Am Montag der 2. Fastenwoche
(Entwurf) Grenoble, 12. März 1618 (OEA VIII,360-363; DASal 9,187-189)
5. Predigt: Über die helfende Gnade.
5. Diese zuvorkommende Gnade wird in der Heiligen Schrift mit vielen Namen bezeichnet. So wird sie Anziehung genannt: Ziehe mich an dich (Hld 1,3); Berufung: Viele sind berufen (Mt 20,16; 22,14); Stimme: Die Stimme meines Vielgeliebten (Hld 2,8); Zuvorkommen: Sein Erbarmen kommt mir zuvor (Ps 59,11); Erleuchtung: Erhebe dich, der du schläfst, und Christus wird dich erleuchten (Eph 5,14); und so in vielfacher Weise. Anklopfen: Ich stehe an der Tür und klopfe an (Offb 3, 20).
Drei Bezeichnungen beziehen sich jedoch im besonderen auf unseren Gegenstand. 1. Die Gnade wird ein Pfeil genannt. Ps 45,5f: In deiner Würde und Schönheit; für Wahrheit und Milde ...; deine Pfeile sind scharf. Jes 49,1f: Vom Mutterleib an hat der Herr mich gerufen; vom Schoß meiner Mutter an hat er meines Namens gedacht. Adamus wendet diese Stelle auf Christus an; er sagt: Er hat meinen Mund einem scharfen Schwert gleich gemacht und hat mich wie einen erlesenen Pfeil gemacht; in seinem Körper verbarg er mich (Jes 49,2). Gott hat Christus verborgen, doch in welchem Körper? In der Brust des Vaters, im Schoß des Vaters. Welchen Pfeil? Christus selbst, da er in das Herz eindringt durch die Liebe.
Warum aber wird die zuvorkommende Gnade ein Pfeil genannt? 1. weil sie jene durchbohrt, die nicht daran denken. Wie es im umgekehrten Sinn die Bösen machen. Ps 11,1f: Ich vertraue auf den Herrn, denn siehe, die Sünder spannen den Bogen, sie halten ihre Pfeile im Köcher bereit, um sie im Dunkeln auf jene abzuschießen, die aufrichtigen Herzens sind. – 2. Von ferne, weil sich die Sünder entfernt haben. Schöner Vergleich von der Liebe, die einen trifft, und jenen, die die Hirsche von Candia jagen. Siehe die Predigt zum Aschermittwoch (Nr.A 78).
2. Sie wird Einsprechung genannt. Gen 2,7: Er hauchte in sein Angesicht den Odem des Lebens. Der Sünder ist ja tot; er wird lebendig durch die zuvorkommende Gnade.
3. Sie wird Einladung genannt, Aufforderung, damit die freie Entscheidung sichtbar wird. Es ist ja wunderbar, auf wieviele Weisen und auf welchen Wegen er die Herzen verwundet und durchbohrt. Maria von Ägypten sah ein Bild der seligsten Jungfrau, und dieses traf sie wie eine stumme Predigt. Gregor von Nazianz berichtet von einer schamlosen Frau, die dem Laster nachging; als sie ein Bild Polemons, eines sehr eingezogenen Mannes, sah, bekehrte sie sich und floh. Ebenso Gregor von Nyssa, als er eine Darstellung der Geschichte Abrahams sah; der selige Pachomius durch das Beispiel der Nächstenliebe; Augustinus beim Lesen der Stelle Röm 13,13: Nicht in Wollust ...; Pelagia, deren Name Perle bedeutet, auf das Wort des Nonnus. Manche bekehrten sich auf die Worte (Jes 14,11) hin: Unter dich wird Gewürm gebreitet und Würmer werden deine Decke sein. Ein anderer, als er das Wort (Apg 7,55) hörte: Er sah den Himmel offen. Daher werden die Einsprechungen Pfeile genannt, weil sie Leiden verursachen. Franz Borgia, als er die tote Kaiserin sah, etc. Die gewöhnliche Weise ist aber das Wort Gottes.
Durch diese zuvorkommende Gnade wird also unser Wille ange- regt. Sie läßt uns das Gute wollen und vollbringen (Röm 7,18); sie wirkt in uns das Wollen (Phil 2,13). Denn noch brauchen wir die helfende Gnade. Denn sich im allgemeinen bekehren wollen, ist schon etwas Großes; sich schnell bekehren wollen, etwas Größeres; sich jetzt bekehren wollen, das Größte. Doch meist mißfällt, was im allgemeinen gefällt, wenn man es im einzelnen tun soll. Seht (Tob, Kap. 8-10), wie es Raguel hinauszögert, Tobias zurückzuschicken; und Hanna. So halten auch Betuel und Laban Rebekka zurück (Gen 24,55). Dazu kommt die Schwierigkeit der Bekehrung. Mt 26,75: Er ging hinaus und weinte. Alles aufgeben. Gen 21,10: Schicke den Knaben und seine Mutter fort. Joh 11,44: Lazarus kommt aus dem Grab, an Händen und Füßen mit Binden gebunden. 1 Kön 17,21: Elija streckte sich dreimal über den Knaben aus. 2 Kön 4,35: Der Knabe gähnte siebenmal. So Paulus (Apg 9).
1. Hinausgehen, um nachzusinnen (Gen 24,63), um sich zur Reue anzuregen; 2. weinen, aus Reue; 3. bekennen: Petrus brauchte allerdings nicht zu bekennen, weil er sich vor den Augen des Hohepriesters befand.
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