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Zum Dienstag der 3. Fastenwoche

(Entwurf) Grenoble, 28. Februar 1617 (OEA VIII,315-319; DASal 9,172-174)

Hat dein Bruder gegen dich gefehlt ... (Mt 18,15)

Gegen dich, vor dir; wie Ps 51,6: Gegen dich allein habe ich gesündigt und Böses vor dir getan. Gegen dich und vor dir bedeutet das gleiche und die Auslegung des einen gilt auch für das andere. Gegen dich: wodurch du entweder Ärgernis nimmst oder verletzt wirst.

Das ganze Gebot der brüderlichen Zurechtweisung wird vom Schlußsatz bestimmt: Wenn er auf dich hört, hast du deinen Bruder gewonnen (Mt 18,15). Das ist das bewegende Rädchen dieser Uhr, das Steuerruder dieses Schiffes, der Pol dieser Seefahrt. Es ist ja das Ziel (causa finalis) der Zurechtweisung, und vom Zweck läßt sich der Künstler bei allem bestimmen.

Daraus ergibt sich die causa efficiens (Wirkursache); denn alle Menschen ohne Ausnahme sind zur Zurechtweisung verpflichtet, auch solche von geringem Ansehen gegenüber Höhergestellten. So hat Paulus auch Petrus zurechtgewiesen: Als Kephas nach Antiochien kam, habe ich ihm ins Angesicht widersprochen, weil er zu tadeln war (Gal 2,11). Obwohl Petrus nur ganz leicht gegen ihn fehlte, wurde er in Anbetracht der Schwere der Konsequenzen doch von Paulus getadelt, „damit der Erste der Würde nach auch der Erste in der Demut war“ (Gregor). „Wenn die Guten über eine Sache nicht das gleiche denken, bleibt ihre Freundschaft davon dennoch unberührt“ (Thomas). Wer zurechtweist, muß jedoch gerecht sein, d. h. untadelig, damit man ihm nicht sagt: Arzt, heile dich selbst (Lk 4,23). Der Gerechte möge mich tadeln (Ps 141,5). Ist das Salz schal geworden ... (Mt 5,13). Die goldenen Lichtscheren (1 Kön 7,49).

Gegenstand (causa materialis der Zurechtweisung) sind Todsünden, denn nur durch sie stürzt der Bruder ins Verderben. Der Arzt gibt nicht gegen jeden kleinsten Schmerz und gegen einen Mückenstich eine Medizin. Hier werden die aufdringlichen Tadler zurückgewiesen, wie die Pharisäer: Warum waschen deine Jünger die Hände nicht, bevor sie essen? (Mt 15,2).

Es genügt aber nicht, daß es sich um schwere Sünden handelt, es muß auch die Möglichkeit der Besserung bestehen, d. h. man muß die Hoffnung haben können, daß sie durch die Zurechtweisung gebessert werden. Wenn nämlich der Bruder so verdorben ist, daß er sich nicht bessern lassen will, muß man von ihm ablassen. So hat auch Christus der Herr im gestrigen Evangelium (Lk 4,30) die Nazarener verlassen, überläßt die Blinden und Führer der Blinden (Mt 15,14) sowie Judas ihrem Schicksal.

Wenn aber läßliche Sünden sehr gefährlich und zu häufig sind und der Bruder zu sehr an ihnen hängt, können wir ihn zurechtweisen, wir sind dazu aber nicht verpflichtet. Abraham verscheuchte die Vögel vom Opfer (Gen 15,11); auch von der Tafel der Könige und Fürsten werden die Mücken verjagt. So müssen zwischen Ordensleuten und solchen, die nach Vollkommenheit streben, ebenfalls die Mücken abgewehrt werden, denn sie verderben den Duft des Salböls (Koh 10,1). Für die causa formalis, d. h. die Form der Zurechtweisung gilt: 1. Man muß das rechte Maß halten, nicht gleich ätzende und brennende Heilmittel anwenden; wenn milde und leichte genügen, sollst du keine stärkeren gebrauchen.

2. Die Zurechtweisung muß mit Mitgefühl geschehen: Wer ist schwach, ohne daß ich schwach werde? Wer nimmt Anstoß, ohne daß ich brenne?“ (2 Kor 11,29). Mit einem mütterlichen Herzen bin ich allen alles geworden (1 Kor 9,22). Der Gerechte weise mich zurecht in Barmherzigkeit und tadle mich; aber das Öl des Sünders komme nicht auf mein Haupt (Ps 141,5). Öl des Sünders ist nach dem Hebräischen der Same, der Tau, das Öl des Giftes. Man soll mir nicht vom (giftigen) Honig von Heraklea geben. Öl und Wein muß in die Wunde geträufelt werden (Lk 10,34). Röm 14,1: Nehmt einen Schwachen im Glauben auf. Gal 6,1: Brüder, wenn einer übereilt einen Fehler begeht, dann weist ihn als geistlich Gesinnte zurecht im Geist der Milde. Achte auf dich selbst, daß nicht auch du versucht wirst. In der Bundeslade waren die Gesetzestafeln, der Stab Aarons und das Manna (Hebr 9,4). Wer zurechtweist, in dem muß das Gesetz sein, denn er muß gerecht sein; das Manna, süß wie Honig, und die Rute der Zurechtweisung. Der Stab Aarons war blühend, grünend und fruchttragend (Num 18,8); die Rute der Zurechtweisung muß milde sein und fruchtbringend, d. h. nützlich. Hld 4,11: Honig und Milch auf der Zunge, Honigseim träufelnd.

3. Mit Klugheit und Diskretion. Bezüglich des Zeitpunkts. So, sagt der hl. Gregor, wartete Abigajil, bis in Nabal der Wein verraucht war (1 Sam 25,37). Einen Menschen zurechtweisen, solange er zornig ist, hieße eine Schleuse in einem Strom bauen wollen, der über die Ufer getreten ist. Ein rasendes Pferd. Koh 3,1: Alles hat seine Zeit.

Bezüglich der Person stellt der hl. Gregor Regeln auf: Einen Vorgesetzten oder Älteren demütig. 1 Tim 5,1: Einen, der älter ist als du, fahre nicht schroff an, sondern rede ihm wie deinem Vater zu. David besänftigte den Geist Sauls mit der Harfe (1 Sam 16,23). Einen Untergebenen strenger, so daß er (dich) sowohl liebt als auch fürchtet. Die Weisen der Welt muß man so zurechtweisen, daß sie lernen, nicht zu wissen, was sie wissen, und zu wissen, was sie nicht wissen. Anmaßende kräftig; Furchtsame äußerst human.

Bezüglich der Art und Weise. Natan streichelt den Arm, bindet ihn, lenkt den Blick des Kranken ab, dann schneidet er das Geschwür auf (2 Sam 12,1-13). Ebenso jener Chirurg, von dem Seneca berichtet. Er schnitt der Tochter des Königs (der Bischof von Belley sagt, es sei die Tochter des Augustus gewesen) die kranke Brust auf, indem er das Skalpell unter einem Schwamm verbarg, mit dem er das Geschwür weichzumachen vorgab. Einen Umschlag machen, um ihn zu besänftigen. Ebenso die Frau des Tekoa (2 Sam 14,4-21). Der selige Ägidius und der andere Prediger. Jes 14,11: Unter dich wird Gewürm gebreitet und deine Decke werden Würmer sein. Archelaus oder Argesilaus, den ein geschwätziger Barbier fragte: „Wie soll ich dich rasieren?“, sagte: „schweigend“ (Plutarch). Die beste und leichteste Art der Zurechtweisung. Der hl. Franziskus predigte schweigend (vgl. OEA VI,133). Simeon Stylites, dessen Anblick schon jene zurechtzuweisen schien, die ihn sahen (ActaSanctorum).


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