die Tugend, die mehr tut, als unbedingt notwendig ist
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Der Lehrer nennt seine Schüler eifrig, wenn sie mehr lernen, als er ihnen als Aufgabe stellte. Im Berufsleben ist es ähnlich: Jemand ist eifrig, der nicht bloß „Dienst nach Vorschrift“ macht, sondern sich mit Engagement seiner Arbeit widmet. Der Eifer ist also jene Tugend, die den Menschen befähigt, noch ein wenig mehr zu tun, als unbedingt notwendig ist. Er tut dies nicht missmutig, sondern mit Freude und Begeisterung. Dem Eifrigen ist es ein Anliegen, nicht bloß seine Pflicht zu erfüllen, sondern das, was er tut, auch wirklich gut zu tun. Dies gilt ebenso im Glaubensleben. Ein eifriger Christ befolgt nicht nur, was die Gebote Gottes oder der Kirche vorschreiben, er tut mehr und er tut dieses Mehr mit innerem Engagement oder, mit einem religiösen Wort gesprochen, mit Hingabe.
Mit Eifer verbinden wir für gewöhnlich Fleiß, Tüchtigkeit, Engagement, Hingabe, Opferbereitschaft, Feuer, Energie oder Leidenschaft. Es sind allesamt Begriffe, die deutlich machen, dass die Tugend des Eifers dazu beiträgt, wenigstens einen Schritt weiter zu gehen, als erforderlich ist.
Der hl. Franz von Sales (1567-1622) selbst ist ein Beispiel für einen Menschen, der die Tugend des Eifers übte. „Mit unermüdlichem Eifer“, so schreibt Franz Reisinger (1898-1973), einer seiner Biografen, widmete sich dieser heilige Kirchenlehrer den Menschen seiner Diözese. Was der Psalmist über sich selbst sagte, traf auf Franz von Sales zu: „Der Eifer für dein Haus hat mich verzehrt“ (Ps 69,10). Durch seinen großen Einsatz opferte sich der heilige Bischof von Genf im wahrsten Sinne des Wortes auf, was nicht zuletzt einer der Gründe dafür war, dass er nur 55 Jahre alt wurde.
Franz von Sales beschreibt in seinen Werken jedoch auch andere, die seiner Meinung nach die Tugend des „heiligen Eifers“ beispielhaft übten. Einer davon ist der heilige König Ludwig von Frankreich (1214-1270). Von ihm schreibt Franz von Sales: „Ich kann nicht genug den Eifer bewundern, mit dem der hl. Ludwig diesen Rat [die Liebe zu den Armen] befolgte; er ist in jeder Hinsicht einer der größten Könige, die je die Sonne gesehen. Er bediente die Armen beim Essen, das er ihnen gab, und lud täglich deren drei an seinen Tisch. Oft aß er selbst mit unvergleichlicher Liebe die Suppenreste, die sie übrig gelassen hatten“ (DASal 1,147).
In dieser Beschreibung wird deutlich, worauf es bei der Tugend des Eifers ankommt: auf das Mehr im Tun. König Ludwig wäre sicherlich auch mit etwas Weniger ein sehr guter König geworden. Es hätte gereicht, wenn er seine Diener beauftragt hätte, sich in seinem Namen um die Armen zu kümmern. Ihm jedoch reichte das nicht. Er wolle es selbst tun, und dies mit einem Engagement, dass zu seiner Zeit so manches Kopfschütteln auslöste. Diese Hingabe bewirkt die Tugend des Eifers. Ein anderer Kirchenlehrer, nämlich der hl. Johannes Chrysostomos (344-407) sagte daher: „Ein von Eifer entflammter Mensch reicht aus, ein ganzes Volk aufzurichten.“ Die Tugend des Eifers begeistert eben nicht nur sich selbst, sondern reißt auch andere mit.
Was der hl. Franz von Sales einmal zu seinen Schwestern von der Heimsuchung Mariens, die er 1610 gründete, sagte, gilt in abgewandelter Form selbstverständlich für alle Menschen: „Ich bitte euch, was für ein kläglicher Eifer, was für eine kärgliche Liebe zu Gott wäre doch das, wenn wir gerade nur das tun wollten, was uns befohlen ist, und nicht mehr? Gewiss würde der nicht verdammt, der die Gebote Gottes hält und nichts darüber hinaus tut. Damit würde er jedoch beweisen, dass er sich an die Gebote Gottes nicht aus Liebe zu Gott hält, sondern aus Liebe zu sich selbst, damit er nicht verdammt werde. Das ist gerade so, als wenn sich einer rühmen wollte, kein Räuber zu sein. Nun, bist du kein Räuber, so wirst du wohl nicht gehängt, das ist aber auch alles. – Ihr haltet euch an die Gebote Gottes, die euch auferlegt sind: gut, man wird euch also nicht aus dem Kloster entlassen, aber auch bestimmt nicht für eifrige Dienerinnen Gottes, sondern für Mietlinge halten, wenn ihr nicht mehr tut“ (DASal 2,162).
Sehr gut deutlich wird an diesem Zitat, dass – wie bei allen Tugenden – die Liebe auch beim Eifer das Fundament und den Antrieb bildet. „Die Liebe Christi drängt uns“ (2 Kor 5,14), schreibt der Apostel Paulus, dessen Eifer ihn antrieb, hinaus in die Welt zu gehen, um das Evangelium Jesu Christ zu verkünden.
Aufgrund dessen, dass der Eifers immer nach dem Mehr verlangt, muss jedoch bei dieser Tugend ganz besonders darauf Acht gegeben werden, nicht der Gefahr der Übertreibung zu unterliegen. Aus einem eifrigen Menschen kann nämlich sehr schnell ein Eiferer werden, der – wenn er sich zu sehr einer Sache hingibt und vielleicht nicht gleich erreicht, was er anstrebt – zornig werden kann und mit Gewalt versucht, sein Mehr zu erreichen.
„Es gibt Menschen“, so schreibt Franz von Sales, „die glauben, man könne nicht viel Eifer haben, wenn man nicht in großen Zorn gerät. Sie meinen, nichts in Ordnung bringen zu können, ohne dass sie alles zerschlagen. In Wahrheit aber ist es so, dass sich der wahre Eifer fast nie des Zornes bedient“ (DASal 3,213). Er nennt ein Beispiel aus der Bibel, nämlich die „Donnersöhne“ Johannes und Jakobus, die in ihrem übertriebenen Eifer Jesus fragten, nachdem sie in einem Dorf der Samariter abgewiesen worden waren: „Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet?“ (Lk 9,54). Franz von Sales warnt in diesem Zusammenhang: „Eifer wird sehr oft für Zorn und Zorn für Eifer gehalten“ (DASal 2,187). Er rät daher eindringlich: „Verrichte deine Arbeit ohne … hitzigem Eifer ... denn jede aufgeregte Hast trübt Vernunft und Urteil; damit hindert sie uns, eine Sache gut zu machen, auf die wir solch blinden Eifer verwenden“ (DASal 1,134).
Hitziger, zorniger oder blinder Eifer sind Gefahren, vor denen wir uns hüten sollen. Eine weitere Gefahr ist die Eifersucht, die – wie der Philosoph Friedrich Schleiermacher (1768-1834) sagte – „mit Eifer sucht, was Leiden schafft.“ Franz von Sales nennt als Beispiel Marta, die Jesus sehr eifrig umsorgt und viel mehr tut, als von ihr verlangt ist. In ihrem Eifer erkannte sie jedoch nicht, dass ihr aufopferungsvolles Engagement still und heimlich in Eifersucht umschlug. Deshalb wies sie Jesus, als sich Marta über ihre „faule“ Schwester Maria beschwerte, darauf hin, dass nicht sie, sondern Maria „das Bessere gewählt“ (Lk 10,42) habe.
„Marta ist uns ein Beispiel für die Unbescheidenheit des Wollens“, folgert Franz von Sales, „denn sie überstürzt sich, beansprucht die ganze Dienerschaft, rennt hin und her vor lauter Eifer, für den Herrn ja alles recht schön und tadellos zu machen. Sie kann sich in der Bereitung der Speisen gar nicht genug tun, so reichlich und gut möchte sie den Herrn bewirten … Und doch gehört nicht so viel dazu: Sich eng an den Herrn halten und wie Maria zu seinen Füßen sitzen, ihn um seine Liebe bitten, das ist mehr wert, als lange darüber nachzustudieren, wie und womit wir seine Liebe gewinnen könnten“ (DASal 2,124).
Bei allem Eifer empfiehlt es sich also, vor allem in dieser Tugend nicht auf die Bescheidenheit und Geduld zu vergessen und sich an die Definition zu erinnern, die der französische Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal (1623-1662) über die Tugend des Eifers gefunden hat: „Eifer ist Begeisterung, gemildert durch Vernunft.“
Herbert Winklehner OSFS