Erntezeit des Lebens
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Die Fastenzeit empfand der heilige Franz von Sales (1567-1622) als große Chance für den Menschen, sich wieder auf das Wesentliche des Lebens und des Glaubens zu konzentrieren. „Bedenk, o Mensch, dass du Staub bist und zu Staub werden wirst.“ – Diese Erinnerung, die beim Austeilen des Aschenkreuzes am Aschermittwoch noch heute in der Liturgie den Menschen zugesprochen wird, war auch für ihn der Auftakt seiner Gedanken und Predigten in diesen gut sechs Wochen bis zum Osterfest.
Fastenzeit ist Erntezeit. Obwohl sie im Frühling stattfindet, nennt Franz von Sales diese Zeit gerne den „Herbst des Lebens“. Wer sich auf die Fastenzeit einlässt und sich wirklich ernsthaft bemüht, über sein Leben im Glauben nachzudenken und durch Fasten oder anderen Verzicht, oder durch Werke der Nächstenliebe konkrete Konsequenzen für sein Handeln zu ziehen, der bringt eine reiche Ernte ein, der sammelt Schätze, die nicht vergehen, sondern in Ewigkeit bleiben.
Franz von Sales hielt jedes Jahr die wöchentlichen Fastenpredigten. Er tat dies nicht nur in seiner Bischofsstadt Annecy, sondern wurde in regelmäßigen Abständen in andere Diözesen eingeladen, um dort durch seine Predigten den Menschen Impulse dafür zu geben, ihren Glauben zu betrachten und dementsprechend zu erneuern, wo dies notwendig war. In diesen Fastenpredigten, die in seiner Zeit Anfang des 17. Jahrhunderts große gesellschaftliche Ereignisse darstellten, zu denen die Menschen in Scharen strömten, nahm sich Franz von Sales kein Blatt vor den Mund. Er sprach die Schwächen und Fehler des Menschen an und forderte sie auf, im Sinne des Evangeliums und der Botschaft Jesu umzukehren und neu zu beginnen, die Nachfolge Jesu ernsthaft zu leben.
In seiner typischen Manier warnt er jedoch ebenso vor Übertreibungen. So gut ein engagierter Neuanfang im christlichen Leben ist, so besteht doch die Gefahr, sich durch übergroßes Fasten und Buße zu überfordern und deshalb wieder irgendwann aufzugeben, weil man sich eben viel zu viel vorgenommen hat. Die Methode „Schritt für Schritt“ und nicht „alles auf einmal“ lag ihm sehr am Herzen, weil er wusste, dass diese Methode zwar etwas langsamer geht, dafür aber sicherer ans Ziel bringt.
Das Gleiche gilt für den Geist der Freiheit, der bei allen Unternehmungen herrschen sollte. Bei aller Radikalität und Konsequenz sollte man stets für Ausnahmen bereit sein, gerade dann, wenn dies die Liebe zum Nächsten erfordert.
Selbstverständlich war die Fastenzeit für Franz von Sales auch die ideale Zeit dafür, den Menschen das Erlösungswerk Jesu nahe zu bringen: sein Leiden, seinen Kreuzweg, sein Sterben am Kreuz. Für ihn persönlich war die Betrachtung von Sterben und Tod Jesu einer der wesentlichen Elemente seines Betens. Im Blick auf den Gekreuzigten, so seine Überzeugung, werden alle Wunden geheilt, denn im Betrachten der Passion Jesu erkennen wir am deutlichsten, wie groß die Liebe Gottes zu uns Menschen ist. Es gibt eben keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben gibt für seine Freunde (vgl. Joh 15,13). Und diese Liebe lässt sich am besten erspüren, wenn wir uns am Fuß des Kreuzes einfinden und das, was auf Golgota – dem Berg der Liebe und die Hochschule der Liebe – geschehen ist. In der Betrachtung des Kreuzesgeschehens erkannte Franz von Sales, der Lehrer der Liebe, dass die Liebe allein stärker ist als der Tod. Dort auf Golgota erweist sich die Wahrheit Gottes, dass der, der liebt, den Tod überwindet.
Es mag sein, dass die Worte des heiligen Franz von Sales zur Fastenzeit manchmal etwas ungewohnt erscheinen. Es geht um Fasten und Verzicht, Buße und Umkehr, Leiden und Tod ... Themen also, die wir vielleicht in unserem Leben heute nicht gerne hören oder lesen. Dennoch sollte dafür Zeit sein, um auch über diese Dinge, die genauso zum Leben gehören wie Freude, Glück oder Optimismus, einmal näher nachzudenken. Es geht eben darum, wesentlich zu leben, also nicht an der Oberfläche zu bleiben, sondern hinabzusteigen in die Tiefen des Lebens, in denen eben auch Leid und Tod und Sünde da sind. Damit wir davon erlöst und befreit werden können, ist es wichtig, sie anzuschauen und beim Namen zu nennen.
Die Gedanken des hl. Franz von Sales regen dazu an, wesentlich zu leben und der großen Liebe Gottes zu uns Menschen, die sich in Leiden und Sterben Jesu Christi offenbarte, wieder ein wenig mehr auf die Spur zu kommen.
Herbert Winklehner OSFS