Salesianische Zweimonatsschrift "Licht"
September / Oktober 2010

 

Barmherzige Liebe
P. Peter Lüftenegger OSFS


„Ist Religion nicht mehr Herzenssache, werfe ich sie weg. Zu viele haben es schon getan – der Widersacher Gottes weiß, er braucht der Kirche nur die Herzensschau zu rauben. Aber wir dürfen getrost sein: der Dreieinige Gott hat uns zuerst geliebt, und zwar aus g a n z e m Herzen – seine Liebe wird stärker sein.“ So steht es zu Anfang im Buch „Ewiges Herz“.

Alles, was ewig ist, ist schwer zu erfassen. Es ist gleichsam für uns bodenlos.

Das Herz ist ein schwieriges Ding: man sieht es nicht und doch: Jeder hat es – sollte „Herz“ haben. Ein warmes, weises, mitfühlendes, ein starkes und zugleich zärtlich liebendes – in Summa ein aufmerksames, freigebiges, barmherziges Herz, weil dieses am Gericht Gottes so gut vorbei kommt – denn „Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“ (Jak 2,12). Also ein Herz, das sich erbarmt – und damit Gott dafür entschuldigt, dass Er eine Welt gemacht hat, in der auch die Bosheit wie aus einem Kuckucksei ausschlüpft und sich breit macht, als wäre die herzlose Bosheit das Normale, ja Vernünftige.
Vernünftig ist es auf keinen Fall, böse zu ein. Es ist hässlich, birgt den Hass. Doch gerade die Bosheit hat die barmherzige Liebe auf den Plan gerufen. Nun, Gottes Gedanken sind nicht unsere Gedanken – zunächst nicht. In dieser Welt zeigt sich gerade am Elend und wie wir zu ihm stehen, wes Geistes Kinder wir sind. Ob wir mitfühlend sind? Sind wir ohne Mitfühlen überhaupt ein Mensch? Unser Denken, Reden und Tun bringt es an den Tag. Und der Tag ist lang, es sind deren viele – auch das Leben ist lang. Doch es endet immer plötzlich und der Tod kommt wie ein Dieb und stellt uns auf die Waage. Was wir gedacht, geredet und getan haben, das sind wir geworden. An den Früchten erkennt ihr den Baum, ob er gut oder schlecht ist, sagt Jesus.

DEMUT muss ein Grundbefund unseres Herzens sein.

Franz von Sales macht sie gleichsam zur Trägerrakete, mit der uns die HOCHHERZIGKEIT zum Himmel steigen lässt. Er schreibt: „Demut ohne Hochherzigkeit ist zweifellos falsche Demut. Wohl soll sie bekennen: Ich bin nichts und kann nichts – aber dann sofort der Hochherzigkeit das Wort lassen, die sagt: Unmögliches gibt es für mich nicht, wird es auch nie geben, denn ich vertraue auf Gott, er vermag alles. Getragen von solchem Vertrauen, macht sie sich mutig an alles, was man sie tun heißt und ihr rät – wäre es auch noch so schwer“ (DASal 2,79). Wie ermutigend ist das.
Der Kampf für das Gute gegen das Böse scheidet die Geister, macht das Herz dem Herzen Gottes am ähnlichsten, zeigt uns in sich dessen heiliges Wesen und Natur: den Menschen als sein Ebenbild und das Lebenselixier LIEBE. Er zeigt uns den Sinn in der Liebe und die Gerechtigkeit in ihrer Folge. Liebe lässt uns den Himmel ahnen. Es ist vor allem die barmherzige Liebe, auf die der Herr hinzeigt, die er uns vorlebt und durch die wir dem Gericht entkommen, da sie über das Gericht triumphiert. Hingegen ein Gericht ohne Erbarmen erwartet jene, die kein Erbarmen gekannt haben (Jak 2,12). Bischof Klaus Hemmerle erzählt von einer Religionsstunde über die Mantelteilung des Soldaten Martin für einen nackten Bettler. Ein Zwischenruf: „Der Bettler, das war Gott!“ – und noch einer: „Das hat er gut gemacht.“ – „Wieso?“ – „Sonst wäre Gott erfroren!“ Ja, Gott kann erfrieren im Menschen – beim Hartherzigen das Ebenbild auslöschen und Verzweiflung von unten heraufbringen für die am Mangel an Liebe Erfrierenden. So scheidet die barmherzige Liebe die Geister. Der heilige Martin ist eine einfache und leicht zu verstehende Symbolfigur für alle Heiligen. Es gibt keinen Unbarmherzigen im Himmel, keinen Geizigen, noch Neider. Das „sich erbarmende Herz“ ist das Zünglein an der Weltwaage – es hält Welt und Frieden im Gleichgewicht. Die offene Himmelstür, durch die das strahlende Licht herabflutet, belebt in uns Vorfreude, Hoffnung, schenkt Frieden.

Heißt es doch: „Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes hat uns besucht das aufstrahlende Licht aus der Höhe.“

Wozu? Das Wichtigste: „Um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes, und unsere Schritte zu lenken auf dem Weg des Friedens – und dem Volk die Erfahrung des Heiles in der Vergebung der Sünden zu schenken“ (Lk 1,78). Der Weg ist frei.
Im „aufstrahlenden Licht aus der Höhe“ blitzt eine so bedeutsame Erkenntnis auf, dass die Engel deswegen zur Erde kamen, um am Leben, Leiden, Sterben und der Auferstehung von den Toten ihren Herrn neu zu erfahren, wie sie Ihn im Himmel nie hätten erkennen können. Der Himmel hat Platz gemacht für die Vielen, Vielen, die wir sonst nicht drinnen wüssten. Das erbarmende Herz hat sie gerettet. Am von der Lanze geöffneten, erhöhten Herzen Jesu erfahren sie, dass auch das jedem Geschöpf unzugängliche Herz des Vaters schon immer offen sein musste – sonst gäbe es keinen Kosmos (was Schmuck heißt), nicht unsere Erde, keine Menschen und keine Menschwerdung Gottes, keine Liebe, keinen Gott – nichts, gar nichts. Der Mensch kommt aus Gottes Herzen – dorthin sehnen wir uns insgeheim. Das neue Jerusalem erwartet uns. Ist doch das Herz der Kosmos der Liebe – das Paradies, das neue Jerusalem in makelloser Schönheit.

P. Peter Lüftenegger ist Oblate des hl. Franz von Sales und arbeitet als Seelsorger in der Pfarre Franz von Sales in Wien, Österreich

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