die Tugend, die ein Versprechen hält
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Dass Treue eine Tugend ist, also ein Geschenk Gottes an die Menschen, mit dem man sich und andere glücklich machen kann, wird jedem wahrscheinlich spätestens bei einer Hochzeitsfeier bewusst. Dort verspricht sich nämlich das Brautpaar gegenseitig die Treue: „Vor Gottes Angesicht nehme ich dich an. Ich verspreche dir die Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit. Ich will dich lieben, achten und ehren bist der Tod uns scheidet ... Trage diesen Ring als Zeichen meiner Liebe und Treue.“
Treue, so könnte man in aller Kürze definieren, ist die Bereitschaft, seine Taten seinen Versprechungen anzupassen, oder anders gesagt: Treu bin ich, wenn ich genau das mache, was ich versprochen habe, selbst oder gerade dann, wenn es mir schwer fällt.
Was Treue bewirkt, erzählt uns die Bibel. Im Buch Jesus Sirach lesen wir: „Ein treuer Freund ist wie ein festes Zelt; wer einen solchen findet, hat einen Schatz gefunden. Für einen treuen Freund gibt es keinen Preis, nichts wiegt seinen Wert auf. Das Leben ist geborgen bei einem treuen Freund, ihn findet, wer Gott fürchtet“ (Sir 6,14-16).
Gelebte Treue ist ein Schatz von hohem Wert. Treue ist wie ein festes Zelt, das Geborgenheit und Sicherheit vermittelt. Für den heiligen Franz von Sales ist die Treue gerade deshalb eine so wertvolle Tugend, weil sie eine kleine Tugend ist, die großes bewirkt. Gerade im Kleinen, in den alltäglichen Kleinigkeiten zeigt sich die Treue und erzielt dabei große Ergebnisse. So schildert es Jesus im Gleichnis vom anvertrauten Geld (Mt 25,14-30). Ein Mann, der auf Reisen geht, vertraut seinen Dienern sein Vermögen an und fragt nach seiner Rückkehr, was damit während seiner Abwesenheit geschehen ist. Zwei Diener waren treu.
Auf sie konnte man sich verlassen. Ihnen wird gesagt: „Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!“ (V. 21.23). Der dritte Diener jedoch geht leer aus, ihm wird sogar das Wenige, das er hatte, noch weggenommen, weil er das ihm anvertraute Geld nicht treu verwaltet hatte.
Vorbild für die Tugend der Treue ist Gott selbst. Die Bibel wird nicht müde, auf die Treue Gottes hinzuweisen. „Treu ist Gott, durch den ihr berufen worden seid zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn“, schreibt der Apostel Paulus zu Beginn des 1. Briefes an die Korinther (1,9). Im Buch Deuteronomium wird die Treue zum Markenzeichen Gottes schlechthin: „Daran sollst du erkennen: Jahwe, dein Gott, ist der Gott; er ist der treue Gott; noch nach tausend Generationen achtet er auf den Bund und erweist denen seine Huld, die ihn lieben und auf seine Gebote achten“ (Dtn 7,9).
Die Treue Gottes ist dabei in keiner Weise von der Treue des Volkes abhängig. Ganz im Gegenteil. Selbst dann, wenn das Volk Gottes in Untreue fällt, sich von Gott ab und anderen Götzen zuwendet, hält Gott an seiner Treue fest. Ein Beispiel dafür ist das Buch des Profeten Hosea, der die Treulosigkeit des Volkes anprangert, jedoch gleichzeitig darauf hinweist, dass Gott sein Volk trotzdem nicht verlässt. Der Profet lässt Gott sprechen: „Mein Volk verharrt in der Treulosigkeit; sie rufen zu Baal, doch er hilft ihnen nicht auf“ (Hos 11,7). Trotz dieses Treuebruches versichert Gott seiner Treue: „Wie könnte ich dich preisgeben, Efraim, wie dich aufgeben, Israel?“ (Hos 11,8).
Gott ist ein „unbeirrbar, treuer Gott“ (Dtn 32,4). Das ist die Grundbotschaft der gesamten Bibel. Der Mensch hat immer wieder seine Versprechen, die er Gott gegenüber gegeben hat, gebrochen. Gott aber hält unbeirrbar am Menschen fest, mit dem er seinen Bund geschlossen hat. Aus dieser Erfahrung heraus schreibt der hl. Franz von Sales in seinem theologischen Hauptwerk „Abhandlung über die Gottesliebe“: „O unendlich guter Gott! Du verlässt nur jene, die Dich verlassen. Niemals entziehst Du uns Deine Gaben, außer wir ziehen unsere Herzen von Dir zurück“ (DASal 3,125). Und weiter: „Unser geliebter Bräutigam verlässt uns nie, außer wir zwingen ihn dazu durch unsere Untreue, d. h. durch die Zurücknahme unseres Treueschwures“ (DASal 3,179). Nur dann, wenn der Mensch von Gott nichts mehr wissen will, wird Gott sich vom Menschen zurückziehen, weil er die Freiheit des Menschen achtet. Die menschliche Treue ist daher nichts anderes als die Verwirklichung der Liebe zu Gott, der treu ist, dessen Bild in der Treue des Menschen aufleuchtet.
Für den heiligen Franz von Sales ist selbstverständlich, dass jeder Christ seine Treue zum „unbeirrbar, treuen Gott“ immer wieder versprechen und erneuern soll. Der erste Treueschwur, den der Christ Gott gegenüber leistet, geschieht bei der Taufe. Franz von Sales empfiehlt in seinem Buch „Anleitung zum frommen Leben“ der Philothea, also der Gott liebenden Seele, folgendes Gebet, um die Treue zu Gott, die bei der Taufe versprochen wurde, oft zu erneuern: „Mein guter Jesus, seliger König der ewigen Herrlichkeit, Dir wende ich mich zu; ich umfange Dich mit der ganzen Kraft meiner Seele. Ich bete Dich von ganzem Herzen an, ich erwähle Dich heute für immer zu meinem König. Dir will ich unverletzliche Treue bewahren“ (DASal 1,60).
In seiner geistlichen Begleitung für Frauen und Männer wird Franz von Sales oft damit konfrontiert, dass es den Menschen schwer fällt, diese Treue zu bewahren. Ihnen schreibt er: „Es ist keine Kunst, dem Fürsten in der Ruhe friedlicher Zeiten und in den Annehmlichkeiten des Hoflebens zu dienen; ihm dagegen in rauer Kriegszeit, bei Unruhen und Rückschlägen dienen, das ist echter Mut und echte Treue“ (DASal 1,239).
Treue ist also gerade dann gefordert, wenn es schwer fällt. Dies gilt gegenüber den Menschen genauso wie gegenüber Gott. Es tut einfach gut, sicher sein zu können, dass der andere tun wird, was er versprochen hat. Sehr enttäuschend jedoch ist es, wenn man erfahren muss, dass sich jemand an sein Versprechen nicht hält, weil es ihm zu anstrengend oder mühsam wurde. Wir können diese Enttäuschung erahnen, wenn wir bei Franz von Sales lesen: „Aber noch viel trauriger ist der Zustand einer Seele, die, undankbar gegen ihren Heiland, sich immer mehr von ihm abwendet und von der heiligen Liebe Stufe um Stufe durch Lauheit und Untreue hinabsinkt, bis sie endlich sich ganz von ihr entfernt hat, um in der schauerlichen Finsternis der Verlorenheit zu enden“ (DASal 3,226).
Es ist der große Wunsch des hl. Franz von Sales, dass wir an der Treue festhalten und sie gerade dort üben, wo es schwer fällt. „Jede Tugend“, so ist er überzeugt, „offenbart sich in der Treue, sie zu üben“ (DASal 2,82). So sagt er auch seinen Zuhörerinnen und Zuhörern in einer Predigt: „Wirkt schließlich treu in diesem Leben und seid beharrlich bis zum Ende (Mt 10,22; 24,13), auf dass ihr in der ewigen Glückseligkeit den seligen Geistern zugezählt und mit ihnen vereinigt werden könnt, um die göttliche Majestät zu lieben und euch ihrer zu erfreuen in alle Ewigkeit. Das ist es, was ich euch von ganzen Herzen wünsche“ (DASal 9,262).
Herbert Winklehner OSFS