Salesianische Zweimonatsschrift "Licht"
Ausgabe Mai / Juni 2005
Zu gut versteckt
Katharina Grabner-Hayden
Gehen Sie mit mir gedanklich dreißig, vierzig Jahre zurück.
Sommer, Ferien und eine Schar von Kindern, die sich mit Spielchen die
Zeit vertreiben.
Wie war das damals, beim Versteckspielen?
Einer wurde gewählt: der Sucher und Fänger. Er musste von zwanzig
runter zählen, ganz laut, so dass alle es noch hören konnten.
Ich war eine Meisterin im Verstecken,
hörte gar nicht mehr das Zählen. Unser Garten hatte nie einen
Zaun, weit verstreut waren meine Verstecke, in Erdlöchern, auf Bäumen,
im Getreidefeld, auf Dachböden oder Wäschekammern. Die Kunst
dabei war still und leise seine Verstecke zu wählen, die man bereits
beim Zählen wusste, und sich so zu verbergen, dass man auch gefunden
wurde. Das gab erst das richtige „Knistern“ in der Magengrube.
Manchmal waren jedoch meine Verstecke
so gut, dass man mich vergaß, die Kinder wählten einen neuen
Fänger und ich saß immer noch in meiner Grube oder meinem Erdloch.
Nach einiger Zeit kam ich dann verärgert heraus, das Spiel war beendet,
ohne dass ich davon mitbekommen hatte, die Kinder weg an einem anderen
Spielplatz. Ich war zu leise und zu gut und doch alleine. Verärgert
begann ich dann die Suche nach IHNEN. „Miststücke, spielen
die ohne mich weiter …“ Oft ging ich dann in mein Versteck
zurück und spielte mit dem, was ich vorfand, Ameisen oder Käfer,
Blätterwerk und Baumstrünke, die Burgen und Schlösser waren.
Es war aber etwas anderes, SIE waren nicht mehr da und ich war mit mir
alleine. Ich hatte in meiner grenzenlosen Freiheit den Raum verlassen,
war für niemanden mehr in Reichweite.
Wie erreichbar sind wir heute? Für
Menschen, die zählen und warten und die trotz Handy und E-Mail einen
doch nicht erreichen, weil wir in Erdlöchern sitzen und mit Ameisen
spielen?
Wir, die frustriert aus unserem Versteck kommen und beleidigt sind, weil
das Spiel, das Leben, ohne uns vorbeigeht. Wir sind nicht mehr dabei,
weil wir uns nicht mehr haben „fangen lassen“. Es ist schwierig
eine Harmonie zwischen der individuellen Freiheit und dem Raum zu schaffen,
der Reichweite, in der wir uns bewegen. Zu leicht verlassen wir dabei
die Grenzen, der Preis dafür ist Vereinsamung und Isolation. Kein
Knistern mehr in der Magengrube.
Und ER, Er möchte mich finden,
ich muss mitspielen können und habe es verlernt.
Er, das ist der, der wartet. Er, der geduldig zählt. Warum findest
du mich denn nicht? Was muss ich tun, damit du mich findest?
Es sind die Reichweiten, die man nicht verlassen sollte. Zumindest hören
sollte ich dich oder du mich. Du sollst meine Verstecke noch spüren,
erahnen können. Bereitwillig würde ich mich auch durch ein Räuspern
oder Hüsteln zu erkennen geben, weil ich mich finden lassen will.
Ich verstecke mich immer noch gerne
und immer noch sind meine Verstecke so, dass man Mühe hat mich zu
finden. Ich habe aber gelernt, mich durch Hüsteln oder durch Räuspern
in meinen Lebensbeziehungen zu meinem Mann, zu meinen Kindern, in Freundschaften
erkennen zu geben. Ich lasse mich gerne finden. Denn ich möchte mich
nicht mit Ameisen und Käfern zufrieden geben, ich darf mir nicht
selbst genug sein.
Es ist das Küssen meiner Kinder, die ich in den Schlaf wiege, es
sind die Worte die ich mit meinem Mann wechsle, das Säuseln des Windes
in meinen Haaren, wenn ich mit meinem Hund durch die Wälder jogge.
Es sind die Gedanken, die mir in einer Eucharistiefeier durch den Kopf
gehen, Liebkosungen des Lebens. Dann weiß ich: Du hast mich gefunden.
Finde mich tausendmal, so oft, bis ich gelernt habe, geduldig zu zählen
und zu warten, um auch Dich zu finden.
Katharina Grabner-Hayden ist Unternehmensberaterin.
Sie ist verheiratet und hat drei Söhne.
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