die Tugend, die Gott und Mensch besser versteht
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Hören ist eine Tugend – heute wahrscheinlich mehr denn je. Betrachtet man die unterschiedlichsten Kommunikationsprobleme und Missverständnisse, die den modernen Menschen manchmal direkt sprachlos machen, dann haben diese oft damit zu tun, dass die Menschen nicht mehr aufeinander hören und einander nicht richtig zuhören. Die Tugend des Hörens hilft nicht nur, den Menschen, sondern auch Gott besser verstehen zu können.
Wir werden in unserer Welt mehr und mehr mit Bildern zugestopft. Werbung, Massenmedien, Veranstaltungen aller Art präsentieren uns eine Fülle an Bildern, die noch dazu möglichst rasch verändert werden müssen, damit der visuelle Effekt bleibende Wirkungen erzielt. Das Auge wird ständig überfordert, das Ohr bleibt auf der Strecke … bzw. es muss manchmal schon sehr laut geschrieen werden, damit man überhaupt noch Gehör findet. Ohne visuelle Unterstützung ist es heute kaum mehr möglich, jemandem nachhaltige Botschaften zu übermitteln, die auch ankommen. Leidvoll können das vor allem die Prediger erleben, die ausschließlich durch das Wort die Botschaft der Bibel verkündigen wollen und dabei immer weniger auf hörbereite Ohren zählen können. Gehörlos sind also nicht nur jene, deren äußere oder innere Gehörorgane geschädigt sind, gehörlos sind viel mehr, die hören, aber nicht verstehen (Mt 13,13), hören, aber nicht zuhören.
Schon Jesus Christus hatte vor allem mit jenen Menschen Probleme, die sein Wort hören, es aber nicht befolgen. Er fordert daher immer wieder dazu auf: „Wer Ohren hat zum Hören, der höre“ (Mk 4,9). Jene, die das Wort Gottes hören, ohne auch entsprechend zu handeln, gleichen einem Dornengestrüpp, wo der Same des Wortes verdorrt, ohne Frucht zu bringen (Mk 4,18). Gott Vater selbst sagt über seinen Sohn: „Das ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören“ (Mk 9,7). Deshalb sind Jesu wahre Geschwister die, „die das Wort Gottes hören und danach handeln“ (Lk 8,21). Anderen macht Jesus den Vorwurf: „Warum versteht ihr nicht, was ich sage? Weil ihr nicht imstande seid, mein Wort zu hören.“ (Joh 8,43) Er selbst sieht sich als der gute Hirte für die Schafe, die auf seine Stimme hören. (Joh 10,3)
Der heilige Franz von Sales (1567-1622) war ein Meister der Kommunikation. Aus diesem Grund wurde er 1923 feierlich von Papst Pius XI. zum Patron der Journalisten und Schriftsteller erklärt. Weniger bekannt ist, dass Franz von Sales seit dem 19. Jahrhundert auch der Patron der Gehörlosen ist, damals noch „Taubstumme“ genannt. Der Grund dafür war seine Begegnung mit dem gehörlosen Martin, den er auf einer seiner bischöflichen Visitationsreisen kennen lernte. Zur Zeit des hl. Franz von Sales waren die Taubstummen sowohl für die Gesellschaft als auch für die Kirche völlig uninteressant. Die Gesellschaft betrachtete sie als geistig behindert, die Kirche hatte für sie auch keinen Bedarf, da man davon überzeugt war, dass der „Glaube vom Hören“ kommt. Wer also nicht hören kann, kann auch nicht glauben, und es ist daher sinnlos, sich mit Gehörlosen abzugeben. Franz von Sales sah das anders. Er erkannte in seiner sensiblen Art, mit der er mit Menschen umging, dass dieser taubstumme Martin auf seine Gesten durchaus sinnvoll reagierte. Er ordnete daher an, dass Martin in seinem Haus als Gärtner angestellt werden soll. Dann begann er mit ihm mit Hilfe von eigens erdachten Gebärden zu kommunizieren. Mit der Zeit gelang dies so gut, dass Franz von Sales anfing, Martin auch von den Geheimnissen des Glaubens zu erzählen – und der gehörlose Martin wurde ein sehr guter Zuhörer. Schließlich konnte Franz von Sales ihm die Sakramente der Eucharistie, der Buße und der Firmung spenden. Der 2006 heilig gesprochene Filippo Smaldone (1848-1923), ein italienischer Priester, der im 19. Jahrhundert seine ganze Kraft der Erziehung und Bildung von Gehörlosen widmete, entdeckte diese Geschichte und stellte seine Werke für Gehörlose unter das Patronat des heiligen Franz von Sales. Viele Gehörlosenschulen, -heime und -institutionen tragen auch im deutschen Sprachraum daher noch heute den Namen des hl. Franz von Sales. Heute könnte Franz von Sales inmitten der zahllosen kommunikativen Hörstörungen trotz bester technischer Mittel auch zum Patron des richtigen Hörens werden.
Es gibt von Franz von Sales einige schöne Worte, die auf die Bedeutung des Hörens hinweisen. In seinem Buch „Philothea – Anleitung zum frommen Leben“ schreibt er etwa: „Ein guter Weg zu lernen ist das Studium, ein besserer das Hören“ (DASal 1,28). Einige Seiten später weißt er daraufhin, dass das Ohr der direkte Weg zum Herzen ist und es daher auch vor „törichten Worten“ zu schützen sei: „Nach Alkmeon atmen die Ziegen durch die Ohren, nicht durch die Nase; Aristoteles bestreitet dies. Sicher ist jedenfalls, dass unser Herz durch das Ohr atmet; wie es seine Gedanken durch die Zunge ausatmet, so atmet es durch das Ohr die Gedanken anderer ein. Hüten wir also unsere Ohren sorgfältig vor dem Pesthauch törichter Worte, sonst wird er gar bald unser Herz vergiften“ (DASal 1,159).
In seinem Buch „Theotimus – Abhandlung über die Gottesliebe“ macht Franz von Sales deutlich, dass es beim Hören wichtig ist, dass man auch mit Liebe zuhört: „Wo die Liebe herrscht, bedarf es nicht des Geräusches äußerer Worte, noch des Gebrauches der Sinne, um miteinander zu reden und einander zu hören“ (DASal 3,272). Ihm geht es also bei der Tugend des Hörens vor allem um das „hörende Herz“. „Ach, wie gut ist es doch, “ schreibt er in einem Brief, „die heiligen Worte zu hören, die Gott zu unseren Herzen spricht, wenn wir uns in die Nähe seines Herzens stellen!“ (DASal 6,377) Diese Aussage erinnert nicht nur an die biblische Szene von Marta und Maria, in der Maria zu Füßen der Herrn sitzt und seinen Worten lauscht (vgl. Lk 10,38-42). Man denkt auch an die mahnenden Worte aus dem Matthäusevangelium an all jene, die die Tugend des Hörens verloren haben: „Denn das Herz dieses Volkes ist hart geworden und mit ihren Ohren hören sie nur schwer und ihre Augen halten sie geschlossen, damit sie mit ihren Augen nicht sehen und mit ihren Ohren nicht hören, damit sie mit ihrem Herzen nicht zur Einsicht kommen, damit sie sich nicht bekehren und ich sie nicht heile.“ (Mt 13,15)
Um die Tugend des Hörens zu lernen, braucht es paradoxer Weise die Stille und das Schweigen. Es ist gut, einmal die Augen zu schließen, um sich ganz auf das konzentrieren zu können, was die Stille an Lautmalereien anbieten kann. Sehr schnell wird man erkennen, dass es absolute Stille gar nicht gibt. Sie ist erfüllt von leisen, zarten Tönen und Geräuschen, die erst in der Stille hörbar werden. Und man beginnt in dieser Stille auch viel deutlicher auf das zu hören, was nur das Herz hören kann. Das Wesentliche nämlich. In Ahnlehnung an Antoine de Saint-Exupery könnte man sagen: Man hört nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche bleibt nicht nur dem Auge, sondern auch dem Ohr unsichtbar und unhörbar. Der deutsche Lyriker Peter Friebe meint: „Zarte Töne hört nur das Herz“.
Der weise König Salomon wünschte sich daher ein „hörendes Herz“: „Verleih daher deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht.“ (1 Kön 28,9) Diesem Wunsch könnten wir uns anschließen. Die Tugend des Hörens lernen wir am besten, wenn wir selbst ganz still werden, und den Worten Gottes und der Menschen lauschen.
Herbert Winklehner OSFS