Eine Tugend für den Alltag
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Die Demut war das Thema meines letzen Beitrages in dieser Serie über die Tugenden. Ich schrieb ihn zu einem Zeitpunkt, da der Krieg gegen den Irak gerade ausgebrochen war. Nun haben die US-Armee und ihre Verbündeten den Irak erobert und das Regime von Saddam Hussein gestürzt. War also die Sprache der Waffen doch die richtige? Ich glaube nicht. Jesus fordert uns nicht zur Gewalt auf, sondern zur Gewaltlosigkeit. Er möchte, dass wir von ihm die Sanftmut lernen.
Für den hl. Franz von Sales ist die Tugend der Sanftmut die logische Konsequenz aus der Demut. Weil ich durch die Demut weiß, wie ich bin, und weil ich weiß, dass Gott mich auch mit meinen Fehlern und Schwächen annimmt, ist es nur recht und billig, dass ich mit meinen Mitmenschen und mit mir selbst ebenso umgehe. Das ist das Übungsfeld der Sanftmut: das Zusammenleben mit anderen Menschen in der Familie, am Arbeitsplatz, in meiner Freizeit, das Ertragen der Fehler des anderen und das Ertragen der eigenen Schwächen.
Sanftmut darf jedoch nicht missverstanden werden im Sinne einer falschen Weichlichkeit. Die Sanftmut ist nicht eine Art „rosarote Brille“, durch die hindurch alle Sünden gar nicht mehr so schlimm erscheinen. Sie verwischt und verkleinert keineswegs eigene oder fremde Fehler. Im Gegenteil: Der Sanftmütige sieht sehr wohl, was er selbst oder andere falsch machen, er gerät dabei jedoch nicht in Zorn, sondern sieht hinter all den Fehlern den Menschen, der viel Geduld und Liebe braucht, um sich zu verbessern.
Kurz vor meiner Priesterweihe vor 14 Jahren sprach ich mit einem älteren, nun schon verstorbenen Pfarrer darüber, wie man sich als Priester gegenüber seinen Mitchristen, die einem anvertraut sind, verhalten soll. Er antwortete mir in seiner humorvollen Art und Weise: „In der Predigt verhalte dich wie ein brüllender Löwe, im Beichtstuhl aber sei sanft wie ein Lamm.“
Ich musste damals sofort an den hl. Franz von Sales denken, dessen Devise lautete: „Behandle die Sünde scharf, den Sünder aber milde.“ Franz von Sales meint: „Der Geist der Milde ist der wahre Geist Gottes. Glauben Sie mir, man muss wohl die Wahrheit sagen, aber ganz sanft. Man muss wohl über das Schlechte empört und fest entschlossen sein, sich niemals darauf einzulassen; dennoch muss man dem Nächsten gegenüber ganz mild bleiben.“
Und im Verhalten gegenüber den eigenen Sünden rät er uns: Wenn du auf deinem Weg einmal hingefallen bist, dann ärgere dich nicht allzu sehr darüber. Mach dir bewusst, dass du einen Fehler gemacht hast, aber sprich deiner Seele Mut zu: Komm, liebe Seele, steh wieder auf und geh deinen Weg weiter. Was also meine Schwächen und meine Fehler betrifft, so gibt mir die Sanftmut den Rat: Nimm sie ruhig an, akzeptiere sie. Du bist in deiner Eigenart nicht schlechter als deine Mitmenschen. An deinen Fehlern und an deinem Versagen sollst du nicht verzweifeln, aber auch nicht von ihnen wegschauen. Mutig sollst du dazu stehen und täglich versuchen, es besser zu machen - verbunden mit dem großen Vertrauen, dass du trotz allem in Gottes Hand geborgen bist.
Das biblische Vorbild der Sanftmut ist das Gleichnis vom barmherzigen Vater (Lk 15,11-32). Der Sohn entschließt sich, sein Erbe zu fordern und den Vater zu verlassen. Es ist eine ganz klare Fehlentscheidung. Wie reagiert der Vater? Er reagiert mit Sanftmut. Er weist seinen Sohn darauf hin, dass er es für falsch hält, was dieser zu tun gedenkt. Er macht ihm aber auch klar, dass der Sohn trotz allem sein Sohn bleibt. Dem Sohn ist das zunächst egal. Er geht in die Fremde, verschleudert das gesamte Erbe und landet schließlich bei den Schweinen. Erst dort, am Tiefpunkt angelangt, erkennt er seinen Fehler und erinnert sich wieder an seinen Vater. Dessen Sanftmut erlaubt dem Sohn die Umkehr. Er entschließt sich, zum Vater zurückzukehren und neu anzufangen. Der Sanftmut des Vater ist es zu verdanken, dass der Sohn diese Möglichkeit überhaupt in Erwägung zieht.
Ich kenne mittlerweile einige Menschen, die ihre Fehler eingesehen haben und umkehren wollen, es aber nicht können, weil sie keine Menschen wissen, die sie so wie der barmherzige Vater des Gleichnisses in ihre Arme schließen. Sie haben Angst umzukehren, weil sie sich nicht sicher sind, dass ihnen verziehen wird. Die Hartherzigkeit ihrer Mitmenschen versperrt ihnen die Möglichkeit, wieder neu anzufangen, nachdem sie aus ihren Fehlern gelernt haben. Das ist sicherlich nicht im Sinne Jesu, der uns das Gleichnis des barmherzigen Vaters erzählt und sich vor allem den Sündern und Ausgestoßenen zugewendet hat.
Für einen Christen ist nicht die Hartherzigkeit und die Unversöhntheit das Ziel seines Handelns, sondern Sanftmut und Barmherzigkeit. Das bedeutet:
- Ein sanftmütiger Christ schließt den Sünder, der umkehrt, genauso in die Arme, wie der barmherzige Vater. Ja, er tut noch mehr: Er geht jeden Tag hinaus auf den Hügel und hält Ausschau. Er zeigt seinen Mitmenschen, dass sie bei ihm immer willkommen sind, auch wenn sie irgendwann einmal einen schweren Fehler begangen haben.
- Ein sanftmütiger Christ geht wie Jesus dem Sünder entgegen und nimmt Platz an seinem Tisch, so wie Jesus es beim Zöllner Zachäus getan hat (Lk 19,1-19).
- Der sanftmütige Christ ist vor allem nicht nachtragend und schon gar nicht eifersüchtig auf seine Mitmenschen, die eine neue Chance erhalten haben. Im Gleichnis vom barmherzigen Vater handelt ja jener Bruder, der aus Eifersucht nicht am Fest der Umkehr des Bruder teilnimmt, völlig falsch.
- Der sanftmütige Christ weiß jedoch sehr wohl, was falsch und richtig ist, und er wird die Grenzen von Gut und Böse nicht wegen falsch verstandener Toleranz verwischen. Die Sünde wird von ihm scharf angeprangert, der Sünder aber bekommt bei ihm immer eine neue Chance.
Im großen Gefüge der Weltpolitik haben wir kaum etwas mitzureden. Sicher, wir können gegen Gewalt demonstrieren und bei einer Wahl unsere Stimme für eine Partei abgeben, die den Krieg als Werkzeug politischen Handelns ablehnt. Viel mehr Gelegenheiten, die Sanftmut zu üben, gibt uns aber das ganz alltägliche Leben im Umgang mit jenen Menschen, mit denen wir zusammenleben. Und hier ist oft das Phänomen zu beobachten, dass man ferner stehenden Menschen sehr wohl sehr tolerant sein kann, sich den nächsten Angehörigen aber wegen der kleinsten Verfehlung wie ein brüllender Löwe verhält. Wie lieb und nett, höflich und tolerant kann doch ein Ehemann gegenüber anderen sein, seine Ehefrau aber leidet unter der Tyrannei ihres Gatten.
Gerade als Christen, die wir ein Leben im Geiste Jesu verwirklichen wollen, sollten wir wirklich jede Chance nützen, die uns geschenkt wird, um sanftmütig zu sein. Die erste Chance ist mein nächster Angehöriger, den ich immer bei mir habe. Und falls jemand meint, dass er mit einem Menschen in seiner Umgebung überhaupt nichts mehr zu tun haben will, weil dieser dermaßen böse und schlecht ist, dann sollte er sich vielleicht immer wieder einmal an ein weiteres Wort Jesu in Erinnerung rufen, ein Wort, das ihm wahrscheinlich nicht nur die Sanftmut sondern auch wiederum die Demut lehrt: „Warum siehst Du den Splitter im Auge Deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst Du nicht?“ (Mt 7,3)
Herbert Winklehner OSFS