From Franz von Sales

Lexikon: A-Z :: Tugend

Die Tugenden –

Besondere Geschenke Gottes für das Leben

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  1. 1. Unser Charakter
  2. 2. Selbst und andere glücklich machen
  3. 3. Sei, was du bist
  4. 4. Siehe auch
  5. 5. Fragen zum Nachdenken


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Seit über zwanzig Jahren lebe ich nun schon in Deutschland, einem Land, dem verschiedene Eigenschaften nachgesagt werden: Genauigkeit, Strenge, Disziplin, Treue, Gehorsam und anderes mehr. Aufgrund dieser Eigenschaften, so wird gesagt, sind die Deutschen fähig, politisch und wirtschaftlich großen Einfluss in der Welt zu gewinnen. Aus den selben Gründen werden sie aber argwöhnisch beäugt und manchmal sogar gefürchtet.
Von meiner Nationalität her bin ich Österreicher. Diese gelten als gemütlich, langsam, gastfreundlich, so dass den Österreichern kein großer politischer Einfluss zugetraut wird, die Österreicher sind jedoch in der Welt eher beliebt als gefürchtet.
Ähnliches können wir sicher von allen Ländern dieser Welt sagen. Jeder Mensch hat eben seine besonderen Charakterzüge, die Schweizer genauso wie die Inder oder Afrikaner, die Australier oder Amerikaner. Ein brasilianischer Mitbruder hat mir zum Beispiel einmal gesagt, dass er jedes Mal, wenn er nach Deutschland kommt, meint, er komme in ein „Friedhofsland“. Und er meinte damit: In diesem Land gibt es im Gegensatz zu Südamerika weniger Lebendigkeit, weniger Gefühl, weniger Herzlichkeit, weniger Freude.

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1.  Unser Charakter

Warum schreibe ich das? Sicherlich nicht deshalb, um ein Land gut darzustellen und ein anderes schlecht zu machen, oder gar Vorurteile und Klischees zu fördern.
Selbstverständlich sollten wir bei unserem Urteilen über andere höchst vorsichtig sein, vor allem dann, wenn es sich um negative oder verspottende Eigenschaften handelt. Ich will jedoch damit nur aufzeigen, dass jeder Mensch ganz bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten hat, die sein Menschsein, oder besser ausgedrückt, seinen Charakter ausmachen.
Es gibt fröhliche und traurige Menschen, zornige und sanfte, streitsüchtige und friedvolle, geizige und freigiebige, freundliche und missgünstige Menschen. Solche Fähigkeiten oder Eigenschaften haben in unserer christlichen Sprache einen besonderen Namen, der vielleicht für manche altertümlich klingt, aber nichts von seiner Wahrheit eingebüßt hat: Tugenden oder Untugenden. Genauigkeit, Strenge, Disziplin, Treue, Gehorsam, Gemütlichkeit, Gastfreundschaft, Lebendigkeit, Herzlichkeit oder Freude sind Tugenden. Zorn, Streitsucht, Geiz, Missgunst nenne wir Untugenden. Tugenden sind also besondere Fähigkeiten und Merkmale des Menschen, es gibt gute und schlechte Tugenden. Aufgabe des Menschen ist es, seine guten Tugenden auszubauen, die schlechten Tugenden verschwinden zu lassen. Tugenden sollen zum Glück des Menschen beitragen, zu seinem eigenen und zum Glück des anderen.
So sagt es zumindest der 1998 verstorbene deutsche Moraltheologe Bernhard Häring. Er schreibt: „Bei den Tugenden geht es um die sittliche Kompetenz, um den Wert und den Adel des Menschen, eines jeden für sich und aller anderen im Zusammenleben und Zusammenwirken. Es geht um das Ganze der Melodie des Lebens. Es geht um nichts weniger als um wahre, innerste Freiheit zum Guten, Wahren und Schönen. Es geht um die Qualität des Gewissens und um ein gelingendes Miteinander und Füreinander. Ohne Tugend ist alles faul. Ohne Tugend ist der Mensch unfähig und zu nichts zu gebrauchen.“
Etwas einfacher erklärt der niederländische Priester Phil Bosmans die Tugenden, wenn er sagt: „Gott hat jedem Menschen etwas gegeben, womit er andere glücklich machen kann. Wir Christen nennen diese Geschenke Gottes Tugenden.“

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2.  Selbst und andere glücklich machen

Darum geht es also, wenn wir Christen von Tugenden sprechen: Welche besonderen Geschenke Gottes haben wir bekommen, um uns selbst und andere Menschen glücklich zu machen? Darüber einmal nachzudenken, ist sicherlich immer wieder gut und für unser Leben nützlich und hilfreich. Durch solches Nachdenken werden wir ja auch zur Frage angeregt, wer wir sind und wie wir leben sollen, damit wir zu dem werden, was wir sein sollen. Es geht also um nichts Geringeres als mein Leben und darum, was ich tun muss, um das Ziel meines Lebens, für das Gott mich bestimmt hat, auch zu erreichen.
So gesehen verbirgt sich hinter dem etwas altmodisch klingenden Begriff „Tugend“ etwas sehr Wichtiges. Tugenden sind die Fähigkeiten, die den Menschen zum Menschen und damit den Christen zum Christen machen. Und es ist nicht egal, wie wir mit unseren Tugenden umgehen. Im biblischen Gleichnis vom anvertrauten Geld (Mt 25,14-30) macht uns Jesus Christus das unmissverständlich klar: Unsere Tugenden sind nicht etwas Beliebiges, sie wurden uns von Gott geschenkt, damit wir mit diesen Tugenden so umgehen, dass sie Frucht bringen. Wer das nicht tut, so das Gleichnis, der gilt als „schlechter und fauler Diener“, der „hinaus in die äußerste Finsternis“ geworfen wird, wo er „heulen und mit den Zähnen knirschen“ wird.
Nach diesem Gleichnis, wenn wir es auf die Gaben umschreiben, die wir von Gott anvertraut bekommen haben, hat also jeder Mensch eine unterschiedliche Anzahl von Tugenden erhalten. Der eine mehr, der andere weniger. Es ist unsere Aufgabe, mit diesen Tugenden, die uns geschenkt sind, so umzugehen, dass sie fruchtbar sind und sich vermehren.

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3.  Sei, was du bist

Es gibt eine rabbinische Geschichte von Rabbi Suso. Dieser beschäftigte sich ausführlich mit der Frage, wie man leben muss, um nach seinem Tod vor Gott bestehen zu können. Er wurde dabei immer unruhiger und ängstlicher, da er sich nicht vorstellen konnte, je so gottvertrauend wie Abraham, so groß wie Mose, so feurig wie Elija, so weise wie Salomo oder so stark wie Samson werden zu können. Eines Nachts träumte ihm dann, dass er tatsächlich gestorben ist und vor das Angesicht Gottes treten musste. Und wie überrascht war er, als Gott ihn nicht fragte: Warst Du in Deinem Leben wie Abraham, oder Mose, oder Elija, oder Salomo oder Samson, sondern: Bist Du in Deinem Leben ganz Rabbi Suso gewesen. Darum geht es also, das ist unsere Sendung, dass wir ganz und gar wir selbst sind.
Wenn das so stimmt, und wenn Gott uns sagt, dass wir die Tugenden, die uns anvertraut sind, fruchtbar werden lassen sollen, dann hat das natürlich ganz bestimmte Konsequenzen. Wir müssen uns immer wieder fragen, was die wesentlichen und besonderen Tugenden sind, die Gott uns geschenkt hat, ob diese uns wichtig oder unwichtig sind, ob wir sie verwirklichen und vermehren wollen oder nicht. Der hl. Kirchenlehrer Franz von Sales spricht in seinen Überlegungen über die Tugenden vom „geordneten Tugendstreben“ und meint damit etwas gerade für das praktische Leben sehr Wichtiges. Es ist ein Unsinn, meint er, wenn ein Bischof, der für seine Menschen da sein soll, anfängt als Einsiedler zu leben, oder wenn ein Familienvater, der für seine Familie zu sorgen hat, plötzlich nur noch arm sein will, oder der Politiker, der dazu da ist, seinem Land zu dienen, nur noch in der Kirche sitzt und betet. Die Frage, welche Tugenden ich in meinem Leben verwirklichen soll, hängt also nicht nur davon ab, wer ich bin, sondern auch davon, wo ich lebe und welche Aufgaben mir meine Situation, in der ich mich gerade befinde, gerade stellt. Für Franz von Sales ist das Tugendstreben dann „geordnet“, wenn ich dort, wo ich lebe und arbeite, genau die Tugenden zu verwirklichen suche, die von mir an dieser Stelle gefordert werden und die ich auch geben kann.
Das Thema Tugenden ist also ein ziemlich praktisches Thema, es hat mit unserem Leben zu tun, mit unserem Glück, dem diesseitigen und natürlich auch dem jenseitigen. Denken Sie doch darüber einmal ein wenig nach.

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4.  Siehe auch

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5.  Fragen zum Nachdenken

Herbert Winklehner OSFS


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