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Zum Weihnachtsfest - in der Mitternachtsmesse

Lyon, 25. Dezember 1622 (OEA X,412-416; DASal 9,463-466)

Unter allen Festen, die wir in der heiligen Kirche feiern, gibt es drei, die zu allen Zeiten gefeiert wurden, die ihren Ursprung und Ausgang vom großen Paschafest nehmen, das im Alten Bund gefeiert wurde. Diese drei Feste werden Pascha genannt, eine Bezeichnung, die nichts anderes bedeuten will als Übergang (Ex 12,11). In der Tat ist das heutige Fest nur eingesetzt zum Gedächtnis des Übergangs Unseres Herrn von seiner Gottheit zu unserer Menschheit. Der zweite Übergang ist der von seinem Tod und Leiden zur Auferstehung; das ist der Übergang von der Sterblichkeit zur Unsterblichkeit, den wir jedesmal in der Heiligen Woche und an Ostern feiern. Den dritten feiern wir zu Pfingsten als dem Tag, an dem Gott die Heiden annahm und sie übergehen ließ vom Unglauben zum Glück, seine vielgeliebten Kinder zu sein, das größte Glück, das die Kirche erfahren kann. Alle diese Feste nehmen gleichwohl ihren Ausgang vom heutigen Geheimnis.

Man könnte mir aber sagen, es sei nicht üblich, bei der Mitternachtsmesse zu predigen. Ich antworte, daß dies sehr wohl in der Urkirche üblich war, als sie in ihrer Blüte und in ihrer Kraft stand. Der hl. Gregor bestätigt das durch die Homilie dieses Tages. Die frühen Christen verrichteten sogar die drei Nokturnen der Matutin getrennt und erhoben sich auf diese Weise dreimal in der Nacht; mehr noch, man ging siebenmal am Tag das Chorgebet verrichten, um zu erfüllen, was der Psalmist (Ps 119,164) sagt. Außerdem predigte man dreimal an diesem Fest: einmal in der Mitternachtsmesse, das zweite Mal in der Messe bei Tagesanbruch und das dritte Mal bei der Messe am Tag, wie uns der hl. Augustinus versichert. Der Eifer der ersten Christen war ja so groß, daß ihnen nichts zu viel war; der Geringste unter ihnen war noch mehr wert als die besten Ordensleute unserer Zeit. Seither hat sich aber der Eifer so abgekühlt, daß man die Messe, das Chorgebet, die Predigten einschränken und vermindern mußte. Nun, dies alles ist nicht das, worüber ich in der kurzen Zeit, die uns bleibt, zu euch sprechen will. Ich habe vielmehr vor, euch zu sagen, was wir von diesem Geheimnis glauben müssen, das uns die Kirche an diesem Tag vorstellt, dann darüber zu sprechen, was wir erhoffen und üben müssen. Wenn ich nicht damit zu Ende komme, euch jetzt alles zu erklären, wird das übrige für den Rest des Tages sein, wenn Gott uns die Zeit dazu schenkt.

Bevor ich meine Predigt fortsetze, will ich euch sagen, daß ich mich irgendeines Bildes zu bedienen pflege. Bei all unseren Werken, die wir schaffen oder beginnen, haben wir, falls wir gut beraten sind, das Ziel vor Augen, weil wir es haben müssen. Wenn z. B. jemand ein Haus oder einen Palast bauen will, überlegt er zuerst, ob es als Wohnung für einen Winzer oder irgendeinen Bauern bestimmt ist oder vielmehr für einen Herrn. Er muß ja eine ganz andere Bauweise anwenden je nach dem Stand der Person, die er hier wohnen lassen will. Der ewige Vater hat dasselbe getan, als er die Welt schuf; er plante ja, sie für die Menschwerdung seines Sohnes zu schaffen, der das ewige Wort ist. Das Ziel seines Werkes war also dessen Anfang, denn seine göttliche Weisheit hat ja von aller Ewigkeit vorhergesehen, daß das Wort unsere Natur annehmen und auf diese Erde kommen soll. Das alles hatte er beschlossen, ehe Luzifer und die Welt geschaffen wurden und ehe unsere Stammeltern sündigten, und wir halten nach der Überlieferung für sicher, daß Unser Herr vor 1622 Jahren in diese Welt gekommen ist, unsere Natur angenommen hat und Mensch wurde.

Wir feiern also die Geburt des Heilands auf Erden. Doch bevor wir darüber sprechen, laßt uns etwas sagen über die göttliche und ewige Geburt des Wortes. Von aller Ewigkeit hat der Vater seinen Sohn gezeugt, der ihm gleich und ewig wie er ist, denn er hat nie begonnen und ist in allem seinem Vater gleich, der ihn gleichsam aus seinem Schoß, aus seinem eigenen Wesen aussprach. Das ist so, wie wir z. B. sagen, daß die Strahlen der Sonne aus ihrem Schoß hervorgehen, da die Sonne und ihre Strahlen ein und dasselbe sind. Wir sind gezwungen, diese Ausdrücke zu gebrauchen, weil wir keine anderen haben. Wenn wir Engel wären, würden wir von Gott ganz anders sprechen, auf viel vorzüglichere Weise. Aber ach, wir sind nur ein wenig Staub und Kinder, die nicht wissen, was sie sagen. Der Sohn ist also vom Vater gezeugt, er geht vom Vater aus, ohne einen anderen Platz einzunehmen. Er ist im Himmel geboren ohne Mutter, aus seinem Vater, der zugleich der Ursprung der allerheiligsten Dreifaltigkeit ist und dennoch jungfräulich unter allen Jungfrauen bleibt. Auf Erden ist er ohne Vater geboren von seiner Mutter, Unserer lieben Frau. Wir wollen nun ein Wort sagen über diese zweifache Geburt, für die wir sichere Zeugnisse haben, wie wir gleich erklären werden.

Das Evangelium (Lk 1,35) versichert uns, daß das göttliche Wort Fleisch angenommen hat im Schoß der allerseligsten Jungfrau, mit den Worten des Engels: Der Heilige Geist ... Er verkündete ihr, daß der Heilige Geist über sie kommen und die Kraft von oben sie überschatten werde. Damit ist dennoch nicht gesagt, daß in Jesus Christus zwei Personen seien, denn da sich die Gottheit mit unserer Menschheit vereinigte, war er vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an vollkommen Gott und Mensch ohne irgendeine Trennung. Doch bringen wir einige Beispiele. Die Naturforscher bemerken, daß der Honig entsteht aus einem Harz, das wir Manna nennen, das vom Himmel fällt und sich mit der Blume vereinigt oder verbindet, die ihrerseits ihre Substanz aus der Erde gewinnt. Wenn sich nun diese beiden Substanzen miteinander vereinigen, bilden sie nur den einen Honig. So hat in unserem Herrn und Meister die Gottheit unsere Natur gleichsam mit der ihren vereinigt und uns in gewisser Weise seiner Gottheit teilhaft gemacht (1 Petr 1,4), denn sie ist Mensch wie wir geworden (Phil 2,7; Hebr 4,15).

Es ist aber ein Unterschied zwischen dem Honig, der aus dem Thymian gewonnen wird, weil er viel vorzüglicher ist als der, den man Honig von Heraklea nennt, der aus dem Eisenhut und anderen Blumen entsteht. Wenn man ihn verkostet, erkennt man sogleich den Honig, der vom Thymian gesammelt ist, denn er ist stark und süß zugleich, während der Honig von Heraklea tödlich ist. So ist es auch mit der heiligen Menschheit Unseres Herrn; denn hervorgegangen aus dem jungfräulichen Boden Marias unterscheidet er sich sehr von unserer Natur, die ganz befleckt ist von Verderbnis und Sünde. In der Tat, da der ewige Vater wollte, daß sein Sohn das Haupt und der unumschränkte Herr aller Geschöpfe (Kol 1,15-18) wurde, wollte er zugleich, daß die allerseligste Jungfrau das vorzüglichste unter allen wurde, denn er hat sie von aller Ewigkeit erwählt, die Mutter seines göttlichen Sohnes zu sein. Der heilige Leib Marias ist wahrhaftig ein mystischer Bienenstock, in dem der Heilige Geist diese Honigwabe mit ihrem allerreinsten Blut gebildet hat. Ferner hat das Wort Maria erschaffen und ist aus ihr geboren, so wie die Biene den Honig erzeugt und der Honig die Biene, so daß man nie Bienen sieht ohne Honig, noch Honig ohne Bienen.

Bei der Geburt Unseres Herrn haben wir Zeugnisse seiner Gottheit, uzw. sehr einleuchtende. Man sieht die Engel vom Himmel herabkommen, um den Hirten zu verkünden, daß ihnen ein Retter geboren ist (Lk 2,8-14), und sieht die königlichen Magier kommen, um ihn anzubeten (Mt 2,1-11). Das alles zeigt uns, daß er mehr ist als ein Mensch, wie wir andererseits an seinem Wimmern, das er zitternd vor Kälte in der Krippe hören läßt, sehen, daß er wahrer Mensch ist.

Erwägen wir doch die Güte des ewigen Vaters. Es wäre in seiner Macht gelegen, wenn er die Menschheit seines Sohnes erschaffen wollte, wie er unsere Stammeltern erschaffen hat, oder wenn er ihm die Natur der Engel geben wollte. Wäre dem so gewesen, nun, dann wäre Unser Herr nicht von unserer Natur gewesen, dann hätten wir keine Verbindung mit ihm. Seine Güte hat ihn aber so weit geführt, sich zu unserem Bruder zu machen, um uns ein Beispiel zu geben (Röm 8,29; Hebr 2,11-17) und uns auf diese Weise seiner Glorie teilhaftig zu machen. Deshalb wollte er aus der Nachkommenschaft Abrahams sein, denn die seligste Jungfrau war von seinem Stamm, und aus diesem Grund heißt es von ihr (Lk 1,55; Röm 1,3; Gal 3,16): Abraham und seinem Nachkommen. Ich lasse euch zu Füßen dieser glückseligen Wöchnerin, damit ihr wie weise Bienen den Honig und die Milch sammelt, die aus diesen heiligen Geheimnissen und von ihren keuschen Brüsten träufeln, in Erwartung dessen, was ich euch des weiteren erklären will, wenn Gott uns dazu die Gnade und die Zeit gibt. Ihn bitte ich, euch mit seinem Segen zu überhäufen. Amen.


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