die Tugend der Leichtigkeit des Seins
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Dass Einfachheit eine Tugend ist, mag erstaunen. Um einfach zu sein, braucht es doch keiner besonderen Fähigkeiten. Außerdem hat dieses Wort leicht den Geruch der Einfältigkeit an sich. Der Einfache besitzt scheinbar wenig Intelligenz, wenig Kreatives und wenig Fantasie. Dennoch ist die Einfachheit eine Tugend. Der heilige Kirchenlehrer Franz von Sales liebte sie und empfahl sie den Menschen mit Nachdruck. Für ihn ist diese Tugend sogar vielen anderen Tugenden vorzuziehen. Ein kompliziertes Wesen, Schlauheit und Doppelzüngigkeit lehnte der Heilige ab. Der Einfachheit, Geradheit und Schlichtheit gehörte seine ganze Liebe, weil er davon überzeugt war, dass dies der beste Weg ist, um zur Vollkommenheit zu gelangen.
„Es ist einfach, obwohl es kompliziert ist. Es ist leicht, aber das ist schwer.“ So singt der österreichische Liedermacher Georg Danzer in seinem Lied „Es ist leicht ...“ (erschienen 2004 auf der CD „persönlich“). Er spricht darin die besondere „Fähigkeit“ des Menschen an, alles zu verkomplizieren, obwohl eigentlich alles ganz einfach wäre, was es wiederum sehr schwer macht und so weiter ... Dem Menschen scheint das Komplizierte zu gefallen, genauso wie das Gekünstelte, Gezierte, Übertriebene, Verwirrende, Verschlungene, Doppelzüngige. Gerade das aber macht es so schwierig, einfach zu leben. „Warum einfach, wenn es kompliziert auch gehen muss,“ lautet ein Sprichwort.
Im Zusammenhang mit der Frage, wie ein Mensch am besten den Weg zu Gott findet, bringt Franz von Sales ein Beispiel, das die Tugend der Einfachheit und besonders ihren einzigartigen Wert sehr gut beschreibt:
„Die Vollkommenheit unserer Seele“ so der Heilige, „besteht in der Vereinigung mit Gott, die wir nicht erreichen mit Viel-Wissen, wohl aber mit Viel-Tun. Gehen wir daher mit recht großer Einfachheit an diese heilige Aufgabe heran. Wer sich nämlich fortwährend nach dem kürzesten Weg in die Stadt erkundigt, dem kann es widerfahren, dass er später hinkommt als andere, die auf der Straße geblieben sind, weil der eine sagt: Sie gehen falsch, Sie machen einen Umweg; der andere: Sie müssen zurückgehen und dann in den und den Weg einbiegen. Man kehrt dann um und geht daher wieder zurück, und so kommt man nicht vorwärts, wenn man viel fragt. Wer nach dem Weg zum Himmel gefragt wird, hat eigentlich ganz Recht, wenn er so antwortet wie jener, der gesagt hat: Wenn Sie dahin gehen wollen, dann müssen Sie immer geradeaus gehen, immer einen Fuß vor den andern setzen, dann kommen Sie schon hin, wohin Sie wollen“ (DASal 2,133).
So einfach geht es: Immer geradeaus, immer einen Fuß vor den anderen setzen und nicht ständig überlegen, ob man das jetzt machen soll oder nicht, ob man auf dem richtigen Weg ist oder lieber einen anderen wählen soll. Weil es aber so einfach ist, ist es so schwierig, diese Einfachheit zu leben, da der Mensch offenbar ständig dazu neigt, es sich schwerer zu machen.
Die Tugend Einfachheit hat nicht nur in der Gottesbeziehung ihren Wert. Sie beginnt bei sich selbst und den anderen. In der Philothea (DASal 1,169) schreibt Franz von Sales, dass die „schlichte Einfachheit“ in der Gesellschaft das beste Verhalten ist, denn „jene, deren Gehaben stets geziert und abgezirkelt ist,“ sind „eingebildete Leute“, die nur stören. Franz von Sales zieht daraus den Schluss: „Hüte dich vor allem Gezierten und Eitlen, vor jedem auffallenden und unsinnigen Aufputz. Soviel du kannst, halte dich stets an Einfachheit und Bescheidenheit“ (DASal 1,171).
Offenbar hat Franz von Sales den Leuten wirklich genau auf die Finger geschaut, was ihre Versuche betrifft, der Tugend der Einfachheit so gut es geht zu entgehen. Und das scheint heute nicht anders zu sein als vor vierhundert Jahren. Ein sehr humorvolles Beispiel zeigt das deutlich, wo Franz von Sales einer Mutter schreibt, deren Tochter dazu neigte, sich pausenlos zu pudern und zu putzen. Dieser Mutter antwortete Franz von Sales: „Soll sie nur ruhig ihren Kopf pudern, pudern doch auch die anmutigen Fasane ihre Federn, damit darin keine Flöhe aufkommen“ (DASal 6,266). Besser jedoch wäre es, den Weg inmitten der schönen Tugend der Einfachheit zu gehen. „Einfachheit“, so seine Überzeugung, „ist immer und in allem vorzuziehen.“ (DASal 2,321)
Gerade in diesem Zusammenhang können wir ganz leicht erkennen, wie wenig sich unsere Gesellschaft um die Einfachheit kümmert. Schmuck und Aufputz, Prunk und modisches Gepräge geben normalerweise den Ton an. Wer in unserer Welt der medialen Kommunikation etwas erreichen will, der muss mehr bieten als bloße Einfachheit. Das wirkt sich wiederum auf die Welt selbst aus, die alles nachmachen will, was im Fernsehen zur Schau gestellt und beworben wird.
Unsere Zeit liebt eben das Einfache nicht so besonders. Das Aufgeputze und Pompöse erregt mehr Aufmerksamkeit und erhält mehr Beifall. Die Tugend der Einfachheit findet man eher selten, und wenn, dann fällt sie eben nicht auf. Vielleicht liegt gerade darin der Grund, warum die Menschen heute ständig irgendwie überfordert erscheinen, ständig unter Stress leiden und vieles, was heute gemacht wird, so schnell wieder verpufft, wie es zuvor für Aufregung gesorgt hat. Denn das ist ebenso ein Merkmal der Tugend der Einfachheit. Sie ist nicht nur sehr leicht (– und daher schwer), sondern sie hat auch mehr Bestand als das Aufgebauschte und Gezierte.
Es ist also durchaus eine Frage der Lebensqualität, wenn wir uns für die Tugend der Einfachheit entscheiden. Es geht um die Frage, was ich mit meinem Leben erreichen will: Will ich ein Star sein, der überall ankommt und dann, wenn er’s nicht mehr bringt, einfach fallen gelassen wird ... oder erwarte ich mir vom Leben Anderes, Bleibenderes. Das allerdings kann ich sehr schwer ohne die Leichtigkeit der Einfachheit erreichen.
Franz von Sales hat die Einfachheit geliebt, weil sie für ihn der sicherste Weg durch das Leben bedeutete. Seine Ratschläge, die er gab, gelten noch heute:
„Gehen Sie in aller Einfachheit Ihren Weg; verwenden Sie eine besondere Aufmerksamkeit nur auf wichtige Dinge; zerpflücken Sie nicht so sehr Kleinigkeiten! Ihr Herz sei fest entschlossen!“ (DASal 5,390) schreibt er seiner Seelenfreundin Johanna Franziska von Chantal. Weiters empfiehlt er ihr: „Ihre Reden sollen knapp, gütig, heilig und bescheiden sein, in aller Ruhe gesprochen. All Ihr Tun soll darin bestehen, ... unseren Herrn handeln zu lassen. Sein Wille geschehe! Und Sie sollen in dieser so einfachen Einfachheit bleiben, ohne sich zu rühren“ (DASal 5,401).
Einer anderen Frau, einer gewissen Frau von Soulfour, gab Franz von Sales den Rat: „Ich empfehle Ihnen die heilige Einfachheit. Schauen Sie auf den Weg vor sich und nicht auf die in weiter Ferne drohenden Gefahren, wie Sie mir geschrieben haben. Es scheinen Ihnen ganze Armeen zu sein; es sind doch nur zugestutzte Weiden. Während Sie auf sie schauen, könnten Sie leicht einen Fehltritt tun“ (DASal 6,41).
Also: Das bedeutet die Tugend der Einfachheit: Schritt für Schritt, gerade aus, ohne den Blick zu weit nach Vorne oder nach Rückwärts zu richten, und ohne durch großes Geplapper und Getue auf sich aufmerksam machen. Gott sieht auf das Herz, bei ihm brauchen wir nicht vieler Worte. „Es ist leicht, aber das ist schwer ...“
Herbert Winklehner OSFS