From Franz von Sales

Lexikon: Studien :: Johanna Franziska von Chantal

Johanna Franziska von Chantal:

"Wir müssen voll auf Gott vertrauen,
der uns niemals im Stich lässt."

von Herbert Winklehner OSFS

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  1. 1. Kindheit
  2. 2. Der geliebte Ehemann
  3. 3. 5. März 1604
  4. 4. Gründung der Heimsuchung
  5. 5. Der Orden der Heimsuchung
  6. 6. Ganz Gott gehören
  7. 7. Nach dem Tod des heiligen Franz von Sales
  8. 8. Wir müssen voll auf Gott vertrauen
  9. 9. Der Tod Johanna Franziskas
  10. 10. Gebet

„Stellen Sie sich einmal vor, sie verlieren alles, was Ihnen in ihrem Leben wichtig und wertvoll ist: Ehemann, Kinder, alle ihre Freunde, ja sogar den geistlichen Begleiter. Das einzige, was Ihnen bleibt, ist Gott – würde ihnen das genügen?“
Als der Heilige Franz von Sales kurz vor Pfingsten des Jahres 1616 diese Frage an die heilige Johanna Franziska von Chantal stellte, wusste Sie noch nicht, dass genau das in ihrem Leben einmal eintreten wird. Alles verlieren, außer Gott.
Noch aber war es nicht so weit. Johanna Franziska erlebt wahrscheinlich gerade eine der glücklicheren Zeiten in ihrem Leben. Sie hat sich für eine Woche in die Einsamkeit zurückgezogen, um in Exerzitien über ihr Leben nachzudenken. Ihr Exerzitienmeister ist der Fürstbischof von Genf-Annecy, der heilige Franz von Sales, ihr geistlicher Weggefährte, Freund und Berater.

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1.  Kindheit

Die heilige Johanna Franziska von Chantal wurde am 23. Januar 1572 in Dijon, der Hauptstadt des Herzogtums Burgund in Frankreich, geboren. Sie war die zweite Tochter von Margarete und Benignus Frémyot. Bereits ein Jahr später, bei der Geburt des dritten Kindes, dem Sohn André, stirbt die Mutter.
Der Vater hatte zu diesem Zeitpunkt als Ratspräsident von Dijon für die Erziehung seiner Kinder sehr wenig Zeit, so wurden sie zunächst von einer Tante und später von jener Familie aufgenommen, in die die ältere Schwester einheiratete.
Der Tod hat Johanna Franziska bereits in den ersten Jahren ihres Lebens etwas sehr Wichtiges genommen, nämlich das Gefühl, bei einem Menschen ganz geborgen sein zu dürfen. Das Urvertrauen, das Kinder vor allem bei ihren Müttern erfahren, fehlte ihr, und auch der Vater war nicht bereit, ihr dieses zu geben. Vielmehr musste Johanna Franziska schneller als andere Kinder erwachsen werden, das heißt auf eigenen Beinen stehen, Verantwortung übernehmen und eigenständig durch das Leben kommen.
Vielleicht ist hier ihr späteres Organisationstalent, ihr wirtschaftliches Geschick und ihr Durchhaltevermögen grundgelegt, das sie später als Baronin von Chantal auf den Schlössern Bourbilly und Monthelon und vor allem als Gründerin und Organisatorin vieler Klöster der Heimsuchung an den Tag legte. Vielleicht liegt hier ebenso der Grund ihres aufopfernden sozialen Engagements für die Armen und Kranken, sei es in ihrer Heimat Burgund oder später in Annecy. Weil sie selbst als Kind wenig Geborgenheit und Hilfe erfuhr, konnte sie umso mehr mit den Armen und Ausgestoßenen mitfühlen.

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2.  Der geliebte Ehemann

Als Johanna Franziska Ende 1592, also reichlich spät für die damalige Zeit, im Alter von 20 Jahren Christoph, den Baron von Chantal, heiratete, bekam sie endlich diese Liebe und Geborgenheit, die sie bisher entbehren musste. Damals war es sehr ungewöhnlich, dass zwei Menschen heirateten, die sich wirklich liebten. Normalerweise wurden die Ehen von den Eltern arrangiert und dienten eher dem Erhalt der Familie und der Vergrößerung des Familienbesitzes als dem Wachsen der gegenseitigen Liebe zweier Menschen. Bei Johanna und Christoph aber war es tatsächlich eine Liebesheirat.
Ihre ersten beiden Kinder starben unmittelbar nach der Geburt, die vier weiteren Kinder aber überlebten: Celsus Benignus, der älteste Sohn, und die Töchter Marie-Aimeè, Françoise und Charlotte.
Johanna Franziskas Glück war fast perfekt: ein geliebter Ehemann und vier gesunde Kinder. Einziger Wehrmutstropfen war, dass Christoph in den Diensten des Königs von Frankreich stand und daher monatelang in Paris sein musste. Auch wenn sie selbst die wirtschaftliche und personelle Leitung des Schlosses gut im Griff hatte, sehnte sie sich dennoch danach, dass ihr Ehemann als Schlossherr und Vater der Kinder länger zuhause blieb.
1601 nun, kurz nach der Geburt des vierten Kindes, traf Christoph die Entscheidung, seinen Dienst am Königshof zu quittieren, um wirklich ganz für seine Familie da sein zu können. Johanna Franziska war über dieser Entscheidung sehr glücklich. Umso grausamer traf sie dann der Schicksalsschlag, der ein paar Wochen nach der Rückkehr des Ehemannes erfolgte: Christoph ging eines Tages mit seinem besten Freund auf die Jagd. Dabei löste sich beim Gewehr des Freundes ein Schuss und traf Christoph tödlich.
Johanna Franziska fiel in ein tiefes Loch. Sie hat nicht nur ihren geliebten Ehemann auf tragische Weise verloren und stand nun als allein erziehende Mutter mit vier Kindern im Alter von fünf bis kaum einem Jahr da, sie wurde auch noch von ihrem Schwiegervater Guy von Chantal gezwungen, dessen Schloss in Monthelon ebenso mitzuverwalten. Sollte Johanna Franziska dazu nicht bereit sein und mit ihren Kindern zurück zu ihrem Vater nach Dijon ziehen, sähe sich der Schwiegervater gezwungen, sie und die Kinder zu enterben. Vom Gesetz her war nämlich nicht Johanna Franziska sondern Guy von Chantal der Vormund und Verwalter des Besitzes der Kinder.
Johanna Franziska fügte sich, suchte aber Rat und Hilfe bei ihrem Beichtvater. Dieser verstand jedoch ihr Leid und ihre Sorgen nicht. Im Gegenteil, er hielt das ganze für die kleinliche Jammerei einer übersensiblen Frau. Anstatt ihr zu helfen, forderte er sie zu allen möglichen strengen Gebetsübungen auf. Wenn sie sich nur recht strengen religiösen Übungen unterzöge, behauptete dieser, werde sie von Gott schon den nötigen Trost erhalten.
Genau in dieser Lebenslage kam es dann zum 5. März 1604, einem Tag, der das Leben Johanna Franziskas entscheidend verändern sollte.

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3.  5. März 1604

In der Fastenzeit 1604 lud der Vater Benignus Frémyot seine Tochter Johanna Franziska ein, für ein paar Wochen nach Dijon zu kommen, um sich dort zu erholen. Am 5. März 1604 saß Johanna Franziska von Chantal deshalb unter der Kanzel der Kirche Sainte Chapelle in Dijon und wartete auf die Fastenpredigt des Fürstbischofs von Genf mit Sitz in Annecy, Franz von Sales. Johanna Franziskas Bruder André war mittlerweile Erzbischof geworden und hatte den berühmten Prediger aus der Nachbardiözese eingeladen, die Fastenpredigten zu halten.
Als Franz von Sales die Kanzel betrat, fiel ihm sofort die adelige Dame im Witwenkleid auf. Später beim Empfang des Erzbischofs traf er Johanna Franziska und wurde ihm als dessen Schwester vorgestellt.
Im Laufe der nächsten Wochen trafen sich die beiden noch einige Male. Johanna Franziska begann über ihre Sorgen zu erzählen und erlebte in Franz von Sales erstmals einen Menschen, der sie in ihrem Leid ernst nahm und ihr verständnisvoll zuhörte. Es tat ihr so gut, dass sie Franz von Sales bat, er möge auch in Zukunft ihr geistlicher Begleiter sein.
In seinem ersten Brief, den Franz von Sales an Johanna Franziska von Chantal schrieb, meinte dieser: „Gott, so scheint es mir, hat mich ihnen gegeben; dies wird mir mit jeder Stunde mehr zur Gewissheit.“
Zwischen Johanna Franziska von Chantal und Franz von Sales entwickelte sich eine in der Kirchengeschichte einzigartige geistliche Freundschaft. In etwa 350 Briefen, von denen leider von Johanna Franziska von Chantal nur noch etwa zehn Stück erhalten sind, ist dokumentiert, wie sich zwei Menschen in tiefer Freundschaft und Liebe verbunden, gegenseitig halfen, den Weg zur Heiligkeit zu finden. Was Johanna Franziska dabei ganz besonders gut tat, war der Geist der Freiheit, den Franz von Sales gleichsam als Überschrift über ihren gemeinsamen geistlichen Weg stellte. Im Gegensatz zu ihrem früheren Beichtvater zwang sie Franz von Sales zu keiner religiösen Übung, sondern im Gegenteil, er schrieb ihr:
„Dies soll die Grundregel unseres Gehorsam sein: Alles aus Liebe tun und nichts aus Zwang! Mehr den Gehorsam lieben, als den Ungehorsam fürchten.“

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4.  Gründung der Heimsuchung

Seit dem Tod ihres Ehemannes Christoph gab es von Seiten ihres Schwiegervaters immer wieder Versuche, die Baronin erneut zu verheiraten. Johanna Franziska selbst jedoch fühlte sich mehr und mehr zu einem Leben in einem Kloster berufen. Sie schrieb dies auch an Franz von Sales. Dieser jedoch meinte, das sei derzeit nicht ihre Aufgabe. Ihre Aufgabe als Christin sei es als Witwe für ihre vier Kinder zu sorgen und die beiden Schlösser zu verwalten.
Franz von Sales entdeckte in Johanna Franziska eine tiefe innere Sehnsucht nach Gott. Wie kann ich diesen Gott finden, mich noch inniger mit ihm vereinen, ihm noch besser nachfolgen, ihn noch tiefer lieben? Franz von Sales half Johanna Franziska, ihre innere Sehnsucht nach Gott in konkrete Schritte im Alltag umzusetzen. Er ermutigte sie dazu, nicht aufzugeben, wenn sie auf diesem Weg nicht weiterkam. In einem Brief schrieb er ihr zum Beispiel: „Nur Mut, meine liebe Seele! Ich sage dieses Wort mit einem starken Empfinden und in Jesus Christus: meine liebe Seele, Mut! Solange wir entschlossen sagen können: "Es lebe Jesus!", brauchen wir nichts zu fürchten.“
Im Jahr 1607 begannen Franz von Sales und Johanna Franziska dann auch über eine mögliche neue Ordensgemeinschaft von Frauen nachzudenken, die – so wie die biblischen Frauen Marta und Maria - auf der einen Seite Gott ihm Gebet dienen, auf der anderen Seite aber den Armen und Kranken beistehen. Johanna Franziska war sofort Feuer und Flamme für diese Idee. Franz von Sales erinnerte sie jedoch daran, dass dies alles nur dann möglich sei, wenn ihre Kinder versorgt und auch der Schwiegervater damit einverstanden wäre.
Es fügte sich, dass der älteste Sohn Celsus Benignus am französischen Königshof aufgenommen wurde. Die zweite Tochter Marie-Aimée heiratete Bernhard von Sales, einen Bruder des heiligen Franz von Sales. So blieben nur noch die beiden Töchter Françoise und Charlotte unversorgt, die erst 11 und 9 Jahre alt waren.
Nachdem auch der Schwiegervater sein Einverständnis gab, beschlossen Franz von Sales und Johanna Franziska, dass sie zusammen mit ihren beiden minderjährigen Kindern nach Annecy übersiedeln solle, damit sie dort mit dem Plan der Gründung einer Ordensgemeinschaft beginnen können. Ende Januar 1610 erkrankte dann die 9-jährige Charlotte schwer. Wenige Tage später war das Kind tot. Wieder einmal musste Johanna Franziska damit fertig werden, dass der Tod ihr einen lieben Menschen genommen hatte.
Drei Monate später, im April 1610, verließ sie mit ihrer Tochter Françoise ihre burgundische Heimat und zog nach Annecy.
Dort gründete sie am 6. Juni 1610 zusammen mit dem heiligen Franz von Sales die Ordensgemeinschaft der Schwestern von der Heimsuchung Mariens. Zusammen mit ihren ersten Mitschwestern Charlotte de Bréchard, Jacqueline Favre und Jacqueline Coste bezog sie an diesem Tag ihr erstes Kloster, das sogenannte „Haus der Galerie“ in Annecy. Ihre Tochter Françoise durfte bis auf weiteres im Kloster unter der Obhut ihrer Mutter leben.

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5.  Der Orden der Heimsuchung

Heute lautet das Leitwort der „Salesianerinnen“, wie die Heimsuchungsschwestern im deutschen Sprachraum auch genannt werden, folgendermaßen:
„Wir Schwestern von der Heimsuchung Mariä leben eine Spiritualität der Begegnung, die in der biblischen Begegnung von Maria und Elisabet (Lk 1,39-56) wurzelt. Wir möchten Antwort geben auf die Beziehungslosigkeit, Sprachlosigkeit und Einsamkeit unserer Zeit. Wir leben dies vor allem aus der Begegnung mit Gott, unserer Mitte und Quelle. Wir leben dies in der Begegnung mit Mitschwestern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Mitmenschen, Kirche und Welt nach dem Vorbild unserer Gründer Franz von Sales und Johanna Franziska von Chantal.“
Weltweit gibt es heute etwa 3.500 Schwestern, die im Gebet Gott loben und preisen und für Menschen da sein wollen, die sich in unterschiedlichsten Notsituationen befinden. 1610 noch war es die Idee der beiden Gründer, dass die Schwestern zu den Armen und Kranken hinausgehen, um vor Ort zu helfen. Leider wurde diese für die damalige Zeit sehr moderne apostolische Form eines Frauenklosters kirchlich nicht akzeptiert. Um eine weltweit anerkannte Ordensgemeinschaft zu werden, mussten die Ordensregeln geändert und vor allem die strenge Klausur eingeführt werden. Diese Änderung erfolgte 1615. Drei Jahre später, 1618, erteilte dann Papst Paul V. der Ordensgemeinschaft der Heimsuchung Mariä die päpstliche Anerkennung. Johanna Franziska von Chantal war über die Änderung in einen strengen Klausurorden nicht glücklich. Als stets aktive, starke Frau, die mehr oder weniger im Alleingang und mit vier kleinen Kindern zwei Schlösser verwaltet hatte und sich immer für die Armen und Kranken in ihrer Umgebung sorgte, war ein klausuriertes, beschauliches Leben sicherlich nicht das, was sie sich vorgestellt hatte. Franz von Sales jedoch beruhigte sie und ihre Mitschwestern: „Wenn Gott nicht will, dass die Schwestern zu den Armen und Bedürftigen hinaus gehen, so öffnet eure Klostertüren weit, damit sie zu euch ins Kloster kommen können.“
So geschah es dann auch. Zu jeder Zeit bis heute konnten sich Menschen für gewisse Zeit in die Heimsuchungsklöster zurückziehen, um dort Ruhe zu finden und neue Kraft zu schöpfen. Man kann also durchaus sagen, dass Johanna Franziska von Chantal und Franz von Sales die Erfinder dessen waren, was man heute weithin „Kloster auf Zeit“ nennt. Kinder und Jugendliche fanden in den Klöstern Aufnahme und wurden innerhalb der Klostermauern, die die Schwestern nicht überschreiten durften, unterrichtet und erzogen. Der Orden ist bis heute offen für gebrechliche Frauen oder Witwen.

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6.  Ganz Gott gehören

Wir befinden uns wieder im Jahr 1616. In der Woche vor Pfingsten bat Johanna Franziska Franz von Sales, sie in ihren Jahresexerzitien zu begleiten. Sie wünsche sich dafür das Thema „Ganz Gott gehören“. Und Franz von Sales hat sie intensiv mit diesem Thema beschäftigt.
„Wie fühlen Sie sich, wenn Sie wirklich ganz Gott und nur noch Gott gehören, wenn sie nichts anderes mehr haben als nur noch Gott? Können sie dann auch wie Ijob sagen: Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, gepriesen sei der Name des Herrn?“
Johanna Franziska fiel es sehr schwer, sich voll und ganz Gott anzuvertrauen. Diese Ganzhingabe an Gott und seinen Willen, so sagte sie, „dringe in ihre Seele ein wie ein scharfes Messer“. Am Ende ihrer Exerzitien aber war sie bereit, Gott alles, was ihr gehört, hinzugeben, und wie Jesus im Garten von Getsemani zu sagen: „Nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.“
Nicht einmal ein Jahr später erfuhr diese völlige Hingabe an den Willen Gottes die erste große Herausforderung. 1617 verlor sie ihre älteste Tochter Marie-Aimée bei der Geburt des ersten Kindes. Auch das neugeborene Kind, von Johanna Franziska notgetauft, starb in ihren Armen.
Am schlimmsten von allem aber war für sie der Tod ihres geistlichen Freundes und Wegbegleiters Franz von Sales am 28. Dezember 1622.
In einem Brief beschreibt sie ihre Gefühle: „Mein Herz war über alle Maßen getroffen. Ich warf mich auf die Knie und betete die göttliche Vorsehung an, in dem ich, so gut ich konnte, den heiligsten Willen Gottes umarmte und meine namenlose Betrübnis in ihm. Ich weinte heftig den noch übrigen Tag, die ganze Nacht bis zur heiligen Kommunion am nächsten Tag.“
Ihrem Bruder, dem Erzbischof André Fremyot, schrieb sie: „Wahrhaftig, noch niemals hat mein Herz eine so große Bitterkeit empfunden, noch niemals hat mein Geist eine so schwere Erschütterung erlebt. Mein Schmerz ist größer, als ich es jemals ausdrücken könnte, und es scheint mir, als würden alle Dinge meine Leiden noch vergrößern und mir neue Pein bringen.“
Über 18 Jahre lang war Franz von Sales ihr vertrautester Wegbegleiter. An diesen Verlust trug sie so schwer, dass sie sich die nächsten zwanzig Jahre bis zu ihrem eigenen Tod nur noch durch unermüdliche Arbeit davon ablenken konnte. Franz von Sales selbst hatte sie darauf vorbereitet, dass ihr eines Tages nur noch Gott allein genügen muss.

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7.  Nach dem Tod des heiligen Franz von Sales

Ihre letzten Lebensjahre widmete sich Johanna Franziska voll und ganz ihrer jungen Ordensgemeinschaft, die sich rasch in ganz Frankreich und über die Grenzen Frankreichs hinaus ausbreitete. Bis 1622 gab es bereits 13 Klöster. Bis zu ihrem Tod 1641 sollten noch 74 weitere Klöster dazu kommen.
Johanna Franziska erwies sich dabei als starke Persönlichkeit, die es verstand, ihre Klöster zu organisieren und zu leiten. Immer wieder machte sie sich auf die durchaus beschwerliche Reise, um ein Kloster zu visitieren oder ein neues Kloster zu gründen. Sie verstand es, sich auch gegenüber der Einflussnahme von weltlichen oder kirchlichen Obrigkeiten durchzusetzen, falls diese an den Zielen oder Grundsätzen der Heimsuchung, so wie sie von ihr und Franz von Sales gedacht waren, etwas ändern wollten. Daneben begann sie, sämtliche Schriften des heiligen Franz von Sales zu sammeln, zu sichten und zu sortieren, und dann neu herauszugeben, vor allem seine unzähligen Briefe, Predigten und geistlichen Gespräche, die er mit seinen Schwestern führte.
Im Zuge dieser Sichtung des schriftlichen Nachlasses des heiligen Franz von Sales entdeckte sie auch ihre eigenen Briefe wieder, die sie im Laufe der Jahre an Franz von Sales geschrieben hatte. Leider beschloss sie, all diese Briefe zu verbrennen, so dass heute von ihrem Briefwechsel mit Franz von Sales fast alle Briefe des Bischofs, aber nur noch einige wenige Briefe aus ihrer eigenen Feder erhalten sind.
Diese Sichtung aller Schriften war auch für den Seligsprechungsprozess notwendig, den sie sehr bald nach dem Tod des Franz von Sales vorzubereiten begann. 1627 wurde dieser Seligsprechungsprozess offiziell eröffnet. Im selben Jahr verlor Johanna Franziska ein weiteres Kind, nämlich ihren Sohn Celsus Benignus. Damit lebten von ihren sechs Kindern, die sie geboren hatte, nur noch ihre Tochter Françoise.
Es trat also genau das ein, worauf sie Franz von Sales vorbereitet hatte. Während sie von einer Ordensgründung zur anderen reiste, während sie sich dem Seligsprechungsprozess des Franz von Sales widmete, während sie im Jahr 1629 Annecy nicht verließ, als dort die Pest wütete, um für die Kranken und Sterbenden dazusein, während sie wichtige Entscheidungen über den Fortgang der Heimsuchung zu regeln hatte und während sie noch einmal – 1632 – bei der Öffnung des Grabes zur Seligsprechung dem unversehrten Franz von Sales gegenüberkniete, seine Hand nahm und auf ihren Kopf legte, damit er sie für die letzten zehn Jahre ihres Lebens segnen möge, verlor sie Schritt für Schritt alles, was ihr in ihrem Leben wichtig und wertvoll war.
Ihre Eltern waren tot, ihr geliebter Ehemann, fünf von ihren sechs Kindern und Franz von Sales selbst. 1637 starben innerhalb eines Jahres ihre drei liebsten Mitschwestern und Weggefährtinnen der Heimsuchung, die sie praktisch von der ersten Stunde ihres Ordenslebens begleitet hatten. 1641 schließlich, wenige Monate vor ihrem eigenen Tod, verliert sie auch noch ihren Bruder André, zu dem sie gerade in den letzten Jahres ihres Lebens ein sehr vertrauensvolles Verhältnis entwickelte. Am Ende ihres Lebens blieb ihr also tatsächlich nur noch Gott allein.

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8.  Wir müssen voll auf Gott vertrauen

Trotz all dieser Schicksalsschläge hielt Johanna Franziska daran fest, was sie von Franz von Sales gelehrt bekam: „Überlassen wir alles vertrauensvoll der göttlichen Vorsehung, auch wenn wir sie nicht verstehen, und bleiben wir in Gottes Frieden. Gottes Wille ist immer Gottes Liebe. Sein Wille geschehe.“
„Ich kann und darf nichts anderes tun, als dich zu preisen“. So schrieb Johanna Franziska, als sie wieder einmal von einem Schicksalsschlag getroffen wurde. Ein solcher Satz macht deutlich, dass sie in ihrem Kopf sehr wohl begriffen hat, dass Gott allein genügt, auch wenn dieser Gott ihr alles nimmt, ihre Gefühle jedoch, ihr Herz durchleben einen Kampf, wenn es um die Hingabe an diesen unverständlichen Willen Gottes geht.
Johanna Franziska von Chantal tat sich schwer, den Willen Gottes anzunehmen. Es erforderte von ihr Übung, Ausdauer, Kampf und Überwindung. Dennoch konnte sie mit Überzeugung sagen: „Wir müssen voll auf Gott vertrauen, der uns niemals im Stich lässt.“ Weil sie trotz allem, genauso wie Franz von Sales überzeugt war, dass Gottes Wille immer Ausdruck seiner Liebe ist.

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9.  Der Tod Johanna Franziskas

Johanna Franziska von Chantal starb am 13. Dezember 1641 im Kloster der Heimsuchung in Moulin. Ihre letzten Worte waren „Ja, mein Vater, ich komme! Jesus, Jesus, Jesus.“ Zur selben Zeit sah der heilige Vinzenz von Paul in Paris in einer Vision eine kleine Kugel, die wie Feuer leuchtete und sich von der Erde zum Himmel erhob. Dort vereinigte sie sich mit einer größeren Kugel, die ihr entgegengekommen war. Vinzenz von Paul deutete diese Vision als ein Bild für die beiden Seelen der heiligen Johanna Franziska von Chantal und des heiligen Franz von Sales, der ihr einst versprochen hatte, sie nach ihrem Tod zu empfangen. 1751 wurden ihr Gottvertrauen und ihre Hingabe an seinen Willen von der Kirche mit der Seligsprechung und 1767 mit der Heiligsprechung geehrt.
Ihr Geist lebt in ihrem Orden der Heimsuchung weiter, von denen es in Deutschland sieben Klöster gibt, in Österreich zwei und in der Schweiz ebenfalls zwei.
Johanna Franziska von Chantal wird heute als Schutzpatronin für eine glückliche Geburt angerufen. Sie kann aber für uns alle, die wir auf unserem Lebens- und Glaubensweg unterwegs sind, eine gute Fürsprecherin sein. Vor allem dann, wenn wir uns schwer damit tun, den Willen Gottes anzunehmen, haben wir in ihr eine „Mitstreiterin“, die uns sicher gut versteht. Und sie sagt uns: Zweifel, Unsicherheiten, Stürme im Herzen brauchen uns nicht zu beunruhigen, noch müssen wir meinen, dass wir sie verhindern könnten. Johanna Franziska zeigt uns, wie wir damit umgehen können: Eben dem treu bleiben, was wir einmal als richtig erkannt haben: Gott ist die Liebe – trotz allem.

Ich schließe mit einem Gebet Johanna Franziskas:

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10.  Gebet

O Herr,
deine Augen, die die innersten Falten meines Herzens durchdringen,
sehen, dass es mein größter Wunsch ist,
Deinen heiligen Willen zu erfüllen,
aber sie sehen auch meine Ohnmacht.
Deshalb, o mein Erlöser, beschwöre ich dich bei deiner unendlichen Barmherzigkeit,
Schenke mir die Gnade,
deinen Willen vollkommen zu erfüllen,
damit ich dich ohne Ende lobe und preise.
Amen.


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