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Zum Fest der Kreuzerhöhung

Grenoble, undatiert (OEA VIII,414-420; DASal 9,198-203)

Gott hat mir ein außergewöhnliches Verlangen geschenkt, den Herzen aller Kinder der heiligen Kirche die Ehrfurcht und Liebe zum heiligen Kreuz unseres Herrn Jesus Christus einzupflanzen. Ich habe schon öfter erwogen: Nachdem der große Judas Makkabäus den Tempel des Alten Bundes wieder aufgebaut hatte, empfand das Volk der Hebräer so viel Trost, daß alles Volk auf das Angesicht niederfiel und Gott lobte und pries, der ihnen solchen Erfolg verlieh (1 Makk 4,55). Beim Gedanken daran sage ich: Mein Gott, welchen Trost und welche Herzensfreude müssen die Christen empfinden, wenn sie die Erhöhung des heiligen Kreuzes erwägen, das von den Ungläubigen gefällt und umgerissen und vom hochherzigen Feldherrn Heraklius wieder aufgehoben und aufgestellt wurde! Unsere Freude muß gewiß um so größer sein, als im alten Tempel stets nur Kälber, Böcke und Schafe geopfert wurden; aber auf dem Kreuz und im Kreuz hat sich der ewige Sohn Gottes selbst dargebracht und geopfert.

Der alte Tempel wurde nie von anderem Blut benetzt als dem von Tieren, das heilige Kreuz aber wurde benetzt vom Blut des Urhebers und Vollenders (Hebr 12,2) aller Opfer. Das Kreuz übertrifft die Erhabenheit des alten Tempels soviel, als das Opfer des heiligen Kreuzes alle anderen übertrifft; und es gibt keinen guten Christen, der nicht die Armut, die Verachtung und die Schmerzen des Kreuzes Jesu Christi zärtlicher lieben müßte, als die Juden des Alten Bundes die Reichtümer, die Pracht und die Wonnen ihres Tempels liebten.

Der Tempel des Alten Bundes wurde dreimal erbaut: das erstemal unter Salomo, das zweitemal unter Darius, das drittemal unter Makkabäus. So wurde auch das heilige Kreuz dreimal erhöht: das erstemal unter unserem Herrn Jesus Christus, das zweitemal unter Konstantin durch die fromme hl. Helena, das drittemal unter Heraklius. Die guten Juden haben immer wieder versucht, den Tempel neu aufzubauen, wenn ihn die Feinde zerstörten oder wenn sie ihn beschädigten; ebenso müssen sich die guten Christen stets bemühen, das heilige Kreuz zu erhöhen, je mehr die Feinde sich anstrengen, seine Ehre und Verehrung zu zerstören.

Der hl. Paulus, dieser unvergleichliche Meister und Lehrer der entstehenden Kirche, hat Jesus Christus den Gekreuzigten zur Wonne seiner Liebe erwählt, zum Gegenstand seiner Predigt, zum Gipfel all seines Ruhmes, zum Ziel all seiner Bestrebungen in dieser Welt und zum Unterpfand all seiner Hoffnung auf die Ewigkeit. Ich habe dafür gehalten, sagt er (1 Kor 2.2), nichts zu kennen als meinen gekreuzigten Jesus. Gal 6,14: Es möge nie geschehen, daß ich mich in etwas anderem rühme als im Kreuz meines Jesus. Glaubt nicht, meine lieben Galater, daß ich ein anderes Leben besäße als das des Kreuzes, denn ich versichere euch, ich sehe und fühle dermaßen überall das Kreuz meines Erlösers, daß ich durch seine Gnade vollkommen der Welt gekreuzigt bin und die Welt mir gekreuzigt ist. Glücklich die Seele, die ebenso überall den gekreuzigten Jesus Christus sieht.

Damit meine frommen Männer und Frauen öfter die Erinnerung an das hochheilige Kreuz auffrischen, rate ich ihnen gern, daß sie stets eines um den Hals oder an ihrem Rosenkranz tragen und daß sie stets ein Kreuz bei sich haben, um es oft anzuschauen und zu küssen, denn der Kuß ist ein Zeichen der Freundschaft. Deshalb küßte Jesus Christus, der vollendete Liebhaber unserer Seelen, seine Apostel, als sie zu ihm zurückkehrten; und der hl. Paulus lehrte seine Schüler: Grüßt einander von mir, indem ihr euch den heiligen Kuß gebt (Röm 16,16; 1 Kor 16,20).

Wer ohne Verstellung und Heuchelei, sondern in tugendhafter Absicht seinen christlichen Bruder küßt, bezeugt in Wahrheit, daß er ihn liebt. Als Beweis unseres Glaubens dürfen wir uns nun nicht damit begnügen, das Kreuz zu küssen, sondern wir müssen das Kreuz lieben; denn das Kreuz küssen, ohne es zu lieben, hieße den Frevel unseres Unglaubens vermehren und uns die Strafen jenes Volkes zuziehen, von dem Jesus Christus (Mt 15,8; Jes 29,13) sagte: Diese Leute ehren mich mit den Lippen; sie geben mir heuchlerische und falsche Lobsprüche; ihr Herz aber ist sehr weit von mir entfernt, folglich sind auch ihre Werke sehr weit von meinen Absichten entfernt. Daraus muß der Christ folgern, daß es nicht genügt, das Kreuz zu verehren, wenn man es nicht liebt; es zu küssen, wenn man es nicht durch einen herzlichen und festen Entschluß umfängt; nicht nur das Kreuz zu lieben, sondern auch die Kreuzigung des Herrn.

Einige beschauliche Seelen haben erwogen, daß Jesus Christus in der Werkstatt des hl. Josef sich in den dreißig Jahren seines verborgenen Lebens manchmal damit beschäftigt habe, Kreuze für verschiedene Gruppen von Menschen anzufertigen; und ich erlaube mir, sie in seinem Namen allen vorzustellen. Den hochwürdigsten Prälaten biete ich das Kreuz der Sorge und der Mühen, die ein guter Hirte auf sich nehmen muß, um seine Herde zu hüten, zu vermehren, zu nähren, zu vervollkommnen und zu bessern. Dieses Kreuz der Hirten ist das erste, das Jesus getragen hat. Das könnte ich leicht nachweisen durch seine Krippe, seine Wege, durch die Ermüdung und den Schweiß am Brunnen der Samariterin (Joh 4,6) und durch seine liebevolle Sorge selbst für jene, die ihn marterten.

Den Ordensfrauen und anderen geistlichen Personen biete ich das Kreuz der Zurückgezogenheit, der Ehelosigkeit und der Verleugnung der Welt; ein heiliges Kreuz, das wahrhaftig das Kreuz Unseres Herrn berührt hat; ein kostbares Kreuz, das die Jungfrau der Jungfrauen, Unsere liebe Frau getragen hat, die nächst ihrem anbetungswürdigen Sohn am heiligsten war, am unschuldigsten und am meisten gekreuzigt von allen Seelen, die das hochheilige Kreuz lieben.

Den Herren des Adels gebe ich das Kreuz der Bescheidenheit, der guten Verwendung der Zeit durch gute und heilige Beschäftigung des Geistes, die so hoch über der Handarbeit der Bürgerlichen steht, wie es der Vorrang ihres Standes, ihrer Geburt und ihres Vorzugs vor den anderen ermöglicht. Und als dritten Balken dieses Kreuzes, daß sie die wahre Ehre lieben; sie ist die einzige Tugend der Frömmigkeit und der Gottesfurcht und die Flucht vor dem Trugbild einer eingebildeten Ehre, das sie verfolgt; wenn es sich ihrer bemächtigt hat, verwickelt es sie in Eigendünkel, in Selbstüberschätzung und von da in Duelle, uzw. in Duelle in die ewige Verdammnis.

Den Herren der Justiz biete ich das Kreuz der Gelehrsamkeit, der Unparteilichkeit und der lauteren Wahrheit; ein Kreuz, das wahrhaft angemessen ist für Diener und Sachwalter des gerechten und lebendigen Gottes (Röm 13,4.6). Es läßt Gerechtigkeit und Gerichte vor seinem Angesicht sich vollziehen und richtet die ganze Erde in Gerechtigkeit, wie David (Ps 85,14; 97,2; 96,10.13). Ein wünschenswertes Kreuz, das die menschlichen Rücksichten kreuzigt, die Menschenfurcht und die Liebe zum eigenen Vorteil, das in einem Land den Frieden und in den Familien die Ruhe gedeihen läßt.

Den Angehörigen des dritten Standes bringe ich das Kreuz der Demut, der Mühe und der Arbeit ihrer Hände; ein Kreuz, das Gott mit ihrer Herkunft verbunden aber auch geheiligt hat dadurch, daß Jesus Christus das Handwerk des Zimmermanns ausübte. Es läßt ihn mit seinem Propheten (Ps 88,16) von sich sagen: Ich bin seit meiner Jugend in Mühe und Arbeit. Dieses Kreuz der Arbeit ist sehr heilsam, um dem Menschen zum ewigen Heil zu verhelfen. Da Müßiggang aller Laster Anfang ist, befreit eine notwendige und gute Beschäftigung den Geist von tausend Vorstellungen, die die Ursache der Sünden sind, erhält ihn in liebenswerter Unschuld und in gutem Glauben.

Für die jungen Leute bestimme ich das Kreuz des Gehorsams, der Keuschheit und der Bescheidenheit in ihrer Haltung; ein heilsames Kreuz, welches das Ungestüm des jungen Blutes kreuzigt, das zu wallen beginnt mit einem Mut, der noch nicht die Klugheit zur Führerin hat, das schließlich unsere jungen Leute befähigt, das überaus süße Joch Unseres Herrn zu tragen, in jedem Stand, zu dem seine Eingebung sie beruft.

Den Alten biete ich das Kreuz der Geduld an, der Milde und des weisen Rates; ein Kreuz, das ein Herz verlangt, das mit Mut bewaffnet ist, denn sie werden in diesem fortgeschrittenen und abgekühlten Alter nur Mühe und Leid auf Erden finden, wie David (Ps 90,10) sagt. Es gibt so viele Kreuze für Verheiratete, die eine Familie haben, daß es nicht notwendig ist, für sie eigene zu bestimmen. Eines, das ich ihnen trotzdem sehr gern vorstelle, ist das gegenseitige Ertragen, die treue, von keiner fremden Liebe durchbrochene Freundschaft und die Sorge für die Erziehung der Kinder; mögen sie darin der ganzen Familie ein gutes Beispiel geben und sich nicht schuldig machen an den Vergehen anderer.

Den Witwen fehlt das Kreuz ebensowenig. Wenn sie wahrhaft Witwen sind (1 Tim 5,3.5), müssen ihr Herz, ihre Liebe und ihre Freude an das Kreuz Jesu Christi geheftet sein, durch den Verzicht auf die Vergnügungen der Welt und durch die Erwägung des Todes, da ihre teure Hälfte schon im Grab modert.

Der glorreiche hl. Antonius sah eines Tages die Erde mit Schlingen und Netzen bedeckt; ich meine sie mit meinem inneren Auge mit Kreuzen übersät zu sehen. Glücklich jene, die das Kreuz nicht fliehen! Judas, der treulose Jünger, führte seine höllische Schar an, um Jesus gefangennehmen und an das Kreuz nageln zu lassen. Für sich selbst wies er das Kreuz vollkommen zurück; er wollte nicht einmal das der Reue und Buße, das Jesus Christus ihm anbot. Die sich weigern, das Kreuz, das Gott ihnen in diesem Leben auferlegt, demütig anzunehmen und tapfer zu tragen, werden im anderen Leben das Los des Judas teilen.

Der große König Salomo sagt (Koh 1,14): Alles, was unter der Sonne geschieht, ist Eitelkeit und Plage des Geistes. Unter dieser Voraussetzung gibt es keinen Menschen unter der Sonne, der dem Kreuz und Leiden entgehen könnte. Aber die Gottlosen, die schlecht gewordenen Menschen sind gegen ihren Willen und trotz des Widerwillens, den sie dagegen haben, an Kreuz und Trübsal gebunden; und durch ihre Ungeduld machen sie ihr Kreuz für sich verhängnisvoll. Sie haben Gefühle der Überheblichkeit, ähnlich denen des linken Schächers (Lk 23,39); auf diese Weise vereinigen sie ihr Kreuz mit dem dieses Verbrechers, und so wird unfehlbar auch ihr Lohn der gleiche sein. Ach, der gute Schächer macht aus seinem Kreuz ein Kreuz Jesu Christi. Gewiß, die Mühen, die Ungerechtigkeiten, die Trübsale, die wir empfangen, sind Kreuze eines echten Diebes, und wir haben sie wohl verdient. Wir müssen mit dem glücklichen Schächer demütig sagen: Wir empfangen in unserem Leid, was wir durch unsere Sünden verdient haben (Lk 23,41). Durch diese Demütigung machen wir unser Kreuz des Übeltäters zu einem Kreuz des wahren Christen. Vereinigen wir daher, wie der gute Schächer, unser Kreuz des Sünders mit dem Kreuz dessen, der uns durch das Kreuz erlöst hat. Durch diese liebevolle und fromme Vereinigung unserer Leiden mit den Leiden und dem Kreuz Jesu Christi werden wir als gute Schächer in seine Freundschaft und in der Folge in sein Paradies aufgenommen.

Wenn ich also das heilige Kreuz Jesu mit einem Herzen voller Liebe und Ehrfurcht betrachte, werde ich folgende ewige und unverletzliche Entschlüsse fassen: O mein Jesus, Vielgeliebter meiner Seele, erlaube mir, daß ich dich wie einen Myrrhenstrauß an meine Brust drücke (Hld 1,12), gefärbt von deinem kostbaren Blut. Laß mich sagen, daß mein Mund, der so glücklich ist, dein heiliges Kreuz zu küssen, sich künftig der Verleumdung, des Murrens und der Lüsternheit enthalten wird. Meine Augen, Jesus, die deine Tränen über meine Sünden, über das Kreuz fließen sehen, mögen nie mehr etwas ansehen, was gegen dich ist; diese zwei Leuchten meines Leibes sollen schwach werden durch das Emporschauen (Jes 38,14) zu meinem am Kreuz erhöhten Erlöser. Ich will sie abwenden, damit sie die Eitelkeit der Welt nicht sehen (Ps 119,37), sondern stets die Wahrheit deiner heiligen Liebe anschauen. Meine Ohren, die mit soviel Trost die sieben Worte am Kreuz vernehmen, sollen keine Freude mehr haben an eitlem Lob, an falschen Berichten, an Reden, die meinen Nächsten herabsetzen, an eitlen Vorschlägen, an unnützem Geschwätz.

Mein Verstand, der mit Wohlgefallen die anbetungswürdigen Geheimnisse des hochheiligen Kreuzes erwägt, soll sich nie mehr auflehnen in böswilligen und schlechten Vorstellungen. Mein Wille, der sich dem Gesetz des heiligen Kreuzes und der Liebe Jesu Christi des Gekreuzigten unterworfen hat, soll nie jemand hassen, weil sein vielgeliebter Jesus aus Liebe für alle gestorben ist (2 Kor 5,14f).

Schließlich soll es mein eifriges Bestreben sein, das Kreuz zu errichten in meinem Herzen, in meinem Verstand, in meinen Augen und Ohren, in meinem Mund, in allen meinen inneren und äußeren Sinnen, damit nichts Eingang finde oder hervorgehe, was nicht verpflichtet wäre, die Erlaubnis dazu vom heiligen Kreuz zu erbitten. Ich will das Kreuzzeichen in Ehrfurcht machen und mit ihm mein Herz bezeichnen beim Erwachen und vor dem Einschlafen. Wenn ich im heiligen Kreuz meine Stütze suche in den Ängsten dieses Lebens, hoffe ich in ihm meine ewige Freude zu finden. Denn wenn ich den gekreuzigten Jesus Christus in dieser Welt liebe, werde ich meine Freude in der anderen im verherrlichten Jesus finden. Ihm sei Ehre und Verherrlichung von Ewigkeit zu Ewigkeit. So sei es.


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