Nun kommen wir zum zweiten Punkt, zur zweiten Eigenschaft des Palmbaumes, zur Demut. Obwohl König der Bäume, ist er doch ganz demütig, er versteckt seine Blüte in Blattscheiden oder Kapseln, die wie Taschen aussehen. Bei dieser Eigentümlichkeit der Palme denken wir an den Unterschied zwischen den Seelen, die nach Vollkommenheit streben, den Gerechten also, und den Kindern der Welt. Hat so ein Weltkind, das nur irdischen Gesetzen folgt, einmal einen guten Gedanken oder eine gute Idee, die ihm wertvoll dünkt, oder irgend eine Fähigkeit, dann gibt es keine Ruhe, bis alle, die ihm begegnen, darum wissen. Solchen Weltkindern ergeht es dann wie den Mandelbäumchen, die es im Frühling mit dem Blühen recht eilig haben; kommt Frost über Nacht, dann erfrieren sie und setzen keine Früchte an. Diese Weltkinder, die im Frühling dieses zeitlichen Lebens aus Hochmut und Ehrsucht ihre Blüten leichtsinnig entfalten, laufen stets Gefahr, vom Frost überrascht zu werden, der sie dann um die Frucht ihrer Werke bringt. Die Gerechten hingegen schützen ihre Blüten mit der Demut wie mit einer Blatthülle und verbergen sie soviel als möglich bis zum Sommer ihres Lebens, da Gott, die "Sonne der Gerechtigkeit" (Mal 4,2), ihre Herzen mächtig durchglutet im ewigen Leben, wo sie auf ewig die köstlichen Früchte der Glückseligkeit und Unsterblichkeit tragen werden. Erst wenn die Glut der Sonne die Blatthüllen sprengt, zeigt die Palme ihre Blüten und dann kommen auch schon die Früchte. Die gerechte Seele macht es nicht anders: Sie hält ihre Blüte, das heißt ihre Tugenden unter der Hülle der Demut verborgen, bis zum Tode. Dann aber sprengt der Heiland die Hülle, die Blüten öffnen sich, werden sichtbar und schon zeigen sich auch die Früchte. (DASal 2, Seite 291-303)
Kommentiert: Demut schützt das Reifen der Tugenden
Alle tugendhaften Werke eines in der Freundschaft mit Gott lebenden Herzens sind Gott geweiht; denn wenn ein Herz sich selbst hingegeben hat, hat es damit nicht auch alles hingegeben, was von ihm abhängt? Wer den Baum ohne Vorbehalt gibt, gibt er nicht auch die Blätter, die Blüten und die Früchte? "Der Gerechte aber sprosst wie die Palme, gleich der Zeder vom Libanon wächst er empor. Eingepflanzt im Hause des Herrn werden sie aufsprießen in unseres Gottes Höfen" (Ps 91,13 f). Da der Gerechte eingepflanzt ist im Hause des Herrn, wachsen seine Blätter, seine Blüten und Früchte dort und sind dem Dienst seiner Majestät geweiht. Er ist "wie ein Baum an Wasserbächen gepflanzt, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt; selbst sein Laub welkt nicht, und was auch immer er tut, es gedeiht" (Ps 1,3 f). Nicht nur Früchte der Liebe und die Blüten der Werke, die sie anordnet, sondern selbst das Laub der sittlichen und natürlichen Tugenden erhalten eine ganz eigene Güte von der Liebe des Herzens, die sie hervorbringt. (DASal 4, Seite 228)
Kommentiert: Hingabe heißt sich selbst verschenken
Thema: Fortschritt, Fruchtbringen, Geduld
Und seien Sie keineswegs erstaunt, weder in Ihren geistlichen, noch in den weltlichen Belangen, bisher nicht viele Fortschritte zu sehen. Nicht alle Bäume, meine liebe Tochter, bringen zur gleichen Zeit ihre Früchte hervor. Jene, welche die besten Früchte abwerfen, brauchen auch längere Zeit dazu, sie hervorzubringen, die Palme sogar hundert Jahre, wie man sagt. Gott hat im Geheimnis seiner Vorsehung die Zeitspanne verborgen, wann er Sie erhören und auf welche Weise er es tun wird; und vielleicht erhört er Sie in hervorragender Weise dadurch, dass er Sie nicht nach Ihren, sondern nach seinen Absichten erhört. (DASal 6, Seite 353)
Kommentiert: Gute Früchte brauchen ihre Zeit zum Wachsen und Reifen
Thema: Vollkommenheit, Fruchtbringen, Geduld
O meine Tochter, nein, bitte glauben Sie nicht, dass das Werk, das wir zu tun unternommen haben, so bald getan sein kann. Die Kirschbäume tragen recht bald Frucht, weil ihre Früchte nur Kirschen von kurzer Lebensdauer sind. Die Palmen aber, die Fürsten unter den Bäumen, sagt man, tragen Datteln erst einhundert Jahre, nachdem sie gesetzt wurden. Ein mittelmäßiges Leben kann in einem Jahr gewonnen werden; die Vollkommenheit aber, nach der wir streben, o Gott, meine liebe Tochter, die kann erst nach vielen Jahren kommen, wenn wir vom gewöhnlichen Weg sprechen. (DASal 7, Seite 325)
Kommentiert: Vollkommenheit erreicht man nicht an einem Tag
Man sieht also, mein Theotimus, dass unsere arme, durch die Sünde geschwächte Natur den Palmbäumen vergleichbar ist, die aus ihrer Heimat zu uns gebracht wurden und hier nur kümmerliche Früchte zu tragen vermögen. Süße, reife und wohlschmeckende Datteln tragen sie nur in wärmeren Ländern. So bringt auch unser Herz von Natur aus wohl gewisse Ansätze von Gottesliebe hervor; dazu jedoch, ihn über alle Dinge zu lieben, gelangen nur jene Herzen, die von der himmlischen Gnade belebt und unterstützt werden und im Zustand der heiligen Liebe sind. Und doch besteht darin die eigentliche Reife der Liebe, die ihm, als dem höchsten Gut, gebührt. (DASal 3, Seite 94)
Kommentiert: Gott bringt die Liebe in uns zum Reifen.