Salesianische Zweimonatsschrift
"Licht" Januar / Februar 2010 |
Credit Points
und Kulturschock Alles schneller, besser, weiter... so lautet die Devise der modernen Gesellschaft, zu der wir alle gehören, ob es uns passt oder nicht. Wer sich nicht anpasst, wird ausgeschlossen, wird zu einem „Outsider“, wie es so schön auf Neu-Deutsch heißt. Wer vorankommen möchte, der kann es sich nicht leisten, auch noch auf die anderen Rücksicht zu nehmen! Mich nervt dieses Ethos schon ziemlich, denn ganz egal in welchen Bereich man sieht, es ist ja doch immer dasselbe: auf der Uni immer mehr Credit Points erreichen, im Beruf mehr Professional Tools, mehr Coaching! Und im privaten Leben? Wir leben heute in einer Leistungsgesellschaft, in der die persönliche Begegnung und das Sich-Zeit-Nehmen für andere schon fast in Vergessenheit geraten sind. „Ist der Platz noch frei...?“ Wenn ich daher heute durch die Straßen Wiens schlendere, dann denke ich mir schon hin und wieder: „Wie begegnen sich Menschen heute wirklich?“ Wenn man nämlich, so wie ich, in einer Großstadt lebt, erfährt man diese Credit-Points-Professional-Tools-Coaching-Mentalität noch öfter: Man geht aneinander vorbei, ohne sich nur eines Wortes, ja gar eines Blickes zu würdigen. Man lebt anonym – sicherlich aber nicht nur ein „Wiener Syndrom“. Genau dann ist es für mich wirklich ein Spaß, die Leute in der U-Bahn mit folgender Frage zu konfrontieren: „Ist der Platz noch frei …?“ Verdutzte Blicke sind dann meist die Antwort. Ich meine, dass wir in einer Mentalität des Nicht-Begegnens leben, weil es viel einfacher ist, den anderen in Ruhe zu lassen, als sich für ihn zu interessieren, und ich schließe mich da gar nicht aus. Aber was verbirgt sich dahinter? Macht allein ein netter Gruß schon Begegnung aus? Ist nicht viel mehr die Frage ausschlaggebend, wie ich zu meinem Gegenüber stehe, dem ich begegne? Ist er/sie mir im Grunde nicht ziemlich egal? Diese Frage beginnt bei der eigenen Familie, setzt sich fort über den Freundeskreis und endet bei den Menschen, denen wir tagtäglich auf der Straße begegnen. Wir gehen uns doch viel zu oft aus dem Weg! Begegnung – ein Kulturschock?! Ich erinnere mich noch gut, als ich vor zwei Jahren in Mexiko ankam, um dort meinen Zivildienst zu absolvieren. Ich war von der Offenheit und Herzenswärme der Menschen überwältigt. Obwohl mich niemand kannte, wurde ich herzlich aufgenommen. Wildfremde Menschen auf der Straße grüßten zurück, wenn ich ihnen mit einem „Buenos días“ begegnete. Noch immer ist mir der Ausspruch der Mexikaner „Mi casa es tu casa – Mein Haus ist dein Haus“ in Erinnerung, der Ausdruck ihrer Gastfreundschaft und Offenheit dem Nächsten gegenüber ist. Es war für mich ein positiver Kulturschock, der mich über meine eigene „Kälte“ in der Begegnung mit anderen schockierte. No Risk – No Fun! Um dem anderen aber wirklich zu begegnen, bedarf es einer offenen Haltung und der Bereitschaft ein Risiko einzugehen. Manche wird dies im wahrsten Sinne des Wortes „schockieren“. Vor allem wir als Christen, die in den Fußstapfen des Jesus von Nazareth gehen, sind verpflichtet, den Mitmenschen ernst zu nehmen. Und ihn ernst zu nehmen heißt, ihm mit ganzem Herzen zu begegnen. Jesus schockierte die Menschen von damals mit seiner frohen Botschaft! Lasst auch uns die Welt ein wenig schockieren! Florian Mayrhofer ist Student der Theologie und Romanistik an der Universität Wien, Österreich |