PREDIGT zum 8. Sonntag i.Jk. - LJ C
"Splitter und Balken" (Lk 21,25-28)
Richtet niemanden. Es steht nur Gott allein zu, zu richten; er sieht die Regungen des menschlichen Herzens, der Mensch aber sieht nur das Äußere. Es gibt kein gewisseres Zeichen einer lasterhaften Seele als die Neigung über seinen Nächsten schlecht zu denken und zu sprechen. Jene, die schlecht über ihren Nächsten urteilen und reden, sind wie Blutegel, die nur schlechtes Blut zu saugen wissen und das reinste im Körper lassen. Welche Ungerechtigkeit, zu verlangen, dass man von allen Fehlern losgesprochen wird, die man selbst begeht, und dass die kleinsten Fehler der anderen verdammt werden! Glücklich, wer sich mit der Erwägung seiner eigenen Fehler befasst und die Augen nicht öffnet, um die Fehler der anderen zu betrachten. Diejenigen, die an den geringsten Fehlern des Nächsten etwas auszusetzen finden, unterhalten für gewöhnlich selbst recht große. In Wahrheit ist es eine anerkannte Erfahrung, dass die meisten dieser Menschen nur Splitter in ihren eigenen Augen sehen, weil sie meinen, das Auge ihres Bruders sei durch einen Balken erblindet. Franz von Sales (DASal 12,183)
Liebe Schwestern und Brüder,
um die Heiligen ranken sich oft die wundersamsten Legenden, deren Inhalte sich für uns heute etwas komisch anhören. Das gilt vor allem, wenn diese Heiligen schon mehr als tausend Jahre tot sind. Die heilige Äbtissin Walburga macht da keine Ausnahme, zumal ihre Größe und Bedeutung und ihre weitverbreitete Verehrung ein weites Feld für solche Legenden bietet. Und doch haben solche Geschichten einen tiefen Kern, der uns Wesentliches vermitteln möchte. Eine solche Legende handelt davon, dass die heilige Walburga eines nachts zu einem Edelmann gerufen wurde, dessen Tochter sehr schwer erkrankt war. Als sie nun zum Haus dieses Edelmannes unterwegs war, wurde sie von scharfen Hunde angefallen. Sie bellten wie wild, fletschten die Zähne und ließen keinen Zweifel daran, dass sie sie gnadenlos zerfleischen werden. Was tat Walburga? Sie antwortete dem wütenden Gebell der Hunde mit einem Gebet. Sie kniete sich nieder, sah dabei den Hunden in die Augen und pries Gott für seine Schöpfung. Augenblicklich, so heißt es in der Legende, verstummten die Hunde zu einem Winseln und verzogen sich. Walburga konnte weitergehen und das kranke Kind gesund pflegen.
Diese Geschichte bringt uns ganz nahe an das heran, was uns das heutige Evangelium und die Lesung aus den Geistlichen Schriften des hl. Franz von Sales vermitteln wollen. „Ein guter Mensch bringt Gutes hervor, weil in seinem Herzen Gutes ist. Ein böser Mensch bringt Böses hervor, weil in seinem Herzen Böses ist.“ Und Franz von Sales: „Diejenigen, die an den geringsten Fehlern des Nächsten etwas auszusetzen finden, unterhalten für gewöhnlich selbst recht große.“ Sehr gerne also sehen sie den Splitter im Auge des anderen, seinen eigenen Balken aber sehen sie nicht.
Wenn wir einmal ehrlich ein wenig darüber nachdenken, welche Meinung wir über andere Menschen haben, dann ist es gar nicht so selten, dass wir uns plötzlich umringt fühlen von wilden Hunden, die ihre Zähne fletschen. Und wir meinen sofort: Die wollen uns an den Kragen. Sie wollen uns Böses antun. Wir aber sind die zarten Lämmer, die eigentlich keiner Fliege etwas zu leide tun können. Wir sind die Guten, die anderen sind die Bösen. Deshalb müssen sich natürlich die anderen ändern, wir aber können so bleiben wie wir sind.
Eine Fehleinschätzung, wie uns Franz von Sales versichert. Er meint sogar, dass man genau daran am besten erkennt, ob jemand gut oder böse ist, welches Urteil er über andere fällt. „Jene“, so sagt er, „die schlecht über ihren Nächsten urteilen und reden, sind wie Blutegel, die nur schlechtes Blut zu saugen wissen.“ – Und denjenigen preist Franz von Sales glücklich, der sich vor allem mit seinen eigenen Fehlern befasst, und nicht die Augen öffnet, um die Fehler der anderen zu betrachten.
Mit den Worten Jesu heißt das: „Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge. Danach kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.“
Die heilige Walburga war Äbtissin im Doppelkloster in Heidenheim. Sie half nicht nur mit, die wüste, unbebaute Gegend für die Menschen urbar zu machen, sie errichtete auch eine Schule, um den Geist und die Herzen der Menschen zu bilden. Es ging ihr dabei nicht darum, schonungslos die Fehler der Menschen aufzudecken und ihnen unter Androhung sämtlicher Höllenstrafen zu befehlen, diese Fehler auszumerzen. Sie sah zuerst auf die guten Seiten und versuchte, diese zum Leuchten zu bringen. Mit dieser Methode zähmte sie eine ganze Menge scharfer Hunde und machte ihre Seelen empfänglich für die Botschaft des Christentums.
Die heilige Walburga wird als Schutzpatronin angerufen gegen Hundebisse, gegen die Tollwut, gegen die Pest und gegen Augenleiden, wobei dieses Augenleiden auch darin bestehen kann, dass wir den eigenen Balken im Auge nicht erkennen, dafür aber umso besser den Splitter im Auge des anderen. Es ist also durchaus möglich, diese Heilige um Hilfe zu bitten, wenn es darum geht, die eigenen Fehler zu erkennen und die Fehler der anderen richtig einzuschätzen. Amen.
Herbert Winklehner OSFS
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