Liebe Schwestern und Brüder,
in der Religionsstunde bekamen die Schüler einmal folgende Aufgabe: „Es ist 7 Uhr früh, ich wache auf und stelle fest, dass ich einen Heiligenschein habe. Was mache ich jetzt?“ Und einer der Schüler schrieb: „Ich gehe zu meiner Mutter und sie staunt. Sie sagt: „Was hast du denn da gemacht“ „Nichts“, sage ich, „ich habe es über die Nacht einfach bekommen.“ „Kannst Du das abnehmen?“ fragt meine Mutter. „Nein, kann ich nicht!“ sage ich. „Das ist ja schrecklich!“ sagt sie und ich wünsche mir, keinen Heiligenschein zu haben. Auf einmal verschwindet er.“
Es gibt in der Sprache der Christen Wörter, die heute etwas unmodern geworden sind. Eines dieser Wörter ist sicherlich der Begriff „heilig“. Der Imageverlust dieses Wortes ist erklärbar durch die falschen Inhalte, die diesem Wort „heilig“ verpasst wurden.
Woran denken wir denn, wenn wir diese Wort hören? An Heiligenschein, Scheinheiligkeit, Frömmelei oder Weltfremdheit, an einen Schwebezustand zwischen Himmel und Erde. Und wir denken an die Super-Christen, an die Heiligen, die uns gezeigt haben, wie Christsein gelebt wird. Wir ziehen dann im Angesicht dieser Spitzenleistungen den Kopf ein und sagen: Das schaff ich nie im Leben. Heilig sein bedeutet heute entweder dieses weltfremde Frömmigkeitsgetue oder das unerreichbare Idealbild christlicher Lebensgestaltung, an das wir Durchschnittschristen doch nie herankommen.
Und trotzdem sagt der bekannte Pastoraltheologe Michael Zulehner: „Die Kirche des nächsten Jahrtausends wird eine Kirche der Heiligen sein, oder sie wird nicht mehr sein.“ Wenn die Kirche nicht schleunigst eine Kirche der Heiligen wird, dann wird die Kirche bald zu existieren aufhören. In dieser Aussage spüren wir sofort, dass da etwas anderes unter „heilig“ verstanden sein muss. Es kann nicht sein, dass die Kirche eine Kirche von weltfremden Frömmigkeitsfanatikern werden soll, aber auch keine Kirche von Super-Christen. Die wahre Bedeutung dieses Begriffes „heilig“ erkennen wir, wenn wir auf die Wurzeln des Christentums zurückschauen. In der Urkirche war dieser Begriff „heilig“ ein Name für alle Christen. Paulus adressiert seine Briefe an die Heiligen von Korinth oder Rom. Jeder Christ wird dort Heiliger genannt, obwohl Paulus fast im selben Atemzug über Mißstände klagt, die in den jungen Gemeinden der Heiligen aufgetreten sind. Diese Heiligen damals waren also weder Superchristen noch weltfremd. Aber was zeichnet diese Menschen aus und unterschied sie von allen anderen? Sie bekannten sich zu Jesus Christus, zu seinem Tod und zu seiner Auferstehung. Und dieser Jesus Christus hat sie damals und uns heute erlöst und daher sind die damals und wir heute, wenn wir uns zu Jesus Christus bekennen, Heilige, weil uns Jesus Christus durch sein Kreuz und seine Auferstehung dazu gemacht hat. Wir haben für unsere Heiligkeit nichts beigetragen. Sie wurde uns von Christus geschenkt. Dieses Geschenk verpflichtet uns jedoch dazu, wie Heilige zu leben, nämlich so, wie Christus es uns vorgelebt hat. Weil wir Heilige sind, müssen wir uns auch so verhalten wie Heilige, haben wir die lebenslange Aufgabe Heilige zu werden. Wie geht das aber jetzt?
Doch wieder nur mit christlichen Spitzenleistungen? Die selbe Frage stellten sich vor 400 Jahren auch die Christen in Frankreich. Und sie kamen damals zum Ergebnis: Heilig werden kann man nur, wenn man ins Kloster geht, denn nur dort kann ich jene Vorschriften und Gebote erfüllen, die uns von Gott aufgegeben sind. In der Welt werde ich davon zu sehr abgelenkt. Damals lebte aber Gott sei Dank ein Heiliger, nämlich Franz von Sales, der mit diesem Irrtum aufräumte. Er sagte: Jeder Mensch, ob innerhalb oder außerhalb der Klostermauern, kann heilig werden, denn die Voraussetzungen für die Heiligkeit sind nicht irgendwelche Außergewöhnlichen Taten, sondern wir müssen nur an jenem Platz, an dem wir stehen, das tun, wozu wir berufen sind, unseren Beruf ausüben. Was von uns gefordert wird, sind keine Spitzenleistungen, sondern wir sollen das Normale gewissenhaft tun. Dann werden wir am Arbeitsplatz, in unseren Familien, unter den Freunden zu Heiligen, die mit beiden Beinen im Leben stehen und an denen erkennbar wird, dass das Leben lebenswert ist, weil Gott es mit uns lebt. Und als solche Heilige werden wir zu Menschen, die eine Anziehungskraft haben, zu denen andere Menschen sagen werden: „Ich möchte mit dir gehen, denn ich spüre, Gott ist bei dir.“
Genau das meint dieser Satz: „Die Kirche wird eine Kirche der Heiligen sein, oder sie wird nicht mehr sein.“ Es wird keine Taufscheinchristen mehr geben, sondern nur noch Heilige, die sich ihres Geschenkes der Erlösung durch Jesus Christus bewusst sind, und als solche erlöste Menschen an ihrem Ort, wo sie leben, ihr Christ sein, ihr heilig sein, verwirklichen.
Zum Schluss möchte ich noch eine zweite Antwort eines Schülers vorlesen, die ein bisschen anders ausgefallen ist: „Was mache ich wenn ich einen Heiligenschein habe? Ich steh einmal auf und gehe ins Bad. Ich wasche mich und schau, dass mich niemand sieht. Aber dann kommt meine Mutter und sagt: „Was ist denn das?“ Ich sage: „Ich weiß es auch nicht!“ Dann gehen wir zum Papa und er sagt: „Du bist ja ein Heiliger! Das wollte ich ja auch immer werden. Aber wieso ist das bei dir so schnell gegangen?“ Darauf ich: „Vielleicht, weil ich mich bemüht habe?“ Das heutige Fest Allerheiligen ist unser Fest. Es erinnert uns, dass wir Heilige sind, die die Aufgabe haben, heilig zu sein. Amen.
Herbert Winklehner OSFS
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