PREDIGT zum 12. Sonntag i. Jk. - LJ A

"Fürchtet euch nicht" (Mt 10,26-33)

Liebe Schwestern und Brüder,

was Angst alles anrichten kann, hat einer meiner Mitbrüder in Indien schmerzlich zu spüren bekommen. Nachdem er in der Osternacht überfallen worden war, mit dem Ziel ihn zu töten, blieb er körperlich unverletzt, die Angst aber saß so tief, dass er Fieber bekam, Schüttelfrost, ja einen Lungeninfarkt. Er konnte nicht mehr allein außer Haus gehen, weil er hinter jedem Gebüsch jemanden vermutete, der ihn töten will. Die Angst verfolgte ihn Tag und Nacht und ließ ihn kaum noch leben.

Ängste gibt es eine ganze Menge. Die Prüfungsangst in der Schule, an der Universität: bald beginnen die Prüfungen: Hauptschulabschluss, Realschulabschluss, Abitur, Vordiplom und Hauptdiplom; die Angst vor Leid und Krieg, Krankheit, Tod, die Angst vor der Zukunft, vor dem Weltuntergang, und auch die Angst vor Gott, dem Endgericht, der Hölle.

Wenn man sich so umschaut und umhört, dann scheint tatsächlich zu stimmen, was der amerikanische Schriftsteller Norman Mailer einmal geschrieben hat, nämlich: „Angst ist die Bestimmung des 20. Jahrhunderts.“ Wir leben in einem Jahrhundert der Angst. Und vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum am Ende dieses Jahrhunderts die Wartezimmer der Psychiater und Psychologen voll sind.

Da ist das Evangelium des heutigen Sonntags nicht nur hochaktuell und modern, sondern auch wohltuend. Dreimal sagt Jesus in diesem kurzen Abschnitt aus dem Matthäus-Evangelium, dass wir keine Angst zu haben brauchen: „Fürchtet euch nicht ... fürchtet euch nicht ... fürchtet euch also nicht.“

Das Fundament für diese Furchtlosigkeit ist Gott: „Kein Spatz fällt auf die Erde ohne den Willen des Vaters im Himmel. Er hat alle Haare auf eurem Kopf gezählt: Also: Fürchtet euch nicht!“

Dieses Bild von den Haaren kann auch Anlass sein, vor Gott Angst zu bekommen. Gott kennt den Menschen durch und durch, er durchschaut ihn bis zu den Haarwurzeln, und wird alles fein säuberlich festhalten, was er im Leben so alles anstellt, und dann, beim jüngsten Gericht, wird er ihm die Rechnung präsentieren. Das meint aber dieses Bild nicht. Es ist nicht das Angst machende Bild eines Polizistengottes, das Jesus hier den Menschen beibringe möchte, sondern ein Mut machendes. Andernfalls hätten seine Worte, dass wir uns nicht fürchten sollen, gar keinen Sinn. Dieses Gleichnis von den Spatzen und den gezählten Haaren weist uns darauf hin, dass wir Menschen, jeder einzelne von uns, ja jede kleinste Kleinigkeit von uns vor Gott wertvoll ist. Und so etwas macht nicht Angst, sondern Mut: Gott sieht mich als wertvoll an und daher wird er auch auf mich aufpassen. Ohne seinen Willen fällt kein Spatz vom Himmel, um wieviel mehr sollten die Menschen darauf vertrauen, dass sie in Gott geborgen und geschützt sind.

„Es gibt kein anderes Heilmittel gegen die Angst“, schrieb ein anderer Schriftsteller dieses Jahrhunderts, nämlich George Bernanos, „kein anderes Heilmittel als sich willenlos in Gottes Willen hineinzuwerfen.“ Diese Aussage klingt fast wie eine moderne Zusammenfassung des heutigen Evangeliums: „Fürchtet euch nicht, überlasst euch dem Willen Gottes und alles wird gut.“

Jesus selbst hat uns das vorgelebt, als er am Ölberg Blut geschwitzt hat aus Angst. Am Ende seines Betens sagte er dann: „Herr, aber nicht mein Wille geschehe, sondern der Deine.“

Darum geht es in einer Welt der Angst: Das Heilmittel gegen die Angst ist die vertrauensvolle Hingabe an den Willen Gottes, weil wir wissen, dass wir vor Gott wertvoll sind und er für uns sorgen wird. Er sorgt sich ja auch um die Spatzen am Himmel.

Der hl. Franz von Sales war davon felsenfest überzeugt. Wer sich voll und ganz dem Willen Gottes überlässt, braucht keine Angst zu haben. Unzählige Briefe haben genau diesen Inhalt und enden dann immer wieder mit fast denselben Worten, mit denen auch ich jetzt schließen möchte:

„Nur Mut, meine liebe Tochter, überlassen wir alles dem göttlichen Willen und bleiben wir in seinem Frieden. Haben sie Mut, Mut, Mut.“ Amen.

Herbert Winklehner OSFS


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