Liebe Schwestern und Brüder,
eine chinesische Fabel erzählt Folgendes: Als Gott die Welt erschaffen hatte und die Zahl der Menschen immer größer wurde, entstand ein großes Getümmel unter den Menschen, und Gott sah, dass er in die Menschen Ordnung bringen müsse. So entschied er jedem Menschen ganz nach dessen Fähigkeiten einen Beruf zu geben. Und so geschah es auch. Er rief alle Menschen zu sich, holte sich einen großen Sack voller Berufe und verteilte diese an die Menschen, ganz nach ihren Fähigkeiten. War ein Mensch kräftig und stark, wurde er Schmied. War ein Mensch besonders klug, wurde er Professor usw. Während des ganzen Geschehens stand ein Mensch etwas im Hintergrund, im Abseits. Er hatte einen Notizblock in der der Hand und notierte genau all das, was mit seinen Augen scharf beobachtete. Einiges, was da vor sich ging, fand er gut, einiges aber betrachtete er aber auch sehr kritisch. Nicht alles gefiel ihm. Dieser Mensch nun war der letzte, der zu Gott kam, um sich seinen Beruf zuteilen zu lassen. Gott griff in den Sack, aber der Sack war leer. Gott aber erbarmte sich dieses Menschen, denn er fand es interessant, wie dieser Mensch alles Geschehen so eifrig beobachtete und so genau aufzeichnete. Und so befahl er, dass sich alle Menschen noch einmal vor ihm versammeln, wobei ein jeder einen Teil seines Berufes wieder ind en Sack zurückgeben solle. Und so geschah es auch. Aber es waren natürlich nicht die angenehmsten Teile, die man von seinem Beruf wieder zurückgab. Am Ende aber schüttelte Gott seinen Sack, griff hinein, gab dem Menschen seinen Beruf und sagte: Du sei Journalist.
An dieser chinesischen Fabel wird das Dilemma des Journalistenberufes deutlich: der Journalist weiß nicht genau, wer oder was er jetzt eigentlich wirklich ist, er besitzt von allen Berufen etwas, eine genaue Definition seines Berufes kann er nicht geben. Er hat ganz eigenartige Fähigkeiten: die Beobachtungsgabe, das Stehen im Hintergrund und das genaue Notieren der einzelnen Vorgänge. Fähigkeiten also, wo man nicht genau weiß, ob sie jetzt gut oder schlecht sind. Dazu kommt noch die Art und Weise der Beurteilungen, die sich der Mann im Hintergrund erlaubt: Manches findet er gut, manches aber kritisiert er auch. Alles in allem wird hier einer beschrieben, den man zunächst einmal distanziert und mit Vorsicht zu genießen hat. Und es gibt sicher keinen Journalisten auf der Welt, der diese Vorsicht und diese Distanz noch nicht gespürt hätte. „Vertraue keinem Journalisten“, heißt es immer wieder, „denn die machen doch mit der Wahrheit, was sie wollen“. Und trotzdem nimmt Gott auch diesen Menschen an, ja er findet es sogar interessant, was dieser Mensch so alles tat, seine Beobachtungen und Notierungen. Und als seine Berufe alle ausgegangen waren, schuf er extra für diesen Menschen einen eigenen Beruf, weil er es für notwendig hält, dass dessen Fähigkeiten nicht verloren gehen.
An dieser Geschichte ist viel Wahres dran. Und auch die Kirche weiß um die Bedeutung, aber auch um die Schwierigkeiten des Journalistenberufes und daher hat sie den Frauen und Männern dieses Berufsstandes einen ganz besonders bedeutenden Heiligen als Schutzpatron zur Seite gestellt: den hl. Franz von Sales. Warum aber gerade den hl. Franz von Sales? Ich meine, weil dieser Heilige das geeignete Korrektiv im Dilemma des Journalisten darstellt. Der hl. Franz von Sales selbst verwendete Methoden des Journalismus, weil er überzeugt war, dass diese Methoden für die Verkündigung der Frohen Botschaft sehr hilfreich sind. Er erkannte aber auch die Gefahren, die damit verbunden sind: die Gefahren der Manipulation, der Rufschädigung, der Meinungshetze und der Lüge. Und es ist seiner besonderen Heiligkeit zu verdanken, dass er diesen Gefahren nicht nur nicht unterlegen ist, sondern dass er den wertvollen Seiten dieses Berufsstandes zur höchsten Qualität verhalf (siehe auch: Patron der Journalisten und Schriftsteller).
Nur einige konkrete Beispiele: Franz von Sales hatte in den Jahren 1593 - 98 die Aufgabe, das Gebiet um den Genfer See, das zum Calvinistischen Glauben übergetreten war, zu missionieren. er verwendete für diese Aufgabe das journalistische Mittel des Flugblattes, um seine Sicht der Wahrheit der calvinischen gegenüberzustellen. Und er tat das nicht mit harten Attacken gegen die Calvinisten, nein: er stellte klar und deutlich, und so objektiv als möglich die Wahrheit des katholischen Glaubens dar, ohne damit Andersdenkende in ihrer Personenwürde zu verletzen. „Man muss wohl die Wahrheit klar und deutlich sagen“, schrieb er einmal in einem Brief, „aber immer mit Liebe und Achtung vor der Würde der Person.“ Die Medienkampagne des hl. Franz von Sales unterschied sich darin ganz entscheidend zu manchen Zeitungskampagnen seiner Zeit und natürlich auch der heutigen Zeit.
Oder: der hl. Franz von Sales war als Priester und noch mehr als Bischof ein überaus beschäftigter Mann. Von einem Termin zum anderen, von einer Aufgabe zur anderen, von einem Gespräch zum anderen verlief sein seelsorgerlicher Alltag. Und trotzdem oder gerade deshalb wird man in so großes Staunen versetzt, wenn man die detaillierte Genauigkeit seiner Schriften und Predigten verspürt. Man fragt sich wirklich manchmal, woher dieser Bischof die Zeit genommen hat, für dies sorgfältigen und genauen Stellungnahmen und Abhandlungen. Motiv für diese Genauigkeit war ganz eindeutig seine übergroße Liebe zur Wahrheit, von der er selbst sagt dass sie „in sich so schön und köstlich ist, dass unser Verstand sie notwendigerweise mit Liebe und höchstem Wohlgefallen umfängt.“
Man würde sich heute tatsächlich wünschen, wenn manche Journalisten wenigstens etwas von dieser Wahrheitsliebe des hl. Franz von Sales besäßen. Wir haben heute vom Dilemma des Journalistenberufes gehört und vom Patron der Journalisten, der mit diesem Dilemma wunderbar umzugehen verstand. Der hl. Franz von Sales hat also auch heutigen Journalisten noch etwas zu sagen und es ist keine Zeitverschwendung, wenn man sich einmal etwas mit seinen Schriften beschäftigen würde. Amen.
Herbert Winklehner OSFS
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