Annecy, 12. April 1594 (OEA VII,166-171; DASal 9,52-55)
Friede sei mit euch! (Lk 24,37; Joh 20,19)
Ohne Zweifel war in der Arche Noachs die Freude sehr groß, als die Taube, die kurz zuvor fortgeflogen war, um den Zustand der Erde zu erkunden, schließlich mit dem Ölzweig im Schnabel zurückkam, als sicheres Zeichen dafür, daß die Flut zurückgegangen war (Gen 8,10f) und daß Gott der Welt wieder den Segen seines Friedens geschenkt hat. Mit welchem Jubel aber, o Gott, mit welcher Fröhlichkeit und Freude wurde die Schar der Apostel erfüllt, als sie die heilige Menschheit des Erlösers nach der Auferstehung in ihre Mitte zurückkehren sahen, der in seinem Mund den Ölzweig eines heiligen und willkommenen Friedens trug: Friede sei mit euch! Er zeigte ihnen die untrüglichen Zeichen der Wiederversöhnung der Menschen mit Gott: Und er zeigte ihnen seine Hände und seine Füße (Lk 24,40). Ohne Zweifel waren ihre Seelen nun ganz vom Trost erfüllt: Die Jünger freuten sich, als sie den Herrn sahen (Joh 20,20). Aber diese Freude war nicht die wichtigste Wirkung dieser heiligen Erscheinung: ihr schwankender Glaube wurde gefestigt, ihre schüchterne Hoffnung wurde gesichert und ihre fast erloschene Liebe wurde neu entfacht. Darüber möchte ich in dieser Predigt sprechen. Das kann ich jedoch nur gut tun, und ihr könnt nur gut zuhören, wenn der Heilige Geist uns beisteht. Rufen wir ihn also an; um ihn aber besser anrufen zu können, bemühen wir uns um die Fürsprache der heiligen Jungfrau. Ave Maria.
Nunc autem manent fides, spes, charitas, tria haec; major autem horum est charitas. Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei; das Größte aber unter ihnen ist die Liebe (1 Kor 13,13). Der Glaube für den Verstand, die Hoffnung für das Gedächtnis, die Liebe für den Willen. Der Glaube ehrt den Vater, denn er stützt sich auf die Allmacht; die Hoffnung ehrt den Sohn, denn sie ist gegründet auf seine Erlösung; die Liebe ehrt den Heiligen Geist, denn sie umfängt und liebt die Güte. Der Glaube zeigt uns die Glückseligkeit, die Hoffnung läßt uns nach ihr streben, die Liebe bringt uns in ihren Besitz. Alle drei sind notwendig, uzw. für jetzt, denn im Himmel bleibt nur die Liebe. Der Glaube geht nicht in den Himmel ein, denn dort schaut man alles; die Hoffnung noch weniger, denn man besitzt dort alles. Nur die Liebe hat dort ihren Platz, um Gott in allem, durch alles und mit allem zu lieben. Elija ließ seinen Mantel fallen (2 Kön 2,12f): Der Mantel des Glaubens und der Schleier der Hoffnung kommen nicht in den Himmel mit, sondern sie bleiben auf der Erde, wo sie notwendig sind. Unser Herr will nichts anderes, als uns diese drei Lehren gut einzuprägen: wie man glauben, hoffen und lieben muß. Das tut er vor allem in diesen vierzig Tagen, in denen er nach der Auferstehung mit seinen Aposteln verkehrt (Apg 1,3), und ganz besonders bei der Erscheinung, von der heute berichtet wird.
Fürs erste: Die Jünger waren in einem Saal versammelt und hatten aus Furcht vor den Juden die Türen fest verschlossen (Joh 20,19). Der Heiland tritt ein, grüßt sie und zeigt ihnen seine Hände und seine Füße. Warum das?
(I.) Um ihren Glauben zu festigen. Ach, wie war ihr Glaube erschüttert! Die arme Magdalena war ihn unter den Toten suchen gegangen und wollte ihn einbalsamieren; nun glaubte sie, daß man ihn geraubt habe. Die Apostel waren in einer Verfassung, daß sie die Kunde für leeres Gerede hielten; sie glaubten ihnen nicht, nämlich den Frauen, die Botschaft, die sie von den Engeln erfahren hatten (Lk 24,6.11). Die beiden Pilger sagten: Wir hatten gehofft (Lk 24,21). Der große hl. Thomas rief aus: Ich kann nicht glauben (Joh 20,25). Um also diesen Glauben zu festigen, dem der Untergang drohte, kam Er und sagte: Friede sei mit euch; und er zeigte ihnen seinen Leib. Aber wie kann es geschehen, daß sie glaubten, da sie ihn gesehen und berührt haben? (Gregor d. Gr.). Der Verstand hat gehandelt wie der Quartiermeister, der einem anderen die Wohnung bereitet, selbst aber nicht dableibt. So hat er den Glauben in das Herz der Apostel und in das unsere gebracht. Dennoch bleibt er nicht länger in Tätigkeit, denn wenn der Glaube gekommen ist, weicht der Verstand, wie die Nadel, die die Seide einführt ...
Welche Glaubensartikel aber werden begründet? (1.) Die Identität des Leibes bei der Auferstehung: Ich werde Gott, meinen Erlöser, in meinem Leib schauen; von neuem werde ich von meiner Haut umgeben sein (Ijob 19,26). Seht, ich bin es selbst (Lk 24,39). O bewunderungswürdiger Glaubenssatz! Wenn wir daran fest glauben, sind wir gute Christen, denn wir werden daraus ohne Schwierigkeit folgende Konsequenzen ziehen: Ich darf also meinen Leib nicht entweihen, denn in einem Augenblick, beim Schall der letzten Posaune, werden wir auferweckt werden (1 Kor 15,51f). Warum sollte beim ersten Posaunenschall nicht der gleiche Leib erscheinen? Ist Christus nicht auferstanden, dann ist unser Glaube nichtig (1 Kor 15,14.17). – (2.) Die Wahrheit von der Beschaffenheit des Leibes, der den Regungen der Seele folgt wie die Kleider. Der Leib beschwert die Seele (Weish 9,15); die Seele macht den Leib leicht. Der gute David konnte sich in der Rüstung Sauls nicht bewegen (1 Sam 17,39). Solange unsere Seele mit dem irdischen Leib beschwert ist, kann sie sich nicht gut bewegen. Siehe, sie glaubten ein Gespenst zu sehen (Lk 24,37); Magdalena einen Gärtner (Joh 20,15); die Pilger einen Pilger (Lk 24,15); die Fischer einen Fischer (Joh 21,4-7). Einmal war er sichtbar, einmal kam er durch verschlossene Türen. Gesät wird ein Sinnenleib, auferweckt wird ein vergeistigter Leib (1 Kor 15,44). Wie der Adler, der nicht fliegen kann, bis er seine Jugend erneuert hat (Die Rabbiner, Genebrard zu Ps 103,5). Was sollten jene tun, die sich für die Toten taufen lassen? Wozu lassen sie sich für jene taufen? Wozu setzen wir uns zu jeder Stunde so vielen Gefahren aus? Jeden Tag sterbe ich für euren Ruhm, den ich in unserem Herrn Jesus Christus habe. Was nützte es mir, daß ich in Ephesus gegen wilde Tiere gekämpft habe, wenn die Toten nicht auferweckt werden? Laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot (1 Kor 15,29-32).
II. Die Hoffnung. Nun, ihre Hoffnung war schwach: Wir hatten gehofft. Sie fürchteten sich. Die Hoffnung ist der Furcht entgegengesetzt. Sie trauerten und weinten, sagt der hl. Markus (16,10). Es ist eine ernste Sache, wenn man von Gott getrennt ist. Man ist ängstlich, man verliert die Kraft. So war es bei den Aposteln, so war es bei Magdalena. Wie ein Schiff ohne Lotsen und ohne Steuermann im Unwetter und Sturm zerschellt oder vom Wind getrieben wird, so war dieses arme Schifflein ohne Hoffnung: Efraim ist geworden wie eine verirrte Taube ohne Mut (Hos 7,11). O, ich möchte nicht, daß wir ohne Hoffnung wären, aber ich wollte wohl, daß wir weinen, wenn wir Gott verlieren. Der Hirsch ... (Ps 42,1.3). Aber Unser Herr kommt, um Hilfe zu bringen, an diesem Ort, der von der Furcht belagert ist: Seht meine Hände und meine Seite (Lk 24,39). Braucht ihr Kraft, so seht meine Hände; braucht ihr ein Herz, seht hier das meine. Wenn ihr Täubchen seid, so seht die offenstehenden Wundmale (Hld 2,14). Seid ihr krank, hier habt ihr den Arzt: Verschlungen ist der Tod im Sieg (1 Kor 15,54). Estis captivi, en redemptio; seid ihr Gefangene, hier ist die Befreiung (Jes 61,1; Lk 4,19). Ach, wie könnten wir uns fürchten? Seht, er kommt; er blickt durch das Gitter und späht durch die Fenster (Hld 2,8f).
(III.) Die Liebe. Kann denn die Frau das Kind vergessen, das sie in ihrem Schoß getragen hat? Und wenn sie es vergäße, so vergesse ich dich nicht. In meine Hände habe ich dich eingeschrieben (Jes 49,15f). Er nimmt unser Elend und adelt es; er legt unser Elend auf sein Herz (Ijob 7,17): Er zeigte seine Seite. Schenken wir ihm also wieder Liebe, sonst wird Er, der uns seine Wunden aus Liebe zeigt, sie uns eines Tages in Zorn und Entrüstung zeigen: so wie die Bilder, auf denen rechts eine Frau und links der Tod steht, rechts ein Lamm, links ein Löwe; wie die Bienen, die Honig bereiten, aber auch schmerzhaft stechen. Seht die Hände, ihr Betrüger, ihr Spötter, ihr Schamlosen. Sie werden aufschauen zu dem, den sie durchbohrt haben (Sach 12,10; Joh 19,37). Alle Völker werden wehklagen über sich (Offb 1,7).
Gütiger Jesus, gib, daß wir den Frieden annehmen, den du bringst, und laß uns deine Wunden sehen. Und da der Glaube, die Hoffnung und die Liebe bleiben, mögen wir, festgewurzelt im Glauben (Eph 3,17; Kol 2,7), freudig in der Hoffnung, glühend in der Liebe (Röm 12,10-12), das beseligende Ziel unserer Hoffnung, deine Ankunft erwarten (Tit 2,13). Gib, daß wir dabei zur Rechten dich als Lamm sehen, nicht als Löwen zur Linken. Gib, daß wir anstelle des Glaubens das Schauen, anstelle der Hoffnung den Besitz und anstelle der unvollkommenen Liebe die vollkommene Liebe besitzen, deren wir uns in alle Ewigkeit erfreuen werden. Amen.
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