuweisen hat. In unserer Gesellschaft zählt eigentlich nur noch das Beste, das Schöne, das Reiche und Mächtige. Unsere Werbungen fordern uns ständig dazu auf, vor allem jene Masken zu tragen, die unsere Mängel erfolgreich vertuschen. Dummerweise wird dadurch eigentlich nur Unglück produziert. Hinter dieser Maske lebt ein ständig überforderter Mensch, der pausenlos damit zurecht kommen muss, dass er nicht so sein darf, wie er ist. Dass er immer besser, jünger, hübscher, stärker, intelligenter, robuster, reicher sein soll, als es der Wahrheit entspricht.
Gott denkt da – Gott sei dank - anders. Vor ihm nützen die Masken nichts, auch wenn ich sie mir gerne auch vor ihm überstülpen würde, denn er sieht auf das Herz, direkt in die Mitte hinein, in unser Wesen, wo wir blank daliegen, völlig geoutet von allen Übeln, die unser ich begleiten. Wir schreien auf – wie Petrus im heutigen Evangelium: Geh weg von mir, ich bin ein Sünder ... und dann die große Überraschung. Gott, Jesus antwortet: Dich, du Sünder, so wie du bist, brauche ich. Du, mit deinen vielen Schwächen, ja, genau du, du sollst von nun an Menschen fischen.
Ein solches Verhalten Gottes tut ziemlich gut und wir sollten es auch schon aus Gründen unserer seelischen Gesundheit wegen immer wieder meditieren und bewusst machen: Vor Gott darf ich so sein wie ich bin. Und er braucht mich so wie ich bin – vor ihm brauche ich keine Masken zu tragen, ja es hätte gar keinen Sinn, denn ihn können wir nicht täuschen.
„Es ist das Übel aller Übel“, sagt Franz von Sales, dass wir Menschen ständig das sein wollen, was wir nicht sind und das nicht sein wollen, was wir sind. Er rät uns daher: "Seien wir, was wir sind, und seien wir es gut." In der heutigen Lesung haben wir gehört, wie er eine Frau inständig darum bittet, ja nicht den Fehler zu machen, anders sein zu wollen als jener Mensch, der auch viele Unvollkommenheiten zu ertragen hat. Wir sind eben nicht vollkommen, und wenn wir nach außen hin so tun, dann ist das eben nur eine Maske, die wir uns aufsetzen und hilft letztlich niemandem, weder mir, dessen Energien sich plötzlich nur noch darauf konzentrieren, diesen falschen, übertünchten Maskenglanz zu erhalten, noch den anderen, die irgendwann mit der Enttäuschung klarkommen müssen, dass sie in mir etwas anderes gesehen haben, als ich in Wahrheit bin.
Ich wundere mich selbst immer wieder, welch bunten Haufen sich Jesus da für seine Jüngerschar zusammengerufen hat. Mensch, Jesus, du hättest dir doch viel bessere, intelligentere, reichere, coolere Typen wählen können. Er nahm sie nicht, er holte sich den Petrus und den Thomas und den Judas und den Paulus und die Maria Magdalena. die Marta und Maria, alles Alltagsmenschen, wie du und ich, mit allen Fehlern und Schwächen, aber auch Stärken und Fähigkeiten ... und wie gesagt: Jesu Botschaft, die seine Jünger zu verbreiten hatten, lebt heute noch. Und heute sind wir dran ... und ich denke, wir schaffen das, wenn wir nur darauf acht geben, dass wir unser Christsein ohne Maskerade unter die Menschen bringen. Überall dort, wo Kirche Masken aufsetzt, wird sie scheitern, da schützt einem nicht einmal die Priesterweihe davor. Denn es gilt: Wozu Gott uns tatsächlich braucht, wissen wir nicht mit Sicherheit zu sagen, aber eines wissen wir schon: Dass er uns braucht, und zwar so wie wir sind, und zwar jeden von uns und jeden Tag neu. Amen.
Herbert Winklehner OSFS
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