"Einzig Gott allein" (Mk 12,28-34)
Liebe Schwestern und Brüder,
als Franz von Sales 1610 mit Johanna von Chantal seinen Orden der Heimsuchung Mariens gründete, hat er sich vorher genau überlegt, was dieses Ordensleben bedeutet. Und er hat uns eine Zusammenfassung seiner Gedanken geliefert, die hoffentlich ein jeder von uns ein Leben lang bis zu seinem Tod am Herzen trägt. Diese Zusammenfassung ist unser Professkreuz. Franz von Sales hat es selbst entworfen und darauf Symbole eingraviert, die ihm für den Weg in einer Ordensgemeinschaft, die sich auf ihn und seine Spiritualität beruft, ganz wesentlich sind.
Am Fuße des Kreuzes sind drei Berge eingezeichnet. Es sind die drei Berge, die im Leben Jesu eine Rolle gespielt haben: Tabor, Getsemani und Golgota. Nur einer der drei Berge spricht vom großen Glück: Tabor, der Berg der Verklärung, der Berg der Freude, der Ruhe und Erholung und der Zusicherung Gottes: Alles ist gut.
Die beiden anderen Berge sprechen eine andere Sprache: der Ölberg, der Berg der Angst. Jesus schwitzt Blut. Er weiß, seine Stunde ist gekommen. Er ringt um eine Entscheidung. Soll er den Kelch Gottes trinken oder nicht. Er will es nicht, aber er sagt Ja zu Leid und Qual, weil es Gottes Wille ist.
Und Golgota, der Berg des Todes. Mein Gott, warum hast du mich verlassen. Dunkelheit und Finsternis, Spott und Gelächter. Und die kleine Funzel Hoffnung, dass das, was hier geschieht, doch einen Sinn hat.
Aus diesem Berg des Todes wächst eine Siegespalme, die genau darauf hinweist: Der Weg, den du gehst, wird zum Ziel führen. Das Ende ist nicht Angst, Leid, Finsternis und Tod, sondern der Sieg, die Freude, das Glück.
Über der Siegespalme sind drei Nägel eingraviert. Sie symbolisieren die drei Gelübde, die wir in der Profess Gott versprechen: Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam. Diese Nägel bluten. Das bedeutet: Niemand behauptet, dass diese Gelübde leicht zu leben sind. Im Gegenteil, sie tun weh. Manchmal ist es die Armut, die einem ins Fleisch sticht; manchmal ist es die Ehelosigkeit, die Einsamkeit, die weh tut, manchmal der Gehorsam, das Aufgeben des eigenen Willens gegenüber dem Willen Gottes: Nicht so wie ich will, sondern wie du willst.
Franz von Sales sagt einmal: „Seht ihr, das Ordensleben ist ein ‚Kalvarienberg’; man hat euch hier nicht aufgenommen, um euch hier Tröstungen zu geben; o gewiss nicht, denn man verlangt von euch nichts Geringeres, als dass ihr gekreuzigt seid. Im Ordensleben lässt man die Natur sterben, man geht gegen die Leidenschaften und Neigungen vor, um die Gnade herrschen zu lassen. Mit einem Wort, man zieht euch den alten Adam aus, um euch den neuen Adam anzuziehen, und das geht nicht ohne Schmerzen ab.“
Warum tun wir uns das an? Auf dem Querbalken unseres Professkreuzes stehen die ersten drei Buchstaben des Namens Jesus und auf der Rückseite stehen die Buchstaben M und A, das heißt: Mons Amoris – Berg der Liebe.
Es ist offenbar die Faszination für Jesus und seine Botschaft, die uns drängt, diesen Weg zu gehen. Jedes andere Motiv ist hier fehl am Platz. Das hat auch Franz von Sales bei einer seiner Professpredigten gesagt: Wer ins Kloster geht, um ein ruhiges Leben leben zu können, soll gleich wieder verschwinden. Oder um Anerkennung zu erhalten, sei es von Gott oder den Menschen, der soll wegbleiben. Auch die Selbstverwirklichung oder irgendwelche hehren und aufopfernden Ziele sind kein richtiges Fundament für dieses Leben. Einzig Gott allein, sein Auftrag und seine Liebe gelten für Franz von Sales als tragbares, fundamentales Motiv.
Es ist daher sehr gut, dass du dir diese zentrale Stelle aus dem Markus-Evangelium als dein Profess-Evangelium gewählt hast. Die Frage: Welches Gebot ist das Wichtigste. Worum geht es im Leben allgemein und im Ordensleben im Besonderen? Du sollst den Herrn deinen Gott lieben ... das ist das wichtigste Gebot. Und zwar nicht nur wenn’s dir passt, wenn du grad Zeit und Lust hast oder wenn du ihn brauchst, sondern gerade auch dann, wenn es weh tut, wenn du am Kreuz hängst und schreist: Mein Gott, warum hast du mich verlassen. Gerade da heißt es Gott – den ich gar nicht spüre, an den ich nicht mehr glaube kann, der mir ein Rätsel ist – diesen Gott lieben, mit ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzer Kraft und mit all deinen Gedanken. In der Professformel wirst du gleich sagen: „Um der Liebe Gottes willen bin ich bereit mich ihm mit ganzer Hingabe zu weihen und zeit meines Lebens Christus enger nachzufolgen.“ Genau darum geht’s.
Dazu kommt das zweite Gebot: die Liebe zum Nächsten und zu sich selbst. Auch diese Liebe ist nicht relativ, also nur wenn’s dir gerade recht ist, sonder absolut ... mit ganzer Hingabe, auch oder gerade dann, wenn die Nägel brennen. In der Professformel stellst du dich „mit ganzem Herzen“ der Gemeinschaft der Oblaten zur Verfügung. Damit erfüllst du auf besondere Weise das zweite Gebot und kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.
Auf dem Professkreuz sind daher an verschiedenen Stellen Flammen eingraviert. Für Franz von Sales sind sie Symbole für diese Liebe, die unser Leben in allem und immer bestimmen soll.
Ich kann dir heute kein leichtes Leben versprechen, aber ein spannendes Leben verspreche ich dir, mit vielen Herausforderungen. Und eines verspreche ich dir auch: Sollte es einmal überhaupt niemanden mehr geben, weder Freunde, Mitbrüder oder Gott, weil sie alle wichtigeres zu tun haben, als dir zuzuhören, dann komm zu mir: Ich werde für dich Zeit haben und dir helfen, so gut ich eben kann, dein Professkreuz zu tragen. Und vielleicht verwirklicht sich dann für uns beide jene Prophezeiung, die der hl. Franz von Sales über das Ordensleben auch einmal gesagt hat: „Wie kann ein Mensch, der sein Leben Gott geweiht hat, traurig sein ... gibt es denn ein Glück, das diesem gleichkommt.“ Amen.
Herbert Winklehner OSFS
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