Franz von Sales und das Hochfest am 8. Dezember
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Am 8. Dezember 1854 war es dann kirchenamtlich. Der selige Papst Pius IX. (1792-1878) verkündete an diesem Tag feierlich den Glaubenssatz, dass Maria ohne Erbsünde empfangen wurde. Dieser Glaube bildete seit dem 9. Jahrhundert die Grundlage für das Hochfest „Maria Empfängnis“, das von der großen Verehrung zeugt, welche die Kirche von Anfang an für Maria hegt.
Der heilige Franz von Sales (1567-1622) war ebenso ein großer Marienverehrer. Seine Verehrung hat ihren Ursprung unter anderem in seiner marianischen Erfahrung während seiner tiefen Glaubenskrise als 19-jähriger Student in Paris.
Damals wurde unter den Theologen auf das Heftigste darüber diskutiert, ob der Mensch etwas zu seiner eigenen Rettung beitragen könne oder ob alles in der Gnade Gottes liege. Während die Katholiken der Überzeugung waren, dass der Mensch durch gute Werke dazu beitragen kann, damit er in den Himmel komme, vertraten die Calviner die Auffassung, dass Gott von vorneherein für jeden einzelnen Menschen bestimmt hat, ob dieser erlöst oder verdammt sei.
Diese Diskussion um die so genannte „Lehre von der Vorherbestimmung“ oder „Prädestination“ traf Franz von Sales mitten ins Herz. Er war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob sein frommes und tugendhaftes Leben, seine Gebetsübungen, seine Liebe zu Gott und der Kirche wirklich für das Paradies ausreichen. Sein Glaubensgebäude, das er sich durch seine gute christliche Erziehung zurechtgezimmert hatte, stürzte Schritt für Schritt in sich zusammen bis er Ende 1586 tatsächlich meinte, dass Gott ihn verdammt hätte. Er könne leben wie er wolle, es wird nichts helfen, nach seinem Tod wird er in die Hölle kommen, weil Gott ihn dazu vorherbestimmt habe. Diese Erkenntnis traf ihn so tief, dass er tatsächlich auch körperlich erkrankte.
Ganz in der Nähe seiner Wohnung befand sich die Kirche St.-Etienne-des-Gres, bekannt durch ihre Statue der Schwarzen Madonna. Diese Kirche wurde sein Zufluchtsort. Ungefähr sechs Wochen lang, von Anfang Dezember 1586 bis Mitte Januar 1587, schleppte er sich immer wieder dort hin, um seine Not und Verzweiflung in die Arme der Gottesmutter zu legen. Das Marien-Gebet „Memorare“ begleitete ihn. In diesem uralten Gebet wird etwas ausgesprochen, woran der junge Student in seiner tiefen Verzweiflung festhielt:
„Gedenke, gütige Jungfrau Maria, es ist noch nie gehört worden, dass jemand, der zu dir seine Zuflucht genommen, deine Hilfe angerufen und um deine Fürbitte gefleht, von dir verlassen worden sei. Von solchem Vertrauen beseelt, nehme ich zur dir meine Zuflucht, Mutter Jesu Christi und Jungfrau der Jungfrauen. Zu dir komme ich, vor dir stehe ich als armer sündiger Mensch. Mutter des ewigen Wortes, verschmähe nicht meine Bitte, sondern höre mich gnädig an und steh für mich ein bei deinem Sohn Jesus Christus. Amen.“
Niemand, der zu Maria seine Zuflucht nimmt, wird abgewiesen werden. Daran klammerte sich Franz von Sales und Mitte Januar 1587 fand er vor der Schwarzen Madonna von St.-Etienne-des-Gres auch tatsächlich aus seiner Krise heraus. Im Gebet zu Maria wurde ihm plötzlich klar, dass Gott niemals etwas wollen kann, was für den Menschen nicht das Beste ist, denn Gott ist die Liebe. Sein Wille kann daher nur Ausdruck seiner Liebe und damit nur gut sein, egal, ob ich diesen Willen verstehe oder nicht.
Wenn sich Franz von Sales also voll und ganz in die Hände Gottes fallen lässt, ihm voll und ganz vertraut, so wie Jesus am Ölberg, als er vor Angst und Verzweiflung Blut geschwitzt hatte, dann kann alles nur gut werden. Das wurde Franz von Sales im Angesicht der Gottesmutter deutlich und ab diesem Zeitpunkt war er bis an sein Lebensende von jeglichem Glaubenszweifel und jeglicher Zukunftsangst erlöst.
Milliarden von Menschen, berühmte und weniger berühmte, Menschen aller Nationen, jeglichen Standes, Berufes, Alters und jeglicher Bildung machten in den letzten zweitausend Jahren ähnliche Erfahrungen wie Franz von Sales. Wer seine Zuflucht zur Gottesmutter Maria nimmt, der wird nicht enttäuscht, sondern erfährt die große und heilsame Wirkung Gottes. Der Stellenwert Marias im Christentum ist daher von Anfang an besonders groß.
Schon die Apostel selbst nahmen sie in ihre Mitte, um gemeinsam mit ihr auf die Herabkunft des Heiligen Geistes zu warten (Apg 1,14). Sie wussten: Diese Frau ist nicht nur die Mutter des Jesus von Nazareth, des Messias und Sohnes Gottes. Sie wussten auch, dass diese Frau ihren Sohn bis unter das Kreuz gefolgt war, etwas das von den Aposteln einzig Johannes zustande brachte. Sie wussten, dass sie ihr ganzes Leben lang zum Willen Gottes, so unverständlich er ihr auch erschienen haben mochte, JA gesagt hatte: „Ja, ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Sie blieb diesem JA zu Gott treu bis in die dunkelsten Stunden ihres Lebens: in der Armut und Ausgestoßenheit Betlehems, auf der Flucht und im Exil in Ägypten, dann in Galiläa und Judäa, als ihr Sohn mit seiner Botschaft auf Widerstand stieß und immer heftiger kritisiert wurde, schließlich am Kreuzweg und auf Golgota. Sie trug ihr Kind zu Grabe. Ihre Seele wurde von Schmerzen zerschnitten. Dennoch glaubte sie daran: „Ja, ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe, wie du gesagt hast.“
Die Größe Marias wird von der katholischen Kirche nicht nur durch zahlreiche Marienfeste, sondern auch durch einige sehr wichtige Glaubenssätze unterstrichen. Eines dieser Dogmen ist das Dogma der „Unbefleckten Empfängnis Mariens“, dessen Fest wir jedes Jahr am 8. Dezember feiern. Im offiziellen kirchlichen Wortlaut feiern wir an diesem Tag das „Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau Maria“. Dieses Fest darf also nicht mit dem Dogma der „Jungfräulichkeit Marias“ und dem Hochfest „Verkündigung des Herrn“ (25. März) verwechselt werden. Trotz der Nähe zu Weihnachten geht es am 8. Dezember nicht um die wunderbare Zeugung Jesu durch den Heiligen Geist, sondern um die Zeugung Marias durch ihre Eltern Joachim und Anna. Diese zeugten Maria auf ganz natürlich Weise, jedoch ohne jeden Makel der Erbsünde, weil Gott von allem Anfang an Maria als Mutter Jesu ausersehen hat und sie daher vom allerersten Augenblick ihres Lebens an vor der Macht der Sünde errettete.
Bereits im 9. Jahrhundert nach Christus lässt sich dieses Fest unter den Christen nachweisen. Das entsprechende Dogma, also die offizielle Lehraussage verkündete der selige Papst Pius IX. am 8. Dezember 1854 in seinem apostolischen Schreiben Ineffibilis Deus („Der unbegreifliche Gott“). Dort heißt es wörtlich:
„Zu Ehren der Heiligen und Ungeteilten Dreifaltigkeit, zu Schmuck und Zierde der jungfräulichen Gottesmutter, zur Erhöhung des katholischen Glaubens und zur Mehrung der christlichen Religion, in der Autorität unseres Herrn Jesus Christus, der seligen Apostel Petrus und Paulus und der Unseren erklären, verkünden und definieren Wir: Die Lehre, dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch ein einzigartiges Gnadenprivileg des allmächtigen Gottes, im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi, des Erretters des Menschengeschlechtes, von jedem Schaden der Erbsünde unversehrt bewahrt wurde, ist von Gott geoffenbart und darum von allen Gläubigen fest und beständig zu glauben.“
Genau diesen Glauben bekennen und feiern wir in der katholischen Kirche am 8. Dezember. (Übrigens verehren auch die Muslime Maria als vorbildlichen Menschen, der bereits im Mutterleib von Gott auserwählt und unter seinen besonderen Schutz genommen worden ist. So steht es im Koran, Sure Nummer 3.)
Der Grund für dieses Dogma bildete eine theologische Streitfrage im Zusammenhang mit der Erbsünde. In dieser Auseinandersetzung ging es um die Frage, wie Maria als Gottesmutter am Erlösungswerk Gottes durch Jesus Christus teilnehmen konnte, wenn sie – so wie alle anderen Menschen auch – unter den Bedingungen der Erbsünde lebte. Die einen, vor allem die Theologen der Dominikaner, meinten, dass Maria einer göttlichen Reinigung oder Heiligung unterzogen wurde, bevor sie Jesus vom Heiligen Geist empfing. So wie eben der Mensch durch die Taufe von der Erbsünde gereinigt wird. Die anderen, besonders die franziskanischen Theologen, vertraten die Ansicht, dass Maria bereits ohne Erbsünde empfangen wurde, weil Gott dies in seinem Erlösungsplan von Anbeginn der Welt so vorgesehen hatte. Diese Lehre setzte sich im Laufe der Jahrhunderte durch und wurde 1854 durch Papst Pius IX. als Dogma fixiert.
Der heilige Franz von Sales wurde 1877 in die Reihe der großen Kirchenlehrer aufgenommen. Er stellte sich zu seiner Zeit auf die Seite der franziskanischen Theologen und nahm damit das heutige Dogma vorweg. In einer Predigt zum 8. Dezember 1622, zwanzig Tage vor seinem Tod, erklärt er dieses Fest folgendermaßen:
„Was Unsere liebe Frau betrifft, die seligste Jungfrau, wurde sie auf dem gewöhnlichen Weg der Zeugung empfangen. Da Gott sie aber in seinem Plan von aller Ewigkeit zu seiner Mutter vorherbestimmt hat, bewahrte er sie rein und frei von aller Befleckung, obwohl sie ihrer Natur nach sündigen konnte. Darüber gibt es keinen Zweifel, was die persönliche Sünde betrifft. … Der Herr aber griff im Augenblick ihrer Empfängnis ein oder fing sie vielmehr gewissermaßen auf, um zu verhindern, dass sie der Erbschuld verfiel. … Sie musste diesen einzigartigen Vorzug haben, weil es untragbar wäre, dass der Teufel Unserem Herrn vorhalten könnte, ihm sei jene dienstbar gewesen, die ihn in ihrem Schoß getragen hat.“
Interessant ist, welche Konsequenzen Franz von Sales aus dieser Lehre für die Verehrung Marias zieht:
„Sagen wir nun etwas über die Verehrung, die wir für die heilige Jungfrau haben müssen. Die Weltleute stellen sich gewöhnlich vor, die Verehrung Unserer lieben Frau bestehe darin, einen Rosenkranz am Gürtel zu tragen, und es scheint ihnen zu genügen, davon einen Teil zu beten, ohne sonst etwas zu tun. Darin täuschen sie sich sehr. Unsere teure Herrin will ja, dass man tut, was ihr Sohn befiehlt (Joh 2,5), und sie betrachtet als ihr selbst erwiesen die Ehre, die man ihrem Sohn erweist, wenn man seine Gebote beobachtet.“
Ein jeder noch so gut definierte Glaubenssatz und ein jedes noch so gut und feierlich gestaltetes Hochfest nützen etwas, wenn nichts davon in das praktische Leben umgesetzt wird. Alle Dogmen, die von der Kirche im Laufe der Jahrhunderte über Maria verkündet wurden – das Dogma der Jungfräulichkeit, der Gottesgebärerin, ihre leibliche Aufnahme in den Himmel und das Dogma ihrer Empfängnis ohne Erbsünde – wollen uns darauf hinweisen, dass Jesus Christus unser Herr ist, der Sohn Gottes, der auf die Welt gekommen ist, um uns zu erlösen. Maria spielt in diesem Erlösungswerk eine herausragende Rolle, aber auch sie will von uns nur eines: „Was Jesus Christus sagt, das tut“ (Joh 2,5). Je größer und herausragender wir Maria verehren, umso mehr Gewicht erhält dieser Wunsch Marias an die Menschen.
Herbert Winklehner OSFS