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Zum 3. Fastensonntag

Annecy, 22. März 1615 (OEA IX,46-50; DASal 9,219-223)

Der hl. Bernhard steht hoch im Kurs bei denen, die über das Gebet zu sprechen haben. Einem Bischof schrieb er, alles, was er brauche, sei, gut zu sprechen (das bezieht sich auf das Lehren und Predigen), dann ein gutes Beispiel in der Tat zu geben und schließlich dem Gebet zu obliegen. Wir wollen das auf alle Christen anwenden und beim dritten Punkt verweilen, d. h. beim Gebet.

Bemerken wir zunächst am Rand: so sehr wir bestimmte Häretiker unserer Zeit verurteilen, die das Gebet für nutzlos halten, behaupten wir trotzdem nicht mit anderen Häretikern, daß es allein zu unserer Rechtfertigung hinreichend sei. Wir sagen nur: es ist so nützlich und notwendig, daß wir ohne das Gebet nichts Gutes zustandebringen, da wir durch das Gebet alle unsere Handlungen gut zu verrichten lernen. Daher halte ich meinen Wunsch für berechtigt, über das Gebet zu sprechen, zumal es nicht meine Absicht ist, alle seine Formen zu erklären, weil man darüber aus Erfahrung mehr weiß, als man sagen könnte. Auch ist es nicht sehr wichtig, die Namen der Gebetsformen zu kennen, und ich möchte nicht, daß man je nach der Bezeichnung fragt, noch nach der Form des Gebetes, das man verrichtet. Denn der hl. Antonius sagt richtig: Ein Gebet, bei dem man darauf schaut, daß man betet, ist unvollkommen. Ein Gebet, das man verrichtet, ohne zu wissen, wie man betet, und ohne darüber nachzudenken, um was man bittet, zeigt andererseits zur Genüge, daß die Seele sehr mit Gott beschäftigt, folglich dieses Gebet sehr gut ist. Wir wollen also an den vier folgenden Sonntagen sprechen von der causa finalis (d. h. vom Zweck) des Gebetes, von der causa efficiens (der Wirkursache), davon, was man nicht eigentlich causa materialis nennen kann, sondern seinen Gegenstand, und von der causa effectiva oder dem Gebet an sich. Jetzt will ich nur von der causa finalis sprechen. Bevor ich aber in die Erörterung des Gebetes eintrete, muß ich kurz drei oder vier Dinge sagen, die man wissen soll.

Unserem Verstand sind vier Tätigkeiten eigen: das einfache Denken, das Studium, die Meditation und die Kontemplation. Das einfache Denken besteht darin, daß wir uns flüchtig mit einer Vielfalt von Dingen beschäftigen, ohne irgendeine Absicht, wie es die Mücken machen; sie setzen sich auf die Blumen, ohne die Absicht, irgendeinen Saft aus ihnen zu gewinnen; sie lassen sich auf ihnen nur nieder, weil sie ihnen gerade begegnen. Wenn unser Verstand auf diese Weise von einem Gedanken zum anderen wandert, selbst wenn diese Gedanken Gott betreffen, wenn sie aber kein Ziel haben, dann sind sie weit davon entfernt, gut zu sein, sondern sie sind unnütz, abträglich und bilden ein großes Hindernis für das Gebet.

Eine andere Tätigkeit unseres Verstandes ist das Studium. Es besteht darin, daß wir die Dinge nur erwägen, um sie zu kennen, um sie gut verstehen und über sie richtig sprechen zu können, ohne ein anderes Ziel, als unser Gedächtnis damit zu speisen. Darin gleichen wir den Maikäfern; sie lassen sich auf die Rosen nur zu dem Zweck nieder, um sich zu sättigen und ihren Bauch zu füllen. Nun, über diese beiden Tätigkeiten unseres Verstandes wollen wir weiter nicht sprechen, weil sie zu unserem Gegenstand nichts beitragen.

Kommen wir zur Meditation. Um zu verstehen, was die Betrachtung ist, muß man die Worte des Königs Hiskija hören, als ihm das Todesurteil verkündet wurde, das dann durch seine Buße widerrufen wurde: Ich werde schreien wie die junge Schwalbe und werde nachsinnen wie die Taube (Jes 38,14) in meinem großen Leid. Er wollte sagen: Wenn das Schwalbenjunge ganz allein ist, weil seine Mutter fort ist, um Schellkraut zu suchen und ihm damit die Augen zu öffnen, dann schreit und piepst es um so mehr, da es die Mutter nicht mehr in seiner Nähe fühlt und da es nicht sehen kann. So werde auch ich schreien, wenn ich meine Mutter, d. h. die Gnade verloren habe und niemand mir zu Hilfe kommen sehe. Er fügt aber hinzu: Ich werde nachsinnen wie die Taube. Man muß wissen, daß alle Vögel den Schnabel zu öffnen pflegen, wenn sie singen oder zwitschern, ausgenommen die Taube; sie bringt ihren kleinen Gesang oder ihr Girren dadurch hervor, daß sie die Luft zurückhält, und sie erzeugt den Laut durch das Brummen ihres zurückgehaltenen Atems. Ebenso geschieht die Betrachtung, wenn wir unseren Verstand bei einem Geheimnis verweilen lassen, aus dem wir gute Regungen zu gewinnen wünschen; denn wenn wir nicht diese Absicht hätten, wäre es nicht mehr Betrachtung, sondern Studium. Das Betrachten geschieht also, um Affekte hervorzurufen, besonders jene der Liebe. So ist die Betrachtung die Mutter der Gottesliebe, die Beschauung die Tochter der Gottesliebe.

Zwischen der Betrachtung und der Beschauung gibt es aber die Bitte. Wenn wir die Güte Unseres Herrn betrachtet haben, seine grenzenlose Liebe, seine Allmacht, dann beginnen wir ihn vertrauensvoll zu bitten und anzuflehen, daß er uns schenke, was wir ersehnen. Nun gibt es drei Arten von Ersuchen, die auf verschiedene Weise vorgebracht werden: die erste stützt sich auf die Gerechtigkeit, die zweite auf die Autorität, die dritte auf die Gnade. Ein Ersuchen, das sich auf die Gerechtigkeit stützt, kann man nicht Bitte nennen, obwohl wir dieses Wort gebrauchen, denn wir verlangen eine Sache, auf die wir einen Anspruch haben. Noch weniger kann man das Ersuchen eine Bitte nennen, das sich auf die Autorität stützt. Wenn jemand, der viel Autorität über uns hat, wie Vater, Herr oder Meister, sich der Form der Bitte bedient, sagen wir sogleich: Du kannst befehlen, oder: Deine Bitte ist mir Befehl. Die wirkliche Bitte ist jene, die sich auf die Gnade beruft, da wir um etwas ersuchen, worauf wir keinen Anspruch haben, und weil wir jemand darum ersuchen, der sehr hoch über uns erhaben ist wie Gott.

Die vierte Tätigkeit unseres Verstandes ist die Beschauung. Sie bedeutet nichts anderes als Gefallen am Gut dessen finden, den wir in der Betrachtung kennen und durch diese Erkenntnis lieben gelernt haben. Dieses Wohlgefallen wird unsere Glückseligkeit im Himmel ausmachen.

Nun müssen wir vom Zweck des Gebetes sprechen. Man muß vor allem wissen, daß alle Dinge für das Gebet geschaffen sind. Als Gott Engel und Menschen erschuf, geschah es mit dem Ziel, daß sie ihn ewig im Himmel loben sollten. Das ist also das Letzte, wozu wir bestimmt sind, wenn man als das Letzte bezeichnen kann, was ewig ist. Um das besser zu verstehen, können wir sagen: wenn wir irgendetwas tun wollen, schauen wir stets auf den Hauptzweck, zu dem wir es tun. Wenn wir z. B. eine Kirche bauen lassen und man fragt uns, wozu wir sie bauen lassen, dann werden wir sagen, um uns dorthin zurückzuziehen und in ihr das Lob Gottes zu singen; das wird demnach das Letzte sein, was wir tun werden. Ein anderer Vergleich: Wenn ihr in das Zimmer eines Fürsten kommt, werdet ihr dort einen Vogelbauer mit verschiedenen kleinen Vögeln in einem bunten, schön ausgestatteten Käfig sehen. Wenn ihr wissen wollt, zu welchem Zweck man ihn dort hingestellt hat, so nur dazu, um ihrem Herrn Freude zu machen. Wenn ihr euch anderswo umseht, werdet ihr dort Sperber, Falken und Raubvögel´mit einer Lederkappe sehen; sie sind da, um Rebhühner und andere Vögel als Leckerbissen für den Fürsten zu fangen. Gott aber gelüstet nicht nach Fleisch, er hält sich keine Raubvögel, sondern nur kleine Vögel, die im Käfig eingeschlossen sind, um ihn zu erfreuen. Als solche Vögel kann man sich die Ordensmänner und Ordensfrauen vorstellen. Sie haben sich freiwillig im Kloster eingeschlossen, um das Lob Gottes zu singen. So muß ihre vorzüglichste Übung das Gebet sein, um das Wort Unseres Herrn im Evangelium (Lk 18,1) zu befolgen: Betet ohne Unterlaß.

Die Schüler des heiligen Evangelisten Markus unter den ersten Christen waren so ausdauernd im Gebet, daß einige Kirchenväter ihnen den Beinamen „Beter“ gaben; andere nannten sie „Therapeuten“, weil sie im Gebet das Heilmittel für alle ihre Übel fanden. Man nannte sie auch noch Mönche, weil sie sehr einfach waren; die Bezeichnung Mönch bedeutet auch „einzig“. Daraus können wir folgern, wie notwendig das Gebet für den Menschen ist; denn ein Baum, der nicht genug Erde hat, um seine Wurzeln zu bedecken, hat keinen Bestand. Ebenso kann ein Mensch nicht bestehen, wenn er nicht eine besondere Sorgfalt auf die himmlischen Dinge verwendet. Nun ist das Gebet nach den meisten Vätern nichts anderes als „eine Erhebung des Geistes zu den himmlischen Dingen“; andere sagen, daß es eine Bitte ist. Diese beiden Auffassungen widersprechen einander nicht; denn wenn wir unseren Geist zu Gott erheben, können wir ihn um das bitten, was wir für notwendig halten.

Die wichtigste Bitte, die wir an Gott richten müssen, ist die um die Einheit unseres Willens mit dem seinen, und das letzte Ziel des Gebetes besteht darin, nichts zu wollen als Gott. Darin ist auch die ganze Vollkommenheit enthalten, wie der Vater Ägidius sagt, ein Gefährte des hl. Franziskus. Als ihn einer fragte, wie er es anstellen müsse, um recht bald vollkommen zu sein, antwortete er: „Gib die eine dem Einen.“ Das heißt: du hast nur eine Seele und es gibt nur einen Gott; gib ihm deine Seele, und er wird sich dir schenken. Das letzte Ziel des Gebetes kann also nicht sein, daß man die Zärtlichkeiten und Tröstungen haben will, die Unser Herr manchmal schenkt; denn die Vereinigung mit ihm besteht nicht in Tröstungen, sondern im Willen Gottes.


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