verfasst 1641, in einem Brief an die Schwestern der Heimsuchung, unmittelbar nach dem Tod der heiligen Johanna Franziska von Chantal
Ich, Vinzenz von Paul, unwürdiger Generaloberer der Kongregation der Mission, bezeuge, dass Gott mir vor ungefähr zwanzig Jahren die Gnade zuteil werden ließ, die verstorbene hochverehrte Mutter von Chantal, die Gründerin des Ordens von der Heimsuchung Mariens, durch häufige Kontakte in Gesprächen und Briefen kennen zu lernen, nicht nur vor ungefähr zwanzig Jahren, als sie das erste Mal in dieser Stadt [Paris] weilte, sondern auch später bei weiteren Reisen, die sie seit damals hierher unternahm. In all diesen Gesprächen und Briefen beehrte sie mich mit ihrem Vertrauen, in dem sie mir von ihrem inneren Leben Mitteilung machte. Mir erschien es dabei immer, als lebte sie alle Arten von Tugenden. Vor allem war ihre Seele erfüllt von Glauben, obwohl sie ihr ganzes Leben hindurch von gegenteiligen Gedanken versucht wurde.
Sie hatte auch ein unvergleichliches Gottvertrauen und ein höchstes Maß an Liebe zu Seiner Göttliche Güte, dazu einen gesunden, weisen, maßvollen Verstand mit herausragender Standfestigkeit. Sie besaß Demut, Abtötung, Gehorsam und Eifer für die Heiligung ihrer Ordensgemeinschaft sowie im höchsten Grad auch für das Heil der Seelen armer Menschen. Mit einem Wort: Ich bemerkte in ihr niemals irgendeine Unvollkommenheit, sondern vielmehr die ständige Übung aller Arten von Tugenden. Und obwohl sie sich äußerlich des Friedens und der Ruhe des Geistes erfreute, die man bei Seelen erlebt, die einen solch hohen Grad an Tugend erreichten, litt sie dennoch an großen inneren Prüfungen. Viele Male erzählte und schrieb sie mir, dass ihr Geist voll sei von allen Arten von Versuchungen und Gräueln, so dass sie sich selbst ständig fernhielt, ihr inneres Leben zu prüfen, da sie den Blick auf ihre eigene Seele nicht ertragen konnte, so voller Angst war sie, weil es ihr erschien, diese sei ein Abbild der Hölle. Obwohl sie auf diese Weise litt, verlor sie niemals ihre gelassene Haltung, noch ließ sie in der Treue nach, die Gott von ihr durch die Übung der christlichen und frommen Tugenden verlangte, und auch nicht in der außergewöhnlichen Sorge um ihre Ordensgemeinschaft.
Deshalb glaube ich, dass sie eine der heiligsten Seelen war, die ich je auf dieser Erde kennen lernte, und dass sie nun glücklich im Himmel ist. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Gott ihre Heiligkeit eines Tages bekannt machen wird, wie er dies, so wie ich höre, bereits an einigen Orten in seinem Gottesreich auf verschiedene Weise tut. Eine davon wurde von einer vertrauenswürdigen Person erlebt, von der ich sicher bin, dass sie eher sterben als lügen würde [Vinzenz schreibt hier von sich selbst].
Diese Person erzählte mir, dass er, als er von der schweren Erkrankung unserer Verstorbenen hörte, auf die Knie sank, um für sie zu beten. Und der erste Gedanke, der dieser Person in den Sinn kam, war, einen Akt der Reue für die Sünden zu machen, die sie verübt hat und normalerweise noch verübt. Sofort danach erschien ihm eine kleine Feuerkugel; diese erhob sich von der Erde und begann sich mit einer anderen, größeren und strahlenderen Kugel, die sich weiter oben befand, zu verbinden; hierauf wurden die beiden zu einer Kugel und stiegen höher empor; sie trafen auf eine weitere Kugel, die unendlich größer und glänzender als die anderen war; sie betraten sie und gingen in ihr auf. Innerlich wurde ihm mitgeteilt, dass die erste Kugel die Seele unserer verehrten Mutter war; die zweite jene unseres seligen Vaters [Franz von Sales], und die andere das Göttliche Wesen. Die Seele unserer verehrten Mutter vereinigte sich mit der unseres seligen Vaters und beide vereinigten sich mit Gott, ihr Höchstes Gut.
Außerdem sagte er: Unmittelbar nachdem er von ihrem glückseligen Tod erfuhr, feierte er für unsere verehrte Mutter die Heilige Messe. Als er beim Hochgebet zu der Stelle kam, an der ein Memento für die Verstorbenen vorgesehen ist, fühlte er, dass es gut sei, für sie zu beten, da sie vielleicht im Fegefeuer sein könnte, wegen gewisser Worte, die sie früher manchmal sagte und lässliche Sünden verursacht haben könnten. Gleichzeitig sah er wieder die selbe Vision, die selben Kugeln und ihre Vereinigung, und er fühlte innerlich, dass diese Seele glücklich war und keiner Gebete mehr bedarf. Das machte auf diesen Mann einen solchen Eindruck, dass er, wann immer er auch an sie denkt, sie in diesem Zustand sieht.
Was bezüglich dieser Vision Zweifel verursachen könnte, wäre, dass die Person die Heiligkeit dieser selige Seele so hoch schätzt, dass er ihre Réponses niemals ohne Tränen lesen kann, weil er glaubt, dass es Gott selbst ist, der diese selige Seele mit dem inspirierte, was diese Antworten enthalten, und dass folglich diese Vision ein Produkt seiner Einbildung ist. Was jedoch für die Echtheit dieser Vision spricht, ist die Tatsache, dass er normalerweise nicht zu Visionen neigt und auch nie eine andere hatte, außer dieser einen.
Zur urkundlichen Beglaubigung all dessen habe ich dieses Dokument eigenhändig unterzeichnet und mit meinem Siegel besiegelt.
Vinzenz von Paul