PREDIGT zum 6. Sonntag i. Jk. - LJ B

"Die neue Chance" (Mk 1,40-45)

Liebe Schwestern und Brüder,

der Aussatz ist für uns eine fremde Krankheit. Er begegnet uns Gott sei Dank nur mehr in Bildern und Fotos, weil er in unseren Breiten nicht mehr vorkommt.

Als ich vor fast genau einem Jahr in Indien war, bin ich das erste Mal Aussätzigen so richtig von Angesicht zu Angesicht begegnet. Was mir dabei besonders aufgefallen ist: Die Aussätzigen oder Leprakranken sind in Indien jene Armen und Leidenden, die nicht mehr schreien. Sie sitzen irgendwo in einer Ecke, eingehüllt in Lumpen. Vor sich haben sie meist eine Blechbüchse stehen, die die Vorübergehenden auffordert, etwas hineinzulegen. Die Aussätzigen selbst wirken völlig apathisch, sie klagen nicht, rufen nicht, betteln nicht. Sie haben sich aufgegeben, siechen einfach dahin, warten auf den erlösenden Tod.

In Indien gibt es allerdings auch noch einen anderen Aussatz. Das Kastenwesen, das Bestandteil der indischen Mentalität ist, denn die so genannten Unberührbaren, die Kastenlosen, die Ärmsten der Armen, die man nicht nur nicht haben will, sondern die einfach ignoriert werden, mit denen so umgegangen wird, als würden sie gar nicht existieren: Die Millionen Ausgestoßenen, denen man gar nicht zu helfen braucht, weil es sie ja gar nicht gibt. Mutter Teresa ist ja berühmt geworden dafür, dass sie sich genau diesen Menschen angenommen hat, um die sich niemand sonst kümmert. Sie hat es getan, weil sie wusste, dass sie damit auch hundertprozentig dem entspricht, was Jesus Christus den Menschen vorgelebt hat. Das heutige Evangelium gibt uns dafür ja ein Beispiel. Jesus begegnet einem Aussätzigen und macht ihn rein: „Herr, wenn du willst, kannst du machen, dass ich rein werde“, bittet der Kranke. Und Jesus antwortet: „JA, ich will, werde rein.“ Und der seltsame Anhang zu dieser Geschichte, dass der Geheilte nichts davon erzählen soll, macht deutlich, dass es Jesus nicht um eine Sensation oder um seinen persönlichen Ruhm geht, sondern ganz allein um das Wohl des Menschen.

Wenn sich Jesus Christus einem Aussätzigen zuwendet, dann wendet er sich nicht nur irgendjemandem zu, sondern allen Menschen, die in unserer Welt in welcher Form auch immer ausgestoßen sind ... und er macht sie rein: Das heißt: er macht sie nicht nur körperlich gesund, er schenkt ihnen eine neue Chance zum Leben.

Genau diese Botschaft kann dann auch wesentlich für uns hier und heute werden, die wir zwar keine unheilbaren Geschwüre an unseren Händen und Füßen und im Gesicht tragen, und die wir von der Gesellschaft auch nicht so behandelt werden als wären wir überhaupt nicht da. Aber die neue Chance zum Leben mag sich jeder von uns schon einmal gewunschen haben: Das noch einmal anfangen können, einen Fehler rückgängig oder wieder gut machen zu können, einfach eine neue Chance zu bekommen, wenn man in seinem Leben eine Bock geschossen hat.

Erst vor kurzem habe ich etwas vom 33-Tage-Papst Johannes Paul I. gelesen, das mir sehr gut gefallen hat. Er schreibt: „Vor vielen Jahren hat eine Frau mir gebeichtet. Sie hatte den Mut verloren, weil sie, wie sie sagte, ein sehr bewegtes Leben hinter sich hatte. Die Frau war fünfunddreißig. Und da habe ich ihr gesagt: Fünfunddreißig ... Da haben Sie ja noch vierzig oder fünfzig Jahre vor sich und können noch viel Gutes tun. Denken Sie also nicht mehr an das, was war, sondern an die Zukunft, und nützen Sie die neue Chance, die Gott Ihnen jeden Tag schenkt!“

Und dann zitiert Johannes Paul I. sogar den Heiligen Franz von Sales mit den Worten: „Gott hasst die Fehler, weil sie Fehler sind. Aber irgendwie liebt er auch unsere Sünden, da sie ihm Gelegenheit geben, seine Barmherzigkeit zu zeigen. Und uns geben sie Gelegenheit, demütig zu bleiben und Mitleid und Verständnis für die Fehler der anderen zu haben.“

Wenn wir als Christen so wie Jesus handeln wollen, dann haben wir natürlich nicht jeden Tag die Möglichkeit, dass wir uns wie Mutter Teresa den Aussätzigen widmen, aber anderen Menschen um uns ihre Fehler nicht nachtragen oder wegen ihrer Fehler überhaupt für Luft zu erklären, sondern ihnen eine neue Chance zu geben, ich glaube, solche Möglichkeiten gibt es auch bei uns immer wieder. Wenn uns also jemand bitten sollte: „Wenn du willst, kannst du mir eine neue Chance geben!“ - dann sollten wir als Christen wie Jesus antworten: „Ich will es - ich gebe dir eine neue Chance.“ Amen.

Herbert Winklehner OSFS


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