die Tugend, die dem Leben nützt
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Von Johann Wolfgang von Goethe stammt das Wort: „Undank ist immer eine Art Schwäche. Ich habe nie gehört, dass tüchtige Menschen undankbar wären.“ Die Tugend Dankbarkeit wächst mit meinen Stärken und Fähigkeiten, weil ich mir bewusst werde, dass ich all meine Erfolge auch der Mithilfe anderer verdanke, letztlich natürlich der Mithilfe Gottes.
Besonders deutlich zeigt uns dies das Zentrum des christlichen Glaubens: das Sakrament der Eucharistie. Das Wort „Eucharistie“ heißt übersetzt nichts anderes als „Dankeschön“. Im Mittelpunkt des christlichen Glaubens steht also das Wort „Danke“, der Dank an Gott für all das Gute, das er den Menschen erwiesen hat, beginnend von seiner Schöpfung bis hin zu seinem Erlösungswerk durch Jesus Christus. Damit steht auch die Tugend der Dankbarkeit im Zentrum unseres Glaubens. Vom Verständnis der Eucharistie her gedacht, kann also gesagt werden: Der Christ ist ein zutiefst dankbarer Mensch.
Dass die Tugend der Dankbarkeit nicht immer so selbstverständlich geübt wurde und wird, musste schon Jesus erfahren. Berühmt ist die Geschichte von den zehn Aussätzigen, die zu ihm kamen, um Heilung baten und tatsächlich geheilt wurden. Alle gingen sie voller Freude weg, aber nur ein einziger von ihnen machte kehrt, um sich bei Jesus zu bedanken. Und Jesus ruft aus: „Es sind doch alle zehn rein geworden. Wo sind die übrigen neun? Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden?“ (Lk 17,11-19). Nur 10% der Geheilten fanden es wert, Danke zu sagen. 90% blieben diesen Dank einfach schuldig.
Diese Erfahrung des mehrheitlichen Undankes scheint sich durch die gesamte Geschichte Gottes mit seinem Volk zu ziehen. Gott rettet, das Volk nimmt diese Rettung wie selbstverständlich an und kurze Zeit später beginnt es zu murren. Anstatt sich der großen Taten Gottes zu erinnern, erweist es sich als undankbares Volk. Wenn es plötzlich nicht mehr so läuft, wie es sich der Mensch vorstellt, wird gegen Gott gewettert und geschimpft, anstatt sich dankbar für all das Gute zu zeigen, das Gott den Menschen bereits in überreichem Maße erwiesen hat.
Ein Musterbeispiel dieses Missverhältnisses von Gottes Großtaten und dem Undank der Menschen findet sich im Psalm 106. Der Psalm beginnt mit den Worten: „Danket dem Herrn; denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig.“ Dann berichtet er von Gottes großer Hilfe, die er den Menschen immer wieder zukommen ließ, obwohl die Menschen ständig in Undank verfielen. Zum Schluss werden die Menschen aufgefordert, Gottes Größe dankbar zu preisen: „Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels, vom Anfang bis ans Ende der Zeiten. Alles Volk soll sprechen: Amen. Halleluja!“
Dieses „Gepriesen sei der Herr“ oder „Gelobt sei der Name des Herrn“ zu allen Zeiten ist für den Kirchenlehrer Franz von Sales das „Lebenslied der Dankbarkeit“. Ein Vorbild dafür stellt für ihn Ijob dar, der dieses „Lebenslied der Dankbarkeit“ sowohl in Freude als auch im Leid gesungen hat. Wörtlich schreibt Franz von Sales:
„Eine einzige Melodie durchzieht sein Lebenslied: ‚Gelobt sei der Name des Herrn!’ (Ijob 1,21). Das ist das Liebeslied seiner Dankbarkeit, da Gott seinen Besitz vermehrt, ihm viele Kinder schenkt, ihm alles gibt, was eines Menschen Herz nur wünschen kann. Das ist das Liebeslied seiner Klage in äußerster Bitternis: ‚ Gelobt sei der Name des Herrn!’ Er singt es in seinen Leiden wie in seinen Freuden.“ (DASal 2,107)
Ijob ist ein Vorbild der Tugend Dankbarkeit, weil er Gott mit den gleichen Worten besingt, egal ob es ihm gut geht oder schlecht, weil in ihm die Gewissheit lebt, dass Gottes Güte letzten Endes übergroß ist, auch dann, wenn er es jetzt gerade nicht spüren kann.
Das Gegenteil des dankbaren Menschen ist der Egoist, der in seinem Stolz davon überzeugt ist, niemandem etwas schuldig zu sein, sondern alles Gute, das er bekommt, auch verdient zu haben. Diese Menschen sieht Franz von Sales von der „gefährlichen Krankheit“ der Undankbarkeit befallen:
„Es gibt Menschen“, so sagt er in einer Predigt, „die undankbar sind für die Gnaden und Gunsterweise, die sie empfangen haben. Dieser Undank hat seinen Sitz manchmal im Verstand; er bewirkt, dass sie die Verpflichtung gegen jene nicht sehen, die ihnen Gutes tun. … Solche Leute sind sehr stolz und von einer gefährlichen Krankheit befallen. … Was man auch für sie tut, sie glauben, das sei man ihnen schuldig, und sie denken nicht daran, dass man ihnen nichts umsonst geben kann. Wenn sie irgendeine Gnade empfangen, glauben sie diese durch irgendeinen besonderen Dienst verdient zu haben. Gott, welche schreckliche Untugend ist doch diese Undankbarkeit!“ (DASal 9,361)
Das Besondere an der Tugend der Dankbarkeit ist, dass sie niemand anderem mehr von Nutzen ist, als dem Dankenden selbst. Das gilt vor allem in Bezug auf Gott. Die Größe Gottes kann mein Dank und Lobpreis nicht vergrößern, aber ich selbst erkenne in meiner Dankbarkeit meinen eigenen Wert umso besser. In einer Präfation der Heiligen Messe heißt es daher auch: „Du bedarfst nicht unseres Lobes, es ist ein Geschenk deiner Gnade, dass wir dir danken. Unser Lobpreis kann deine Größe nicht mehren, doch uns bringt er Segen und Heil durch unseren Herrn Jesus Christus.“
Dementsprechend sagt auch Franz von Sales: „Glücklich werden jene sein, die den Namen [Gottes] fromm aussprechen und mit einem Gefühl tiefer Dankbarkeit dafür, dass der Erlöser uns losgekauft hat durch sein Blut und sein Leiden; denn jene, die ihn zu diesem Zeitpunkt recht aussprechen, werden gerettet sein.“ (DASal 9,426)
Es geht also um unsere eigene Rettung, wenn wir die Tugend der Dankbarkeit üben. Der dankbare Mensch überschätzt sich nicht, nicht gegenüber Gott und auch nicht gegenüber den anderen, sondern er erkennt mit Dankbarkeit an, dass er seine Fähigkeiten zu einem bestimmten Teil anderen verdankt, vor allem natürlich Gott, der der Urheber alles Guten ist.
Die Schlussfolgerung, die Franz von Sales daraus zieht, ist eine einfache Übung der Dankbarkeit, die wir uns angewöhnen sollten. Am Ende eines jeden Tages sollten wir im Abendgebet Gott zuallererst Danke sagen. Franz von Sales ist davon überzeugt, dass jeder Tag etwas bereithält, für das ich dankbar sein kann. Und sollte mir tatsächlich einmal wirklich nichts einfallen, so gibt es wenigstens dies: „Danke Gott, dass er dich diesen Tag erhalten hat“ (DASal 1,83). Damit erzeuge ich in mir eine positive Grundstimmung, die mich am Ende eines Tages mit einem guten Gefühl einschlafen lässt, wenigstens mit dem Gefühl, dass ich trotz allem in Gott geborgen und behütet bin. Die Tugend der Dankbarkeit hilft mir also, gut zu leben, denn so meint die Schriftstellerin und Psychotherapeutin Christa Meves: „Alle Kultur beginnt mit der Dankbarkeit.“
Herbert Winklehner OSFS