"Versuchung" (Lk 4,1-13)
Franz von Sales schreibt in der Philothea
Man muss gewiss den schweren Versuchungen mit unüberwindlichem Mut widerstehen, und der errungene Sieg ist ohne Zweifel sehr wertvoll; trotzdem ist es noch nützlicher, die zahlreichen kleinen Versuchungen tapfer zu bekämpfen. Wölfe und Bären sind gewiss gefährlicher als Mücken, sie plagen, ärgern und reizen uns aber bestimmt nicht so zur Ungeduld. Es ist nicht schwer, sich eines Mordes zu enthalten, wohl aber, alle kleinen Zornausbrüche zu unterdrücken, wozu fast jeden Augenblick Gelegenheit ist. Es ist leicht, den Diebstahl zu meiden, schwerer dagegen, fremdes Gut nicht zu begehren; leicht, keinen Meineid zu schwören, aber schwer, in Gesellschaft immer ganz bei der Wahrheit zu bleiben; leicht, dem Nächsten nicht den Tod zu wünschen, schwer, ihm einen Nachteil nicht zu gönnen; leicht, ihn nicht zu verleumden, schwer, ihm keine Geringschätzung zu zeigen.
Mit einem Wort: diese kleinen Versuchungen zu Zorn, Argwohn, Eifersucht, Neid, Eitelkeit, Doppelzüngigkeit und unanständigen Gedanken, das sind die ständigen Plagen. Deshalb müssen wir uns sorgfältig für diesen Kampf rüsten. Sei versichert: soviel Siege über diese kleinen Feinde, soviel kostbare Perlen, die uns Gott in seiner Herrlichkeit bereithält. Darum wiederhole ich: Wir sind entschlossen, schwere Versuchungen zurückzuweisen, wenn sie uns überfallen sollten, inzwischen aber wollen wir uns bemühen, den kleineren und schwächeren Angriffen zu widerstehen.
(vgl. DASal 1,222)
Liebe Schwestern und Brüder,
In der Fastenzeit sind wir aufgerufen, unseren Blick wieder auf die wesentlichen Dinge des Lebens zu konzentrieren. Sieben Wochen im Jahr haben wir Gelegenheit, aus der Unzahl an Eindrücken, die jeden Tag auf uns einstürmen, die wesentlichen Elemente, worauf es wirklich ankommt, zu erkennen. Das heutige Evangelium zeigt uns Jesus Christus in der Wüste. Wir erleben, wie er vom Teufel in Versuchung geführt wird. Es sind die drei großen Versuchungen, denen wir im Leben ausgesetzt sind. Und ich nenne hier bewusst den Teufel beim Namen, denn diese Versuchungen sind wahrlich teuflisch:
Die erste Versuchung ist die Versuchung, alle Probleme auf einen Schlag lösen zu können. Der Teufel bietet uns an, Steine in Brot umzuwandeln, also Unmögliches möglich werden zu lassen. Die großen Probleme der Welt könnten damit gelöst werden: Hunger, Armut, Klimawandel, Luftverschmutzung, einfach alles. Franz von Sales weist uns darauf hin, dass es nicht nur die großen Probleme sind, die uns in Versuchung führen, sondern vor allem die kleinen. Denkt einmal nach, wie viele kleine Probleme der Alltag so jeden Tag mit sich bringt, und wie viele Probleme uns belasten, weil sie nicht oder nicht sofort gelöst werden können. Der Teufel bietet uns an, in allem ein problem- und sorgenfreies Leben führen zu können: er macht aus Steinen Brot.
Die zweite große Versuchung ist die Macht. Der Teufel bietet uns an, alles tun und haben zu können, was wir wollen. Alle Reiche der Welt sind uns unterstellt. Wir schnippen mit dem Finger und alles kuscht. Es gibt keine Widerrede mehr. Ich brauch nichts mehr zu erklären, alles wird getan und für mich erledigt. Wir sehen schon, dass diese Versuchung – wieder ganz im Sinne des hl. Franz von Sales – nicht nur die Versuchung der Herrschenden dieser Welt ist, der Industriebosse, der Kirchenfürsten und der Staatsoberhäupter. Sie betrifft uns in unserer kleinen Alltagswelt ebenso: Wie schön wäre es doch, wenn die Menschen um uns brav und gehorsam sind und genau das tun, was wir wollen ... wenn wir es sind, die anschaffen und befehlen können, ohne dass uns jemand drein redet. Der Teufel bietet uns genau das an.
Die dritte große Versuchung schließlich ist der Sieg über den Tod. Eine fast übermächtige Versuchung. Der Teufel bietet uns ein Leben ohne Tod an, das ist ein Leben ohne Katastrophen, ohne Unglücke, ohne Krieg und ohne Leichenberge. Für uns ist es ein Leben, das dem Tod nicht zu begegnen braucht. Nirgends: nicht in der eigenen Familie, nicht im Freundeskreis, nicht unter Arbeitskollegen und schon gar nicht bei mir selbst. Es gibt keine tödlichen Krankheiten mehr, keine Unfälle, keine Tragödien mit tödlichem Ausgang. Ein solches Leben bietet uns der Teufel an.
Es gibt genug Menschen auf dieser Welt, die diesen teuflischen Versuchungen unterlegen sind. Sie sind zum größten Teil die Ursache dafür, dass unsere Welt immer noch ganz und gar kein Paradies ist. Diese Menschen glauben, uneingeschränkte Macht zu haben, alle Probleme lösen und den Tod missachten zu können. Sie leben überall, auch unter uns, in den Familien, am Arbeitsplatz, in der Kirche. Sie haben immer Recht, wissen über alles Bescheid, leben so als ob es den Tod nicht gäbe. Wir spüren solche Menschen und wir spüren es auch an uns selbst, wenn wir Lieblosigkeit spüren, Herzlosigkeit, Unachtsamkeit, - meist sind es nur die berühmten salesianischen Mückenstiche, die uns verletzen, bzw. die wir austeilen und abschießen. Franz von Sales nennt einige davon beim Namen: der Neid gegenüber dem, was andere haben; das lieblose Reden in Gesellschaft, in dem man eben nicht immer ganz genau die Wahrheit über andere sagt; durchaus einmal einem anderen auch gewisse Nachteile und Probleme im Leben zu vergönnen; andere gering schätzen, sie verspotten, Rache, Zorn, Eifersucht, Doppelzüngigkeit usw. – Dass uns all das gelingt, dass all unsere Mückenstiche auch ins Herz treffen, das ist die teuflische Versuchung des Bösen.
Jesus Christus hat all diesen Versuchungen Widerstand geleistet. Er ist dem Teufel nicht auf den Leim gegangen, denn er wusste: Viel wichtiger als ein Leben ohne Probleme, als die Fülle der Macht und ein Leben ohne Tod ist die Liebe, die Gott ist. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein – er braucht auch Liebe. Diese Liebe, die Gott ist, sollen wir anbeten und vor ihr uns niederwerfen. Diese Liebe, die Gott ist, sollen wir nicht auf die Probe stellen – sondern ihr vertrauen, egal, was geschieht.
Die Fastenzeit ist jene Zeit, in der wir einmal darüber nachdenken könnten, wie wir diesen alltäglichen Versuchungen Widerstand leisten können: der Versuchung, ein Problemfreies Leben führen zu können – im Großen wie im Kleinen, der Versuchung nach Macht – im Großen wie im Kleinen – und der Versuchung den Tod zu verdrängen – im Großen wie im Kleinen. Jesus steht dabei auf unserer Seite. Amen.
Herbert Winklehner OSFS
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