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Zum Fest der Heimsuchung Mariä

Annecy, 2. Juli 1618 (OEA IX,157-169; DASal 9,269-278)

Exsurgens Maria, abiit in montana cum festinatione, in civitatem Juda. Maria machte sich auf und ging eilends ins Gebirge, in eine Stadt in Judäa (Lk 1,39).

Unsere überaus liebenswerte und nie genug geliebte Frau und Herrin, die glorreiche Jungfrau, hatte kaum ihre Einwilligung zu den Worten des heiligen Erzengels Gabriel gegeben, da erfüllte sich in ihr das Geheimnis der Menschwerdung. Als sie vom gleichen hl. Gabriel erfuhr, daß ihre Base Elisabet in ihrem Alter einen Sohn empfangen hatte (Lk 1,36), da wollte sie diese aufsuchen, da sie ihre Verwandte war, in der Absicht, ihr zu dienen und ihr in der Zeit ihrer Schwangerschaft beizustehen, denn sie wußte, daß dies der Wille Gottes war. Und sogleich, sagt der heilige Evangelist, verließ sie Nazaret, eine kleine Stadt in Galiläa, wo sie wohnte, um sich nach Judäa zum Haus des Zacharias zu begeben. Abiit in montana, sie stieg in das Gebirge von Judäa hinauf und unternahm die Reise, obwohl sie lang und schwierig war. Wie einige Autoren sagen, war die Stadt, in der Elisabet wohnte, 27 Meilen von Nazaret entfernt; andere sagen, etwas weniger. Es war jedenfalls ein recht beschwerlicher Weg für diese zarte und schwache Jungfrau, weil er quer durch das Gebirge führte.

Sobald sie also die göttliche Eingebung vernahm, machte sie sich dorthin auf den Weg, nicht etwa gedrängt durch irgendeine Neugierde, um zu sehen, ob auch wirklich wahr sei, was ihr der Engel gesagt hatte. Daran zweifelte sie in keiner Weise, sondern sie war sicher, daß es sich so verhielt, wie er ihr erklärt hatte. Trotzdem wollten einige unterstellen, daß bei ihrem Vorhaben die Neugierde eine gewisse Rolle gespielt habe. Es war ja wirklich ein unerhörtes Wunder, daß die hl.Elisabet, die nie ein Kind hatte und unfruchtbar war, in ihrem Alter empfangen hat. Oder es könnte sein, sagen sie, daß sie irgendeinen Zweifel daran hatte, was ihr der Engel sagte. Dem war nicht so, der hl. Lukas rügt und widerlegt sie durch das Wort (1,45), das die hl. Elisabet ausrief, als sie die seligste Jungfrau eintreten sah: Selig bist du, die du geglaubt hast. Es war also weder Neugierde noch irgendein Zweifel an der Schwangerschaft der hl. Elisabet, die sie zu dieser Reise veranlaßt hätten, vielmehr mehrere sehr schöne Erwägungen; davon will ich einige aufgreifen.

Sie ging hin, um das große Wunder oder die große Gnade zu sehen, die Gott dieser betagten und unfruchtbaren Frau erwiesen hatte, daß sie trotz ihrer Unfruchtbarkeit einen Sohn empfing. Sie wußte ja sehr wohl, daß es im Alten Bund eine Schande war, unfruchtbar zu sein. Da aber die gute Frau alt war, ging sie auch hin, um ihr in ihrer Schwangerschaft zu dienen und ihr jede Erleichterung zu verschaffen, die ihr möglich war. Zweitens geschah es, um ihr das tiefe Geheimnis der Menschwerdung mitzuteilen, das sich in ihr verwirklicht hat. Unserer lieben Frau war ja nicht unbekannt, daß ihre Base Elisabet ein gerechter Mensch war (Lk 1,6), sehr gut, gottesfürchtig, und die Ankunft des Messias sehnlich erwartete, der im Alten Bund verheißen war, um die Welt zu retten. Es mußte für sie ein großer Trost sein zu erfahren, daß sich die göttlichen Verheißungen erfüllt haben und daß die von den Propheten und Patriarchen ersehnte Zeit gekommen war. Drittens ging sie auch hin, um Zacharias die Sprache wiederzugeben, die er durch seinen Unglauben gegenüber der Vorhersage des Engels verloren hatte, als er ihm ankündigte, daß seine Frau einen Sohn empfangen werde, der Johannes heißen soll. Viertens wußte sie, daß dieser Besuch dem Haus des Zacharias eine Fülle des Segens bringen werde, der bis auf das Kind im Schoß der hl. Elisabet überströmen wird, das durch ihre Ankunft geheiligt werden soll. Das sind die Gründe, und ich könnte noch mehrere hinzufügen; aber ich käme damit nie zu Ende.

Meint ihr übrigens nicht, meine teuersten Schwestern, was unsere glorreiche Herrin vor allem veranlaßte, diese Reise zu machen, das war ihre überaus glühende Liebe und eine sehr tiefe Demut, die sie so geschwind und bereitwillig in das Gebirge von Judäa gehen ließ? Gewiß, meine lieben Schwestern, das waren die beiden Tugenden, die sie drängten, ihr kleines Haus in Nazaret zu verlassen, denn die Liebe ist nicht untätig. Sie wogt in den Herzen, in denen sie wohnt und herrscht. Die allerseligste Jungfrau war von ihr ganz erfüllt, da sie die Liebe selbst in ihrem Schoß trug. Sie besaß davon nicht nur ständige Akte der Liebe zu Gott, mit dem sie durch die denkbar vollkommenste Liebe verbunden war, sondern sie besaß die Liebe zum Nächsten in einem Grad höchster Vollkommenheit, die sie das Heil der ganzen Welt und die Heiligung der Seelen glühend wünschen ließ. Da sie wußte, daß sie zur Heiligung des hl. Johannes im Schoß der hl. Elisabet beitragen konnte, ging sie mit großer Emsigkeit hin. Ihre Liebe drängte sie auch, sich mit der guten Greisin darüber zu freuen, da der Herr sie mit so großem Segen bedacht hat, daß die Unfruchtbare empfing und den trug, der der Vorläufer des Mensch gewordenen Wortes werden sollte. Sie ging also, um sich mit ihrer Base zu freuen und sich mit ihr gegenseitig zum Lob Gottes zu ermuntern, der über beide so viele Gnaden ausgegossen hat; über die Jungfrau, daß sie durch das Wirken des Heiligen Geistes den Sohn Gottes empfing (Lk 1,35); über die hl. Elisabet, die unfruchtbar war, daß sie auf wunderbare Weise durch eine besondere Gnade den empfing, der der Vorläufer des Messias sein sollte. Es wäre nicht angemessen gewesen, wenn jener, der erwählt war, dem Herrn die Wege zu bereiten (Lk 1,76), von der Sünde befleckt war. Deshalb eilte Unsere liebe Frau, damit er geheiligt werde und damit das heilige Kind, das Gott war, dem allein die Heiligung der Seelen zukam, bei diesem Besuch auf die Seele des glorreichen hl. Johannes einwirken, ihn reinigen und von der Erbsünde befreien konnte. Das geschah so vollkommen, daß manche Theologen kühn behaupten, daß er nie eine läßliche Sünde beging, obwohl einige andere an der gegenteiligen Meinung festhalten.

Die Liebe war also die Ursache, daß die allerseligste Jungfrau bei dieser Heiligung mitwirkte. Aber es ist kein Wunder, daß ihr heiliges Herz ganz erfüllt war von Liebe und vom Verlangen nach dem Heil der Menschen, da sie in ihrem keuschen Schoß die Liebe selbst trug, den Heiland und Erlöser der Welt. Mir scheint, daß man auf sie die Worte des Hoheliedes (7,5) anwenden muß: Dein Haupt gleicht dem Berg Karmel. Seht, wenn der göttliche Bräutigam die Schönheit seiner Braut im einzelnen beschreibt, beginnt er mit ihrem Haupt. Was aber will der göttliche Liebhaber damit sagen, wenn er das Haupt seiner Vielgeliebten mit dem Berg Karmel vergleicht? Der Berg Karmel ist ganz bunt von überaus duftenden Blumen, und die Bäume, die auf ihm wachsen, strömen nur Wohlgerüche aus. Was bedeuten diese Blumen und diese Wohlgerüche anderes als die Liebe? Sie ist eine überaus schöne und duftende Tugend, die nie allein in einer Seele ist. Man wendet diese Worte des Hoheliedes wohl auf die Kirche an, die wahre Braut Unseres Herrn; in ihr finden sich wie auf dem Berg Karmel in Fülle alle Arten von Blumen der Tugenden und sie ist ganz duftend von Heiligkeit und Vollkommenheit. Man kann das aber auch von der heiligen Jungfrau sagen, denn sie ist die getreue Braut des Heiligen Geistes. Da sie nun die Liebe in solcher Vollendung besaß, glich sie dem Berg Karmel durch die häufigen Akte der Liebe sowohl gegen Gott als gegen den Nächsten; und diese Liebe verströmte wie ein Duftbaum überaus angenehmen Duft und Süßigkeit.

Aber die Rabbiner und einige andere scheinen noch deutlicher zu machen, daß der göttliche Bräutigam die Liebe meint, wenn er vom Haupt seiner Vielgeliebten spricht; sie übersetzen nämlich: Dein Haupt gleicht dem Scharlach. An anderer Stelle (Hld 4,3; 6,6) werden die Wangen der Braut mit den Kernen des Granatapfels verglichen, die ganz rot sind. Was ist das alles, wenn nicht das natürliche Sinnbild der Liebe in der seligsten Jungfrau? Sie besaß ja nicht nur die Liebe, sondern hatte sie in solcher Fülle empfangen, daß sie die Liebe selbst war. Sie hatte jenen empfangen, der ganz Liebe ist und sie selbst zur Liebe machte. Deshalb kann man auf sie besser als auf irgendjemand die folgenden Worte des Hoheliedes (2,7; 3,5) anwenden. Als der heilige Bräutigam seine Vielgeliebte in ihrer lieblichen Ruhe betrachtete, wurde er von heiligem Wohlgefallen erfüllt, das ihn veranlaßte, die Töchter Jerusalems zu beschwören, sie ja nicht zu wecken; er sagte: Töchter Jerusalems, ich beschwöre euch bei den Zicklein und Ziegen des Feldes, weckt meine Vielgeliebte nicht, die in der Liebe ist, bis sie will oder es wünscht. Und warum? Weil sie in der Liebe ist. Nach einer anderen Version heißt es: Töchter Jerusalems, ich beschwöre euch, weckt die Liebe selbst nicht, bis sie es will. Diese Liebe ist meine Vielgeliebte, d. h. die heilige Jungfrau, die nicht nur die Liebe besitzt, sondern selbst die Liebe ist. Sie ist es, auf die Gott mit ganz besonderem Wohlgefallen geschaut hat. Denn wer konnte Unserem Herrn gefallen wie jene, die alle Arten der Tugend in vollem Maß besaß? Zusammen mit der Liebe war sie ausgestattet mit einer tiefen Demut, wie die Worte zeigen, die sie sprach, als die hl. Elisabet sie pries: Da Gott auf die Demut seiner Magd geschaut hat, werden alle Nationen sie rühmen und seligpreisen (Lk 1,48).

Um aber unseren Geist vor jeder Verwirrung zu bewahren, wollen wir erklären, wie diese Worte zu verstehen sind. Mehrere Theologen meinen, als Unsere liebe Frau sagte, daß der Herr auf die Demut seiner Magd schaute, wollte sie nicht von der Tugend der Demut sprechen, die in ihr war. Unter denen, die diese Meinung vertreten, findet man Maldonat und einige andere. Sie sagen: obwohl die seligste Jungfrau eine tiefe Demut besaß, hielt sie sich nicht für demütig und wollte noch weniger von der Demut sprechen, weil ein solches Wort gegen die Demut selbst gewesen wäre. Wenn sie sagt: Er hat auf die Demut seiner Magd geschaut, wollte sie damit vielmehr die Nichtswürdigkeit, die Armseligkeit und Niedrigkeit bezeichnen, die sie in sich sah, in dem, was ihrer Natur und dem Nichts entsprach, aus denen sie hervorgegangen war. In diesem Sinn versicherte sie, daß Gott auf die Demut seiner Magd geschaut hat; denn, sagen diese Theologen, der wahrhaft Demütige glaubt und sieht nie, daß er die Tugend der Demut besitzt.

Andere vertreten die gegenteilige Meinung, und sie ist die wahrscheinlichere. Sie denken, daß Unsere liebe Frau von der Tugend der Demut sprechen wollte und klar erkannte, daß diese Tugend es war, die den Sohn Gottes ihren Schoß wählen ließ. Es gibt also keinen Zweifel daran, daß sie diese Tugend in sich sah, und das ohne die Gefahr, sie zu verlieren; sie erkannte ja, daß die Demut, die sie in sich sah, nicht von ihr stammte. Bekannte nicht der große heilige Apostel Paulus, daß er die Liebe besaß, uzw. mit so sicheren Worten, daß er eher anmaßend als demütig zu sprechen scheint? Er sagte (Röm 8,35-39): Wer wird mich von der Liebe Christi trennen? Etwa Ketten, Trübsale, der Tod, das Kreuz, das Feuer, das Schwert? Nein, nichts vermag mich von der Liebe Gottes zu scheiden, die in Jesus Christus ist. Seht ihr, mit welcher Sicherheit der Apostel spricht? Wenn er bekennt, daß nichts ihn von der Liebe Gottes zu trennen vermag, muß er also glauben, daß er die Liebe besitzt. Gewiß, daran besteht kein Zweifel, zumal man seine Worte, Wer wird mich von der Liebe Gottes trennen?, dahin verstehen muß: mit Hilfe der Gnade Gottes. So ermangelte auch die seligste Jungfrau nicht der Demut, noch beging sie den geringsten Fehler gegen sie, als sie versicherte, daß Gott auf die Demut seiner Magd geschaut hat, ebensowenig wie der hl. Paulus, als er ausrief: Wer könnte mich von der Liebe trennen? Sie wußte ja, daß unter allen anderen Tugenden diese das Herz Gottes rührt und anzieht.

Nachdem der Bräutigam im Hohelied seine Braut im einzelnen betrachtet hatte, richtete er seinen Blick auf ihre Schuhe und auf ihren Gang. Das befriedigte ihn so sehr, daß er bekannte, darin ganz verliebt zu sein: Deine Schuhe gefallen mir, sagt er (Hld 7,1); welche Anmut ist in deinem Schreiten! In der Heiligen Schrift lesen wir auch (Jdt 10,3; 16,10f), daß Judit besonders schön geschmückt war, als sie Holofernes aufsuchte. Ihr Gesicht war von der denkbar köstlichsten Schönheit, ihre Augen leuchteten, ihre Lippen waren purpurrot, ihre Haare fielen in Locken auf die Schultern. Trotzdem war Holofernes weder von den Augen Judits eingenommen noch von ihren Lippen und ihren Haaren noch von irgendetwas, was ich euch an ihr hätte beschreiben können. Als er aber seinen Blick auf ihre Sandalen und ihre Schuhe richtete, war er davon ganz hingerissen und gerührt. Wir können uns ja denken, daß sie besonders geschmackvoll mit Gold verziert waren. Ebenso betrachtete Unser Herr wohl die Vielfalt und Schönheit der Tugenden Unserer lieben Frau, die sie überaus schön machten; als aber der ewige Vater seine Augen auf ihre Sandalen oder Schuhe richtete, war er davon so ergriffen, daß er sich dadurch bestimmen ließ und ihr seinen Sohn sandte, der in ihrem keuschen Schoß Mensch wurde.

Was sind diese Sandalen oder Schuhe der seligsten Jungfrau anderes als ihre Demut, versinnbildet durch die Schuhe? Sie sind der geringste Schmuck, dessen man sich zur Zierde des Leibes bedient, denn sie sind stets der Erde nahe, treten in Schmutz und Schlamm. Das ist auch der Demut eigen, wenn sie echt sein soll, da sie stets niedrig, klein und jedermann zu Füßen ist. Sie ist der Boden und das Fundament des geistlichen Lebens, denn sie will immer nahe der Erde, ihrer Nichtigkeit und Niedrigkeit sein. Auf diese Niedrigkeit schaute Gott bei der heiligen Jungfrau, und davon ging all ihr Glück aus. Sie sagt ja, daß sie deshalb seliggepriesen wird von allen Geschöpfen, von Geschlecht zu Geschlecht. Als nun Unsere liebe Frau sagte, daß Gott auf ihre Demut geschaut hat, dachte sie an sich ihrer Natur und ihres Wesens wegen, und das bewirkte, daß sie sich demütigte.

Der Glaube Abrahams war so groß, daß er die Gaben Gottes in sich nicht verkennen konnte. Wie in der Genesis (18,27) berichtet wird, bekannte er dennoch, daß er nichts anderes sei als Staub und Asche. Unser Herr sagt von sich selbst (Ps 22,7), er sei ein Wurm und kein Mensch. Als die seligste Jungfrau ihr ganz heiliges und ganz reines Leben erwog, fand sie es gut; und da sie in sich die Demut sah, konnte sie in diesem Sinn sagen, daß Gott auf ihre Demut geschaut hat. Da sie aber andererseits ihre Nichtigkeit sah, sagte sie, daß er auf ihre Niedrigkeit geschaut hat, auf ihr Klein- und Verächtlichsein, und daß sie deswegen seliggepriesen wird.

Sowohl in dem einen wie im anderen Sinn sprach sie nun mit so großer Demut, daß sie klar erkennen ließ, sie habe all ihr Glück darin gefunden, daß Gott seine Augen auf ihr Kleinsein richtete. Man kann deshalb auf sie die Worte des Hoheliedes (1,11) anwenden: Dum esset Rex in accubito suo, nardus mea dedit odorem suum. Meine Vielgeliebte ist für mich ein Narde, die einen sehr starken Duft verbreitet. Die Narde ist ein kleiner Strauch, der einen überaus lieblichen Duft ausströmt. Er erhebt sich nicht in die Höhe wie die Zedern des Libanon, sondern bleibt niedrig und gibt einen Duft von solcher Lieblichkeit von sich, daß er alle erquickt, die ihn riechen. Diese kostbare Narde war die heilige und allerseligste Jungfrau; sie hat sich nie erhöht wegen irgendetwas, was ihr geschah oder gesagt wurde; wie die Narde hat sie vielmehr in ihrer Niedrigkeit und ihrem Kleinsein den Duft eines so lieblichen Wohlgeruchs verbreitet, daß er bis zum Thron der göttlichen Majestät emporstieg. Gott war von ihm so gerührt und erfreut, daß er den Himmel verließ, um auf die Erde herabzukommen und im reinsten Schoß dieser unvergleichlichen Jungfrau Mensch zu werden.

Ihr seht also, meine teuersten Schwestern, wie wohlgefällig Gott die Demut ist. Die glorreiche Herrin wurde zur Mutter Unseres Herrn erwählt, weil sie demütig war. Das bestätigte ihr göttlicher Sohn selbst. Als jene gute Frau das Wunder sah, das er eben gewirkt hatte, und das Murren der Juden hörte, da erhob sie sich und rief mit lauter Stimme: Selig der Schoß, der dich getragen, und die Brüste, die dich genährt haben! Darauf antwortete der Heiland: Seliger noch sind jene, die das Wort Gottes hören und es bewahren (Lk 11,27f). Damit wollte er sagen: Es ist wahr, daß meine Mutter sehr glücklich ist, weil sie mich in ihrem Schoß getragen hat; aber sie ist es noch mehr durch die Demut, mit der sie die Worte meines himmlischen Vaters gehört und sie bewahrt hat. An einer anderen Stelle heißt es: Als man ihm mitteilte, daß seine Mutter nach ihm fragte, antwortete der göttliche Meister, daß jene seine Mutter, seine Brüder und Schwestern sind, die den Willen meines Vaters tun (Mt 12,47-50). Nicht daß er seine Mutter verleugnen wollte, vielmehr wollte er zu verstehen geben, daß sie Gott nicht nur wohlgefällig war, weil sie ihn in ihrem Schoß getragen hat, sondern viel mehr durch die Demut, mit der sie seinen Willen in allem erfüllte.

Doch ich sehe, daß die Zeit vergeht. Deshalb will ich diese Betrachtung beenden und die kurze Zeit, die noch bleibt, der Begebenheit des heutigen Evangeliums widmen. Sie ist ja, wie mir scheint, außerordentlich schön und sehr lieblich anzuhören. Der Evangelist sagt also, die selige Jungfrau machte sich eilends auf den Weg und ging in das Gebirge von Judäa. Damit will er die rasche Bereitschaft zeigen, mit der man den göttlichen Eingebungen Folge leisten muß; denn es ist dem Heiligen Geist eigen, wenn er an ein Herz rührt, daraus alle Lauheit zu vertreiben. Er liebt die rasche Bereitschaft; er haßt die Verzögerung und den Aufschub in der Erfüllung des göttlichen Willens. Exsurgens Maria, sie erhob sich sogleich und ging eilends in das Gebirge von Judäa. Das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug, behinderte sie in keiner Weise, denn es war nicht mit anderen zu vergleichen. Folglich empfand die seligste Jungfrau nicht die Beschwerden wie andere Frauen, die schwerfällig sind und schlecht gehen können wegen der Last des Kindes, das sie tragen, weil diese Kinder Sünder sind. Das Kind Unserer lieben Frau aber war kein Sünder, sondern der Erlöser der Sünder, der kam, um die Sünde der Welt hinwegzunehmen (Joh 1,29). Deshalb fühlte sie sich durch ihn nicht belastet, sondern leichter und beschwingter. Sie ging auch eilends, weil ihre jungfräuliche Reinheit sie dazu antrieb, um bald geborgen zu sein; denn die Jungfrauen sollen im Verborgenen bleiben und sich so wenig wie möglich im Getümmel der Welt aufhalten.

Intravit Maria. Sie betrat das Haus des Zacharias und grüßte ihre Base Elisabet (Lk 1,40). Sie küßte und umarmte sie. Seht, ich folge rasch dem Evangelium, denn die Zeit ist vorangeschritten. Der hl. Lukas sagt wohl, daß sie Elisabet grüßte, von Zacharias dagegen sagt er das nicht; denn die Jungfräulichkeit erlaubte Unserer lieben Frau nicht, Männer zu grüßen. Sie wollte uns damit auch zeigen, daß die Jungfrauen nie zu viel bedacht sein können, ihre Reinheit zu bewahren. Es gibt dafür tausend schöne Belege, aber ich will weitergehen und die Geschichte zu Ende erzählen. Welche Gnaden und Gunsterweise, denkt ihr, meine lieben Schwestern, kamen über das Haus des Zacharias, als die seligste Jungfrau eintrat? Abraham empfing so viele Gnaden, weil er drei Engel in seinem Haus beherbergte (Gen 18); Jakob brachte Laban so viel Segen (Gen 29), obwohl er ein schlechter Mensch war; Lot wurde vor der Zerstörung Sodoms gerettet, weil er drei Engel aufgenommen hatte (Gen 19); der Prophet Elija füllte alle Gefäße der armen Witwe (1 Kön 17,10-16); Elischa erweckte das Kind der Schunemitin wieder zum Leben (2 Kön 4); schließlich empfing Obed-Edom so viele Gunsterweise des Himmels, weil er die Bundeslade bei sich geborgen hatte (2 Sam 6,10f). Welche Gnaden und welche Fülle himmlischen Segens kamen erst über das Haus des Zacharias, in das der Engel des großen Ratschlusses (Jes 9,6 nach Sept.) eintrat, der wirkliche Jakob und göttliche Prophet, die wahre Bundeslade, Unser Herr im Schoß Unserer lieben Frau!

Gewiß, das ganze Haus wurde erfüllt von Freude: das Kind hüpfte vor Freude, der Vater gewann die Sprache wieder, die Mutter wurde vom Heiligen Geist erfüllt und erhielt die Gabe der Weissagung, denn als sie die heilige Jungfrau ihr Haus betreten sah, rief sie aus: Woher kommt mir, daß die Mutter meines Gottes mich heimsuchen kommt(Lk 1,41-44.64)? Seht ihr, sie nennt Maria Mutter, ehe sie geboren hat. Das entspricht nicht dem allgemeinen Brauch, denn man nennt die Frauen nicht Mutter, bevor sie ein Kind geboren haben, weil sie häufig eine Fehlgeburt haben. Elisabet aber wußte sicher, daß die seligste Jungfrau eine glückliche Niederkunft haben werde; deshalb zögert sie nicht, sie Mutter zu nennen, ehe sie es ist, denn sie ist sicher, daß sie es sein wird, und nicht nur Mutter eines Menschen, sondern Gottes, folglich Königin der Menschen und der Engel. Deshalb ist sie erstaunt, daß eine so hohe Fürstin sie heimsucht.

Darauf sagt sie (Lk 1,45.42): Glückselig bist du, hohe Frau, weil du geglaubt hast; und weiter: Du bist gebenedeit über alle Frauen. Daraus ersehen wir, in welchem Grad sie die Gabe der Weissagung empfangen hat, denn sie spricht von vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Dingen. Glückselig bist du, weil du geglaubt hast, was dir der Engel gesagt hat, denn damit hast du gezeigt, daß du mehr Glauben hast als Abraham. Du hast geglaubt, daß die Jungfrau und die Unfruchtbare empfangen werden, denn das ist etwas, was den Lauf der Natur übersteigt. Das also wußte sie in prophetischem Geist von der Vergangenheit. Von der Zukunft sah sie durch den gleichen Geist, daß die seligste Jungfrau gebenedeit unter allen Frauen sein wird, und sie verkündete es. Sie sprach auch von der Gegenwart und nannte sie Mutter Gottes. Außerdem fügte sie hinzu, daß das Kind, das sie trug, bei ihrer Ankunft vor Freude hüpfte. Gewiß ist es nicht verwunderlich, wenn der hl. Johannes vor Freude hüpfte bei der Ankunft seines Erlösers. Unser Herr sagt ja (Joh 8,56) zu den Juden: Euer Vater Abraham freute sich, als er meinen Tag in prophetischem Geist kommen sah, den ihr seht. Alle Propheten ersehnten den im Alten Bund verheißenen Messias und freuten sich, da sie wußten, daß alles sich zu seiner Zeit erfüllen wird. Um wieviel mehr müssen wir denken, daß der hl. Johannes von Freude erfüllt wurde, als er vom Schoß seiner Mutter aus den wahren verheißenen Messias sah, den Ersehnten der Patriarchen (Apg 2,8), der ihn aufsuchen kam, um mit ihm das Werk der Erlösung zu beginnen, indem er ihn aus dem Sumpf der Erbschuld zog!

Meine sehr teuren Schwestern, wie sehr müßt ihr von Freude erfüllt sein, da ihr vom göttlichen Heiland heimgesucht werdet im allerheiligsten Sakrament des Altares und von inneren Gnaden, die ihr stündlich von der göttlichen Majestät empfangt durch so viele Eingebungen und Worte, die er zu eurem Herzen spricht. Er ist ja immer da, klopft an und sagt euch, was er will, daß ihr aus Liebe zu ihm tun sollt. Ach, wieviel Dank schuldet ihr dem Herrn für so viele Gunsterweise! Wie müßt ihr mit großer Aufmerksamkeit auf ihn hören, treu und rasch seinen Willen erfüllen!

Als die allerseligste Jungfrau vernahm, was ihre Base Elisabet zu ihrem Lob sagte, gab sie für alles Gott die Ehre. Dann bekannte sie, daß ihr ganzes Glück, wie ich gesagt habe, daher kam, daß er auf die Niedrigkeit seiner Magd geschaut hat, und stimmte den wundervollen Lobgesang des Magnificat an (Lk 1,46-55). Dieser Lobgesang übertrifft alle, die andere Frauen sangen. Er ist erhabener als das Lied der Judit (16,1-21), unvergleichlich schöner als jenes, das die Schwester des Mose sang, als die Kinder Israels durch das Rote Meer zogen, Pharao und die Ägypter in seinen Fluten begraben waren (Ex 15,1- 21), kurz, schöner als jene, die von Simeon (Lk 2,29-32) und all den anderen gesungen wurden, von denen die Heilige Schrift berichtet. Meine lieben Schwestern, ihr habt die seligste Jungfrau zur Mutter, ihr seid Töchter der Heimsuchung Unserer lieben Frau und der hl. Elisabet; mit welcher Sorgfalt müßt ihr sie nachahmen, vor allem in ihrer Demut und Liebe. Sie sind die vorzüglichsten Tugenden, die diese Heimsuchung sie üben ließ. In diesen Tugenden müßt ihr euch vor allem auszeichnen, wenn ihr euch mit großem Eifer freudig aufmacht, eure kranken Schwestern zu besuchen, indem ihr einander erleichtert und in den geistigen und leiblichen Krankheiten herzlich dient. Und in allem, wo es die Demut und die Liebe zu üben gilt, müßt ihr es mit besonderer Sorgfalt und Bereitschaft tun; denn seht, für euch genügt es nicht, Töchter Unserer lieben Frau zu sein und euch damit zu begnügen, in einem Haus der Heimsuchung zu sein und den Schleier der Ordensfrauen zu tragen. Das hieße einer so guten Mutter Unrecht tun; es hieße aus der Art schlagen, wollte man sich damit begnügen. Man muß sie vielmehr nachahmen in ihrer Heiligkeit und in ihren Tugenden. Meine lieben Schwestern, seid also sehr sorgfältig bestrebt, euer Leben nach dem ihren zu gestalten. Seid sanft, demütig, liebenswürdig, gutherzig, und verherrlicht mit ihr Unseren Herrn in diesem Leben. Wenn ihr das treu und demütig in dieser Welt tut, werdet ihr zweifellos im Himmel mit der seligsten Jungfrau das Magnificat singen. Und indem ihr durch diesen heiligen Gesang die göttliche Majestät preist, werdet ihr von ihr die ganze Ewigkeit gesegnet sein. Dorthin mögen uns führen der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.


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