Getrennt durch dickes Seil
Eichstätt (lu) Wenn am kommenden Montag in Wien im letzten Gruppenspiel zur Europameisterschaft Österreich und Deutschland aufeinander treffen, dann werden bei den gesetzteren Patres und Fratres im Eichstätter Salesianum, wo seit jeher eine besondere Verbindung zu Österreich gepflegt wird, Erinnerungen an jenes denkwürdige WM-Qualifikationsspiel zwischen beiden Teams am 10. Mai 1969 im Nürnberger Frankenstadion wach: Gerd Müller hatte damals den Deutschen mit seinem Treffer in letzter Minute den kaum noch erwarteten 1:0-Sieg gerettet.
Bild: Pater Sebastian vom Rosental, vor seinem prächtig mit rot-weiß-roten Fähnchen geschmückten Auto, ist fest davon überzeugt, dass Österreich am Ende gegen Deutschland mit 3:2 die Nase vorne hat. - Foto: lu
Pater Alois Bachinger ist einer von ihnen, der sich noch sehr gut an diese Partie erinnert. Richtig ins Schmunzeln kommt der Priester, wenn er danach befragt wird, wie man damals im Rosental das Public Viewing handhabte. Wohl wissend um die Brisanz dieser Partie, hatte man Österreichern und Deutschen nämlich im Speisesaal vor dem Fernseher getrennte Plätze angewiesen und dazwischen ein dickes Seil gespannt um "möglichen Ausschreitungen" vorzubeugen. Selbstverständlich gab es damals keinerlei bösartige Zwischenfälle zu verzeichnen, aber immerhin war die Geschichte dem Wiener Kurier wie auch den Westfälischen Nachrichten eine viel beachtete Glosse wert.
Dem Spiel gegen Deutschland, das auf Großleinwand im Konferenzraum zu sehen ist, sieht der Oberösterreicher, der in wenigen Tagen sein goldenes Priesterjubiläum feiern kann, gelassen entgegen. "Wenn sie schon gegen Kroatien verloren haben, ist es schlecht, wenn sie sich anstrengen Deutschland zu schlagen", meint er mit Blick auf das österreichische Team weise. Anders sieht es Pater Sebastian Leitner. Er ist überzeugt davon, dass das Team des Co-Gastgebers gegen die Ballack-Elf ohne Leistungsdruck einen 3:2-Erfolg einfahren wird. "Es ist unser wichtigstes Spiel", meint der Wiener, der die Sympathien für die Nationalmannschaft seines Heimatlandes mit seinem gleich mit vier rot-weiß-roten Wimpeln geschmückten Auto in aller Öffentlichkeit bekundet und auch die Fernsehübertragungen nur mit seinem schmucken Fan-Hut verfolgt. Freilich ist der Rapid-Anhänger, der es gern hat, wenn auf dem Spielfeld die Mannschaft und nicht der einzelne Spieler im Mittelpunkt steht, erfahren genug um zuzugeben, dass bei einem so stark besetzten Turnier jeder Punktgewinn ein Erfolg ist. "Süddeutschland und Österreich sind eins in unserem Orden", bekennt der Ordensmann und gesteht, dass beide in Sachen Fußball eine sehr "humorvolle Rivalität" pflegen.
Dominik Schmidramsl, Spielführer der Bezirksoberligamannschaft des VfB Eichstätt, bricht eine Lanze für die Österreicher, die man keinesfalls unterschätzen darf. Hätte doch der österreichische Coach Josef Hickersberger eine spielstarke Mannschaft zur Verfügung, die im eigenen Land von Euphorie getragen werde. Allerdings fehle der Mannschaft die Kaltschnäuzigkeit. Sie brauche viel zu viele Chancen. Einen gehörigen Dämpfer bekam der Eichstätter bei seiner Aussage, dass Italien der absolute Favorit auf den Europatitel sei, nach der Schlappe von Luca Tonis Team gegen die Niederlande. Freilich rechnet er auch Spanien und Deutschland zu jenen Mannschaften, die durchaus das Zeug zum Titelgewinn haben.
Von Helmut Lutz (Eichstätter Kurier, 14.6.2008)
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