PREDIGT zum 4. Fastensonntag - LJ C
"Weltuntergang" (Joh 1,35-42)
Liebe Schwestern und Brüder,
seit Jahrhunderten, ja wahrscheinlich seit Beginn des Christentums gibt es in der Kirche den Konflikt zwischen zwei Extremen, deren Namen sich immer wieder mal ändern: einmal nennen wir sie die Rigoristen auf der einen Seite und die Laxisten auf der anderen, oder die Fundamentalisten und die Liberalen, oder die Konservativen und die Progressiven. Die Inhalte sind stets die selben: Die einen sagen: ich muss mich ganz streng an alle Vorschriften und Gebote des Glaubens halten, andernfalls geht’s ab in die Hölle, oder zumindest ins Fegefeuer. Und die anderen sagen: Es ist alles egal, genieße dein Leben, sei glücklich, tu, was du willst, es wird alles gut.
Zur Zeit Jesu gab es diese Konflikte auch: die Schriftgelehrten und Pharisäer auf der einen Seite, die religiöse Elite, die wenigstens nach Außen hin jeden Punkt und jedes Komma des Gesetzes befolgten … und die anderen, die sich kaum um irgendwelche Vorschriften kümmerten, zum Teil, weil sie es aufgrund ihrer gesellschaftlichen Situation als Zöllner, Prostituierte, Aussätzige oder Arme und an den Rand gedrängte gar nicht konnten. In diese Situation hinein erzählte Jesus Christus den Menschen das Gleichnis, das wir jetzt gerade gehört haben, und dem man auch immer wieder andere Namen gibt: das Gleichnis vom verlorenen Sohn, das Gleichnis vom barmherzigen Vater, das Gleichnis von den zwei verlorenen Söhne. Was uns Jesus mit dieser Geschichte sagen will, ist eigentlich klar: Es geht nicht um die Extreme, also dass ich sämtliche Vorschriften bis auf das I-Tüpfelchen genau beachten muss, oder darum, dass eh alles egal ist – sondern um die zentrale Gestalt in der Mitte dieser Geschichte, nämlich den barmherzigen Vater und meine Beziehung zu ihm.
Wir haben hier an dieser Stelle gestern das Musical-Oratorium „Die Baronin“ aufgeführt. Es erzählt die wahre Geschichte von zwei großartigen Heiligen: Johanna Franziska von Chantal und Franz von Sales, deren christliche Lebensphilosophie, die sie in die Kirche einbrachten und die auch voll und ganz als Lehre der Kirche anerkannt ist, wir heute „salesianische Spiritualität“ nennen. Und in dieser Spiritualität geht es genau darum, was uns auch Jesus Christus mit seinem heutigen Gleichnis deutlich machen wollte: Christlicher Glaube ist zunächst einmal keine Frage der Einhaltung von Vorschriften und Geboten, sondern zuallererst die Frage nach meiner ganz persönlichen Beziehung zu Gott. Ich erinnere an die so wichtige Episode der Begegnung des Petrus am See von Genezareth mit dem Auferstanden Jesus Christus. Welche Frage hat Jesus da jenem gestellt, den er zum Papst ausgewählt hat? Er hat nicht gefragt: Hältst du dich an dieses Gesetz oder jene Vorschrift, wie stehst du zu dieser Lehrmeinung und dieser moralischen Frage, nein: Jesus hat Petrus drei Mal ganz einfach gefragt: „Liebst du mich?“. Das ist auch die Frage an die beiden verlorenen Söhne. Der eine Sohn, der zunächst abgehauen und davongelaufen ist, hat begriffen, dass der Vater ihn liebt, er ist umgekehrt, hat sich in die Arme des liebenden Vaters fallen lassen und es wurde ein Fest gefeiert. Beim anderen wissen wir es nicht: es bleibt offen, ob auch er begriffen hat, dass die Liebe das Wesentliche ist, ob er draußen stehen geblieben ist, neidisch und murrend, oder ob er sich einen Ruck gegeben hat, und sich auch in die Arme des Vaters hat fallen lassen, um das Fest mitzufeiern.
Die Botschaft des heutigen Gleichnisses – und die Botschaft der salesianischen Spiritualität, die wir uns als Christen von heute unbedingt merken sollten, lautet: Gott ist die Liebe. Egal wie gut oder wie schlecht wir sind, Gott liebt uns so sehr, als wären wir die einzigen auf der ganzen Welt. Er wartet auf uns, er sehnt sich danach, einen jeden einzelnen von uns in die Arme zu schließen. Er zwingt uns nicht dazu, sondern wartet geduldig. Jeden Tag geht er hinaus auf den Hügel und hält Ausschau nach uns – und fragt in die weite Welt hinaus: „Söhne, Töchter … liebt ihr mich?“ Und für jede und jeden, der Ja sagt, und sich in seine Arme wirft, wird ein riesen Fest gefeiert. Darüber dürfen wir uns freuen – und zwar mit ganzem Herzen, auch mitten in der Fastenzeit. Deshalb steht ja auch dieses Gleichnis im Zentrum des heutigen Sonntags, der „Sonntag Laetare“ – „Sonntag der Freude“ genannt wird. Freuen wir uns also, das wir von dieser Liebe Gottes beschenkt sind – und vielleicht denken wir heute auch ein bisschen darüber nach, wie wir diese Liebe weiterschenken könnten. Amen.
Herbert Winklehner OSFS
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