PREDIGT zum 19.So.i.Jk. - LJ B
„Jesus kennen!?“ (Joh 6,41-51)
Liebe Schwestern und Brüder,
Die Juden murren, weil Jesus sich als das Brot des Lebens bezeichnet hat. Sie kennen doch Jesus und seine Eltern. Er hat doch in ihrer Nachbarschaft gewohnt. Wie kommt er dazu, so etwas zu sagen? Was bildet der sich eigentlich ein? Ist er etwas Besseres? – So oder so ähn-lich waren sicherlich die Reaktionen damals.
Wer ist dieser Jesus? Wer ist er für mich? Jugendliche haben einmal zu ihrem Pfarrer gesagt: „Gegen deinen Jesus haben wir eigentlich nichts; aber wir haben mit ihm auch nichts am Hut!“ Spielt dieser Jesus im Leben der Menschen heute noch eine Rolle? Ja, ich möchte noch konkreter werden: Spielt er unter Christen, in unseren Gemeinden noch eine Rolle? Unter der Überschrift „Pfarrgemeinderat“ las ich einmal sinngemäß folgende Zeilen: „Von Programmen und Arbeitspapieren sprachen wir, von Gemeindeentwicklung und Pastoralplan, von Gemein-debildung und Finanzen und der Aufteilung der Aufgaben. Von Jesus Christus sprachen wir nicht. Er hing still an der Wand am Kreuz aus Oberammergau.“ In vielen Bistümern gibt es große Umstrukturierungen, die die Gemeinden und Finanzen betreffen. Vor einiger Zeit fand in der Großpfarrei, in der ich wohne, ein Klausurtag statt. An diesem Tag nahmen die haupt-amtlichen pastoralen Mitarbeiter und der Pfarrgemeinderat teil. Geleitet wurde dieser Tag von einem Referenten und einer Referentin des Generalvikariates. Die Referentin war für den spi-rituellen Teil des Tages „zuständig“. Sie gab am Anfang und am Ende des Tages einen spiri-tuellen Impuls. Ansonsten ging es nur um Planung, Gemeindebildung etc. Von Jesus Christus war kaum die Rede.
Ich will nicht sagen, dass die oben genannten Themen nicht wichtig sind. Aber ich frage mich schon manchmal, ob unsere Gemeinden nicht im Laufe der Zeit zu einem „religiösen Betrieb“ geworden sind, in dem alles nach Schema F abläuft. Menschen mit neuen Ideen sind oft nicht willkommen. Sie stören den Betrieb und stellen vielleicht ihren Ausführungen die Gemeinde in Frage. „Alles soll so bleiben, wie es ist. Das war schon immer so. Das kennen wir.“ – Ken-nen wir diesen Jesus denn wirklich?
„Wir leben in einer aufgeklärten Zeit!“ – Stolz sagen dies immer wieder die Menschen in un-serer Gesellschaft. Warum der Wald stirbt, wissen wir zu analysieren. Ja, das Leben selbst ist machbar: Wir schnell können Gene manipuliert, neue Pflanzen „hergestellt“, Menschen im Reagenzglas erzeugt werden. Und wenn Naturkatastrophen Teile der Welt heimsuchen, schauen wir ins Fernsehen und lassen uns erklären, warum es dazu kam. Und lächeln wir nicht manchmal mitleidig, wenn jemand wagen sollte, etwas „überweltlich“ zu erklären?
Wir scheinen heute alles erklären zu können. Von einem, dem es ebenso ging wie uns, erzählt folgende Geschichte: „Ein Mensch hat sich in der Wüste verirrt. Er wird verdursten, wenn keine Hilfe kommt. Da sieht er vor sich Palmen, ja, er hört sogar Wasser sprudeln. Aber er denkt: „Das ist nur eine Fata Morgana, meine Phantasie spiegelt mir etwas vor. In Wirklich-keit ist da nichts.“ – Ohne Hoffnung, halb wahnsinnig, lässt er sich zu Boden fallen. Kurze Zeit später finden ihn zwei Beduinen – tot. „Kannst Du so etwas verstehen?“ sagt der eine zum anderen, „so nahe am Wasser, und die Datteln wachsen ihm fast in den Mund! Wie ist das möglich?“ Da sagt der andere: „Er war ein moderner Mensch!“
Der moderne Mensch! Gefangen in seinen naturwissenschaftlichen Kenntnissen, wird ihm sein Wissen zum Verhängnis, mehr noch: es führt zum Tode! Können wir uns noch überra-schen lassen? Das Evangelium des heutigen Sonntags scheint mir eine ähnliche Botschaft vermitteln zu wollen: „Wir wissen doch ganz genau, dass dieser Jesus nichts anderes ist als der Sohn von Josef und Maria.“ (vgl. Joh 6,42) – Was ist an ihm Besonderes, was bildet der sich nur ein? sagen die Juden, die im Johannesevangelium beispielhaft für alle stehen, die Jesus ablehnen. Ist dieses Urteil einmal getroffen, haben sie sich selbst lahm gemacht; keines der Worte Jesu und eben deshalb auch nicht Jesus selbst werden sie, die meinen, ja eh schon alles zu kennen, richtig verstehen können. Ist einmal eine Mauer der vermeintlichen Kenntnis aufgebaut, scheint jede weitere Möglichkeit des Kennenlernens ausgeschlossen.
Ja, wir leben in einer aufgeklärten Zeit! – Doch ist dadurch das leben wirklich lebenswerter, reicher oder glücklicher geworden? Können wir uns noch überraschen lassen von etwas Un-vorhersehbarem? Vielleicht meinen auch wir bezüglich der Person Jesu: den kenne wir be-reits! Wir kennen ihn doch seit unserer Kindheit, gehen jeden Sonntag zur Kirche und enga-gieren uns in der Gemeinde! Was soll denn da noch passieren? Vielleicht haben wir Jesus auch schon in unsere religiösen Systeme und Denkmodelle fest eingebaut! Nichts kann uns mehr überraschen. Er kann uns nicht mehr überraschen. Dabei ist seine Botschaft d i e Über-raschung: Jesus gibt sein Leben für uns, er ist wie Brot, das uns aus der Hungersnot des All-tags befreien kann; er ist das Brot des Lebens.
Der „moderne Mensch“ unserer Geschichte musste verhungern und verdursten, weil er die Überraschung seines Lebens, dass es tatsächlich auch Oasen in der Wüste gibt, die keine Luftspiegelung sind, nicht wahrhaben wollte. Und wir? Können wir uns noch von Jesus heute überraschen lassen? Glauben wir wirklich, dass er mitten unter uns ist, wenn sich zwei oder drei in seinem Namen versammeln? Ist er die Mitte unseres Glaubens, unserer Feier am Sonn-tag, oder ist die Messe schon zur Routine geworden? Und welche Rolle spielt er in meinem persönlichen Leben? Fragen, die das heutige Evangelium an uns stellt. Welche Antwort geben wir, gebe ich???
P. Hans-Werner Günther OSFS
nach oben | Übersicht Salesianische Predigten | Übersicht Franz von Sales-Predigten