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Einer meiner Neffen ist jetzt neun Jahre alt. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als wir beide über das Geheimnis der Dreifaltigkeit diskutierten. Mein Neffe war damals etwa vier Jahre alt. Eines Tages, ich glaub es war sogar der Dreifaltigkeitssonntag, fragte er mich: „Onkel, was heißt das eigentlich: Dreifaltigkeit?“ In meinem Kopf schwirrten sofort eine Menge dogmatischer Formeln herum. Begriffe wie Wesen, Natur, Person formten sich. Doch gleichzeitig wurde mir bewusst, dass ich damit einem Vierjährigen nicht zu kommen brauche. Also: Wie sag ich’s einem Kinde?
Glücklicherweise erinnerte ich mich an das berühmte Hasenfenster des Domes von Paderborn. Da mein theologischer Disput mit meinem Neffen auch um die Osterzeit stattfand, war er ohnehin gerade mit dem Hasenbild vertraut. Ich nahm also ein Blatt Papier und zeichnete, so gut es eben ging, die drei Hasen auf, die so zueinander standen, dass eines der beiden Ohren gleichzeitig auch ein Ohr des anderen bildete. Das Ergebnis: Da sind drei Hasen, die haben alle zwei Ohren, aber insgesamt sind es eben nicht sechs Ohren, sondern nur drei. Da mein Neffe schon bis zehn zählen konnte, war das für ihn durchaus nachvollziehbar. Und er verstand mich tatsächlich. „Das ist toll“, sagte er und damit war für Ihn das Problem Dreifaltigkeit gelöst – wenigstens für die nächsten paar Jahre.
Mein Neffe verblüffte mich später noch einmal. Eines Tages, mitten im Sommer, schenkte er mir einen selbstgebastelten Weihnachtsstern. Auf die Idee, dass er eventuell eine etwas unpassende Zeit für seinen Weihnachtsstern gewählt hatte, kam er nicht. Ich selbst hütete mich davor, meine erwachsene Vernunft sprechen zu lassen, sondern freute mich einfach riesig über das Geschenk.
Mich wundert es nicht, dass Gott manchmal mit uns Menschen Schwierigkeiten hat. Da wollen wir immer alles ganz genau wissen. Wir erfinden Thesen und Theorien, streiten uns um Begriffe und Worthülsen, wollen Göttliches bis ins kleinste Detail hinein ergründen und dabei wäre alles so einfach: Glaub einfach daran, dass drei Hasen drei Ohren haben können und ein Weihnachtsstern auch im Sommer Freude machen kann.
Die berühmte Geschichte kennen wir: Der hl. Augustinus (354 – 430) beschäftigte sich gerade mit seiner Schrift „De Trinitatis“ – „Über die Dreifaltigkeit“ und kam damit einfach nicht weiter. Er ging zum Meer hinaus, um bei einem Strandspaziergang die Gedanken etwas zu ordnen. Da entdeckte er einen Jungen, der im Sand ein Loch gegraben hatte. Mit einer Schale lief er nun zum Meer, füllte Wasser ein, ging zurück zum Loch und schüttete das Wasser in seine Grube. Das tat er immer wieder. Augustinus kam dieses Verhalten eigenartig vor und so fragte er den Jungen, was er denn da mache. „Ich will das Meer in mein Sandloch umschütten!“ antwortete dieser mit größter Selbstverständlichkeit. „Aber Junge“, so der Heilige, „erkennst du denn nicht, dass das nicht geht?“ Darauf der Junge: „Aber du versuchst doch auch das Geheimnis der Dreifaltigkeit in einem Buch zu beschreiben!“ Da wusste Augustinus Bescheid.
Noch eine Geschichte: Der hl. Thomas von Aquin (1225 – 1274) gilt bis heute als der größte Kirchenlehrer der Christentumsgeschichte. Seine „Summa theologica“, also das gesamte Theologische Wissen seiner Zeit, umfasst in einer deutschen Ausgabe gar 36 Bände. Diese Summa beeinflusste das theologische Denken über Jahrhunderte ganz entscheidend. Keiner, der sich nur ein Wenig mit der theologischen Wissenschaft auseinandersetzt, kommt an Thomas von Aquin vorbei. Am Ende seines Lebens sagte dieser große Gelehrte, und ich denke, allein dieses Wort hätte genügt, um ihn groß zu machen:: „Es ist alles Stroh, was ich geschrieben habe.“
Mir geht es nicht darum, die hohe Theologie in Misskredit zu bringen. Ganz im Gegenteil. Ich habe es in meinem Studium sehr genossen, unseren Glauben mit wissenschaftlicher Methodik und Akribie zu studieren. Mir hat das wirklich Spaß gemacht. Mir war jedoch auch eines klar, nämlich dass ich mit theologischem Wissen allein wahrscheinlich nicht in den Himmel kommen werde. Wir erinnern uns an Jesus: In jener Zeit „rief er ein Kind herbei, stellte es in ihre Mitte und sagte: Amen, das sage ich euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Mt 18,2-3). Seit ich mit meinem Neffen über die Dreifaltigkeit diskutiert habe, verstehe ich diesen Satz noch besser.
Das Weihnachtsfest, das wir jedes Jahr feiern und uns regelmäßig wegen dessen Kommerzialisierung zum Wahnsinn treibt, hat sicherlich auch einen Sinn darin, dass wir uns das „Kindsein“ in unserem Glauben bewusst machen.
Gott selbst, der erhabene, allmächtige, unbegreifliche, ist sich nicht zu schade, um seine Größe zu verlassen und in der Gestalt eines hilflosen Neugeborenen das Licht der Welt zu erblicken. Sehr schön finde ich, wie der hl. Franz von Sales (1567-1622) – ebenfalls ein großer Kirchenlehrer – auf dieses Wunder reagiert, nämlich mit Schweigen. In einem Brief schreibt er:
„Die hohen Festtage aber legen uns Schweigen auf, um so mehr, als sie selbst vom Geheimnis, das sie uns darstellen, widerhallen und göttlich sprechen. Ich weiß gar nicht, was ich von diesem göttlichen Kind sagen sollte, denn es spricht kein Wort; sein Herz, so voll von Liebe für unsere Herzen, gibt sich nur in Wimmern, Tränen und lieben Blicken kund. Mein Gott, welch große Dinge sagt mir dieses Schweigen! Es lehrt mich, das wahre innerliche Gebet zu pflegen; es lehrt mich die liebevolle Glut eines Herzens, das von Empfindungen erfasst ist, die diese lieben Gedanken nähren, und das deren Innigkeit zu verlieren fürchtet, wenn es sie ausspricht.“
Kein dogmatisches Analysieren also über die Verbindung von Gottheit und Menschheit in der einen Person Jesus Christus. Kein vernunftgeleitetes Nachdenken über die Historizität dessen, was sich damals in Bethlehem tatsächlich ereignet hat oder nicht. Einfach staunendes Schweigen und innerliches Gebet.
Es ist auch der hl. Franz von Sales, der das „Kindsein“ zu einem beliebten Bild für die Gottesbeziehung in die christliche Spiritualität eingebracht hat. Hier nur das Beispiel, wo er die Gottesbeziehung mit einem Kind vergleicht, das an der Brust seiner Mutter Nahrung findet:
„Solange ein Kind noch ganz klein ist, ist es ganz Einfachheit, es hat nur eine einzige Erkenntnis: Die Mutter; nur ein Verlangen: die Brust der Mutter. An diese Brust gelegt und gebettet, ist es wunschlos. Die vollkommen einfache Seele hat auch nur eine Liebe: Gott. Und diese Liebe hat wiederum nur ein Verlangen: Ruhen an der Brust des himmlischen Vaters, dort als wahrhaft liebendes Kind wohnen, dem guten Vater alles Sorgen um das eigene Wohl überlassen.“ Dieses Zitat findet sich im Übrigen im theologischen Hauptwerk des Heiligen, nämlich in der „Abhandlung über die Gottesliebe“, ein Schmöker von insgesamt über 700 Seiten.
Ein anderes Bild des „Kindseins“ verweist uns darauf, wie wir mit Gott an der Seite durch das Leben gehen sollen. Franz von Sales rät in dem Buch „Philothea“:
„Mache es wie die kleinen Kinder: Mit der einen Hand halten sie sich am Vater fest, mit der anderen pflücken sie Erdbeeren und Brombeeren am Wegrain. So sammle und gebrauche auch du die irdischen Güter mit der einen Hand, mit der anderen halte dich an der Hand des himmlischen Vaters fest. Schau immer wieder zu ihm auf, ob ihm dein Tun und dein Wandel recht ist. Hüte dich vor allem, seine Hand loszulassen und dich seiner Obhut zu entziehen, in der Meinung, du könntest dann mehr zusammenraffen. Hält er dich nicht mehr, dann wirst du keinen Schritt tun, ohne hinzufallen.“
Es sind sehr schöne Bilder, die uns alle samt deutlich machen, wie einfach Glauben sein kann. Wir brauchen uns wahrlich nur die staunenden Augen der Kinder anzuschauen und wissen, wie es geht. „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde“, betete daher auch Jesus, „weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast“ (Mt 11,25). Aus diesem Grund wahrscheinlich müssen die Weisen und Klugen dieser Welt forschen und forschen und dicke Bücher wälzen, den Kindern aber genügt, um zum gleichen Ergebnis zu kommen, eine einfach Drei-Hasen-Zeichnung.
Dass dieser „kleine theologische Weg“ eines staunenden Kindes auch kirchlich anerkannt ist, beweist die hl. Therese von Lisieux (1873 – 1897). Aufgrund ihres berühmten Tagebuches „Geschichte einer Seele“, in dem sie ihren ganz persönlichen „kleinen Weg“ zu Gott beschreibt, wurde sie 1997 zur Kirchenlehrerin erhoben. Wenn man bedenkt, dass „Theresia vom Kinde Jesu“, wie sie auch genannt wird, nur 24 Jahr alt wurde, dann hat sich wirklich wieder einmal bewahrheitet, was schon im Psalm 8 zu lesen ist: „Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob, deinen Gegnern zum Trotz; deine Feinde und Widersacher müssen verstummen.“
Noch einmal zurück zu meinem Neffen. Mittlerweile geht er in die vierte Klasse, kann schreiben und rechnen und wird sich auch von meinen Hasen-Zeichnungen nicht mehr so schnell beeindrucken lassen. Mittlerweile ist er auch Ministrant geworden und manchmal, wenn ich zu Hause bin und dort Gottesdienst feiere, beobachte ich ihn dabei. Ich wünsche mir, dass er sich sein Staunen, dass er jetzt noch dabei empfindet, für sein Leben bewahrt, jenes kindliche Staunen, das uns die Herrlichkeit Gottes in all seiner Pracht am besten und auch einfachsten entdecken lässt.
Herbert Winklehner OSFS