Salesianische Zweimonatsschrift "Licht"
November / Dezember 2009

Salesianische Zweimonatsschrift "Licht" 2006

Eine Anleitung zum Philothea-Lesen
P. Herbert Winklehner OSFS

 

Vor 400 Jahren erschien erstmals die Philothea des hl. Franz von Sales. Aus diesem Grund bringen wir hier ihre Geschichte.

Diese Schrift steckt voller Wunder und Segnungen. Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum so viele Menschen sie immer wieder zur Hand nehmen? Das wunderbare an diesem Buch ist: Je mehr sie darin lesen, desto mehr wollen sie lesen. Die meisten Bücher liest man/frau nur einmal. Aber dieses Buch wird nie langweilig. Es ist ein gewaltiges Werk und unsere Sprache reicht nicht aus, um seine Fülle für unser menschliches Verständnis auszudrücken.“
Nein, dieses Zitat ist leider keine Stellungnahme über das Buch „Philothea-Anleitung zum frommen Leben“, obwohl man auch darüber ähnliche Zitate finden könnte. Es stammt vielmehr von Yan d’Albert, einem Sufimeister, der mit diesen Worten in seinem Buch „Die 66 Tugenden der Sufis“ über den Koran schreibt.

Spirituelles Meisterwerk

Wenn jemand für den Koran so schwärmen kann, dann können wir das über die Philothea ebenso. Und das gilt eben für jedes spirituelle Meisterwerk, für die Bibel natürlich genauso wie für jedes andere Buch. Ja, es ist geradezu ein Markenzeichen eines „spirituellen Klassikers“, dass man es jederzeit wieder zur Hand nehmen, und dabei immer wieder etwas Neues, Überraschendes entdecken kann. Das macht die „zeitlose“ Gültigkeit und Größe solcher Bücher aus.
Der Nachteil allerdings ist, dass solche „spirituellen Klassiker“ immer auch Abschnitte enthalten, die mich jetzt gerade nicht ansprechen, weil sie für mich – hier und heute – für meine Zeit und meine Welt keine Bedeutung haben. Das ist mit biblischen Texten ganz das Gleiche. Manche Texte sprechen mich heute an und morgen nicht mehr. Manches entdecke ich erst nach Jahren, nachdem ich schon zigmal darübergelesen habe.
Weil dies der Fall ist, bedarf es gerade bei diesen großen Werken einer besonderen Lesehilfe. Für die Bibel gibt es dafür schon eine ganze Menge Anregungen. Ähnlich können wir diese Anregungen dann auch für andere Bücher verwenden. Spirituelle Klassiker liest man jedenfalls nicht wie jedes andere Buch, sondern man „meditiert“ oder „betrachtet“ sie, damit man jene Worte und Sätze, die für mich hier und jetzt und heute tatsächlich zutreffen, auch entdeckt und bewusst wahrnimmt. Franz von Sales selbst liefert uns in der Philothea eine Anleitung zur Betrachtung der Bibel. Und genauso wie diese Anleitung beschrieben ist, können wir auch die Philothea lesen. Ich habe jedenfalls versucht, diese salesianische Betrachtungsmethode als eine Anleitung zum Philothea-Lesen umzuschreiben.

Schritte des „Philothea“-Lesens

1. Versetzen in Gottes Gegenwart: Ich lese die Philothea nicht zum bloßen Vergnügen, zur Erholung, zum Zeitvertreib, sondern als „geistliches Wort“, in dem Gott mir etwas mitteilen möchte. Daher mache ich mir am Beginn des Lesens bewusst, dass Gott bei mir ist und seine Gegenwart mich umgibt.

2. Lesen: Ich lese ein Kapitel langsam durch. Besonderes Augenmerk lege ich dabei auf jene Sätze und Wörter, die mich positiv ansprechen. Das, was mich nicht anspricht, ich nicht verstehe oder vielleicht sogar ärgert, übergehe ich. Ich denke nicht länger darüber nach, sondern lese einfach weiter. Nicht das Negative soll mich beeinflussen, sondern das Positive. Das, was mich positiv anspricht, ist das, was Gott mir heute, hier und jetzt beim Lesen der Philothea sagen möchte.

3. Verweilen: Ich verweile bei den Sätzen, die mich angesprochen haben und denke darüber nach, was sie für mich in meinem konkreten Leben hier und jetzt bedeuten können. Ich erspüre die Gefühle, die sich bei mir regen: Freude, Vertrauen, Überraschung, Trost und so weiter. Ich lasse mich davon tragen und danke Gott für das Gute, das er mir hier mitteilt.

4. Entschlüsse: Philothea-Lesen geschieht nicht zum Selbstzweck. Meine Erkenntnisse sollen in mein konkretes Leben hinein wirken und nachwirken. Ich denke also darüber nach, wie ich das Gelesene in meinen Alltag hineinnehmen kann und fasse einen Entschluss, welche Botschaft ich mitnehmen und in meinem Leben umsetzten möchte. Dabei soll ich mich nicht überfordern, indem ich mir zuviel vornehme. Es soll ein Entschluss sein, den ich auch tatsächlich verwirklichen kann – und zwar nur für heute: „Nur für heute will ich ... das und das tun.“

5. Geistlicher Blumenstrauß: Ich nehme mir einen Gedanken aus dem Text mit in den Tag. Ich kann diesen auch auf einen Zettel schreiben, damit ich ihn im Laufe des Tages immer wieder einmal hervorholen und nachlesen kann. Im Laufe der Zeit entsteht durch das tägliche Lesen der Philothea eine ganze Blumenwiese guter Philothea-Gedanken.

Mehr Herz, weniger Kopf

Ein Grundsatz ist immer wichtig: Ich lese die Philothea mehr mit dem Herzen als mit dem Kopf. Selbstverständlich kann ich mich auch einmal wissenschaftlich mit diesem Buch beschäftigen, es analysieren und mit anderen spirituellen Klassikern vergleichen. Beim betrachtenden Philothea-Lesen aber geht es vor allem um das Herz. Ein Wort oder einen Satz, der mir gefällt, soll in meinem Herzen aufgenommen werden. Vielleicht lerne ich diesen sogar auswendig oder ich formuliere damit für mich ein Gebet – ein kurzes Herzensgebet – mit dem ich mich den Tag hindurch an Gott wende.
Zum Schluss bleibt mir nur zu wünschen: Viel Freude beim Lesen der Philothea. n

P. Herbert Winklehner ist Oblate des hl. Franz von Sales, Leiter des Franz Sales Verlages und Chefredakteur der Zeitschrift LICHT

Zehn Klassiker
der christlichen Weltliteratur

Die Bibel – Altes und Neues Testament
Thomas von Kempen:
Die Nachfolge Christi
Franz von Sales: Anleitung zum frommen Leben
Aurelius Augustinus: Bekenntnisse
Ignatius von Loyola: Exerzitien / Geistliche Übungen
Petrus Canisius:
Der Große Katechismus
Benedikt von Nursia:
Die Benediktusregel
Teresa von Avila:
Die Seelenburg / Die innere Burg
Johannes vom Kreuz:
Die Dunkle Nacht
Lorenzo Scupoli:
Der Geistliche Kampf


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