die Tugend, die den Glauben mit dem Leben verbindet
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Die Tugend der Frömmigkeit zählt zu den sieben Gaben des Heiligen Geistes. Nach alter christlicher Lehre ist jeder Christ mit dieser Tugend begabt. In den letzten Jahrzehnten schien es allerdings, dass mit den Worten „Frömmigkeit“ oder „fromm sein“ alles andere als eine Gabe oder Tugend zum Ausdruck gebracht wurde. Der „Fromme“, das war eher der „Weltfremde“, der den Boden zur Wirklichkeit verloren hat. Fromm sein war nicht mehr in, weil man glaubte, dadurch zu einer Kategorie von Christen gezählt zu werden, die etwas abfällig „Betschwestern“ oder „Betbrüder“ genannt wurden. All das macht aber nur deutlich, dass diese Tugend gründlich missverstanden wurde. Damit ist dem Christen mit dem Begriff auch etwas sehr Wertvolles für den Glauben verloren gegangen.
In seinem jüngsten Buch „Im Angesicht des Absoluten. Hinführung zur Mitte christlicher Spiritualität“ setzt sich der bekannte deutsche Jesuit Josef Sudbrack, der 2005 seinen 80. Geburtstag feierte, dafür ein, das „Fromm sein“ oder die „Frömmigkeit“ wieder in die Mitte unseres christlichen Glaubens zu stellen. Sudbrack meint, er wisse einfach für das, was er in seinem Buch zum Ausdruck bringen möchte, keinen besseren Begriff. Er möchte Theologie, also das Wissen über den Glauben, mit der Spiritualität, also den Vollzug des Glaubens im Leben, miteinander verbunden wissen. Genau das wird seiner Meinung nach mit den Worten „Frömmigkeit“ und „Fromm sein“ am besten ausgedrückt. „Frömmigkeit“ ist genau jene Tugend, die den Brückenschlag, diese Verbindung zwischen Theologie und Spiritualität am besten schafft.
Damit spricht Sudbrack mit anderen Worten aus, was einer seiner berühmten Mitbrüder vor vielen Jahren auch schon gesagt hatte, nämlich Karl Rahner (1904-1984), einer der einflussreichsten Theologen des 20. Jahrhunderts: „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein, oder er wird nicht mehr sein.“ Der Christ der Zukunft wird also „fromm“ sein und die Tugend der Frömmigkeit üben, oder er wird nicht mehr sein. Die Tugend der Frömmigkeit wird sein Leben prägen.
Es ist also notwendig, klar zu erklären, was Frömmigkeit ist, und vor allem, was sie nicht ist. Einfach gesagt: Frömmigkeit ist das richtige, oft vorbildliche religiöse Verhalten des Menschen, seine Gesinnung und sein Handeln in der Beziehung zu Gott. Der fromme Mensch zeichnet sich dadurch aus, dass sein Denken und Tun wahrhaftig sind. Wenn das nicht der Fall ist, aber versucht wird den Eindruck von Frömmigkeit zu erwecken, dann nennt man das Frömmelei oder Scheinheiligkeit. Das bedeutet: Frömmigkeit darf nicht mit Frömmelei verwechselt werden. Diese Verwechslung hat offenbar dazu geführt, dass man mit dem Begriff heute nicht mehr so viel anfangen kann.
Das war auch schon zu Zeiten des hl. Franz von Sales (1567-1622) der Fall, als er seinen Klassiker „Philothea“ oder „Anleitung zum frommen Leben“ schrieb – das Standard- und Meisterwerk zur Frömmigkeit in der klassischen christlichen Literatur. Auch er grenzte die Frömmigkeit gleich in den ersten Kapiteln klar von jeder Art Scheinheiligkeit ab. „Es gibt nur eine wahre Frömmigkeit,“ schreibt er, „an falschen und irrigen Spielarten dagegen eine ganze Reihe. Wenn du die echte nicht kennst, kannst du dich leicht verirren und einer unbrauchbaren, abergläubischen nachlaufen.“ (DASal 1,33)
Er bringt konkrete Beispiel dieser falschen Frömmigkeit: „Wer gern fastet, hält sich für fromm, weil er fastet, obgleich sein Herz voll Rachsucht ist ... Ein anderer hält sich für fromm, weil er täglich eine Menge Gebete heruntersagt, obwohl er nachher seiner Zunge alle Freiheit lässt für Schimpfworte, böse und beleidigende Reden gegen Hausgenossen und Nachbarn. - Der eine entnimmt seiner Geldbörse gern Almosen für die Armen, aber er kann aus seinem Herzen nicht die Liebe hervorbringen, seinen Feinden zu verzeihen ... Gewöhnlich hält man alle diese Menschen für fromm, sie sind es aber keineswegs.“ (DASal 1,33) Sie sind nicht fromm, sondern Frömmler, Heuchler oder Scheinheilige.
Schon an diesen sehr konkreten Beispielen wird deutlich, dass Frömmigkeit nicht nur damit zu tun hat, in der Kirche und vor Gott eine gute Figur zu machen, unabhängig davon wie ich mich sonst im Leben verhalte. Das Gegenteil ist der Fall: Frömmigkeit ist nur dann echte und wahre Frömmigkeit, wenn mein Glaube und mein Leben eine Einheit bilden. Wenn ich also, plakativ geschrieben, den Kirchenraum mit der gleichen inneren Einstellung betrete wie meine Firma, in der ich arbeite, weil mir klar ist, dass ich dort Gott genauso begegne wie vor dem Tabernakel. Die Tugend der Frömmigkeit hilft mir, mein Leben mit meinem Glauben zu verbinden, mein Glaubenswissen mit dem Glaubensleben zu vereinen.
Das biblische Urwort dieser Frömmigkeit spricht Jesus ins seiner „Feldrede“ im Lukasevangelium: „Es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte hervorbringt, noch einen schlechten Baum, der gute Früchte hervorbringt. Jeden Baum erkennt man an seinen Früchten: Von den Disteln pflückt man keine Feigen und vom Dornstrauch erntet man keine Trauben. Ein guter Mensch bringt Gutes hervor, weil in seinem Herzen Gutes ist; und ein böser Mensch bringt Böses hervor, weil in seinem Herzen Böses ist. Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund. Was sagt ihr zu mir: Herr! Herr!, und tut nicht, was ich sage?“ (Lk 6,43-46)
Zur Frömmigkeit gehört also nicht nur, dass ich zu Gott „Herr! Herr!“ sage, das tun auch die Heuchler und Scheinheiligen, sondern dass ich mein Leben, meinen Beruf, mein Tun und Handeln, alles, was mein Menschsein ausmacht, danach ausrichte.
So schreibt auch Franz von Sales: „Nein, echte Frömmigkeit verdirbt nichts; im Gegenteil, sie macht alles vollkommen. Verträgt sie sich nicht mit einem rechtschaffenen Beruf, dann ist sie gewiß nicht echt ... Die echte Frömmigkeit schadet keinem Beruf und keiner Arbeit; im Gegenteil, sie gibt ihnen Glanz und Schönheit … Die Sorge für die Familie wird friedlicher, die Liebe zum Ehepartner echter, der Dienst am Vaterland treuer und jede Arbeit angenehmer und liebenswerter.“ (DASal 1,37)
Ist dies der Fall, dass die Frömmigkeit nicht von meinem Leben getrennt wird, dann tritt genau das ein, was Franz von Sales verkündet: „Glaube mir, die Frömmigkeit ist das Schönste, was es gibt. Sie ist die Königin der Tugenden, die Vollendung der Liebe. Ist die Liebe eine Pflanze, dann ist die Frömmigkeit ihre Blüte; ist sie ein Edelstein, dann ist die Frömmigkeit sein Glanz; ist sie ein kostbarer Balsam, dann ist die Frömmigkeit dessen Duft, ein lieblicher Duft, der die Menschen erquickt und die Engel erfreut.“ (DASal 1,36f)
Und diese „Königin der Tugenden“ wird es sein, die das Leben des Christen im neuen Jahrtausend prägen wird, oder das Christentum wird nicht mehr sein. Die Herausforderung der Zukunft besteht also darin, dass wir unser Leben nicht von unserem Glauben trennen, sondern mit ihm verbinden, also, dass wir die Tugend der wahren und echten Frömmigkeit üben.
Herbert Winklehner OSFS