Die Eucharistie -
die "Sonne der geistlichen Übungen"
Eine Aussage von Agnes Gonxha Bojaxhiu (1910-1997) erklärt, was für uns Christen das Sakrament der Eucharistie bedeutet. Besser bekannt ist Frau Bojaxhiu unter dem Namen Mutter Teresa von Kalkutta, die selige Gründerin der Missionarinnen der Nächstenliebe. Auf die Frage, wie sie und ihre Schwestern ihre Aufgaben unter den Ärmsten der Armen verrichten können, antwortete sie: „Um fähig zu sein, ein solches Leben bis zum Ende führen zu können, muss jede Missionarin der Nächstenliebe ein Leben führen, das von der Eucharistie durchdrungen ist. … Deswegen beginnen die Schwestern ihren Tag mit der heiligen Messe, mit der heiligen Kommunion, mit der Andacht. Und wir beenden ihn mit der Anbetung des Allerheiligsten. Auf dieser eucharistischen Gemeinschaft bauen unsere Stärke, unsere Freude und unsere Liebe auf.“
1. Die Eucharistie lässt uns leben
Auf den Punkt gebracht, sagt Mutter Teresa: Die Eucharistie lässt uns leben. Dort gibt uns Gott die Nahrung, die wir zum Leben brauchen. In fast allen Religionen gibt es „rituelle Speisungen“, das Einzigartige der christlichen Eucharistie besteht jedoch darin, dass die Nahrung, die wir dort erhalten, Gott selbst ist. Es ist Jesus Christus, der sich uns als göttliches Fleisch und Blut schenkt.
Wir können demnach den Wert der Eucharistie nicht hoch genug schätzen. Daher heißt es im Katechismus der Katholischen Kirche folgerichtig: „Die Eucharistie ist Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens. … Die heiligste Eucharistie enthält ja das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle, Christus selbst, unser Osterlamm“ (Kanon 1324). Etwas später in Kanon 1327 wird zusammengefasst: „Die Eucharistie ist der Inbegriff und die Summe unseres Glaubens.“
Vor 400 Jahren hat der hl. Franz von Sales in seiner „Anleitung zum frommen Leben“ (Philothea) mit ganz ähnlichen Worten die Bedeutung der Eucharistie herausgestellt: Sie ist die „Sonne der geistlichen Übungen“, der „Mittelpunkt der christlichen Religion“, das „Herz der Frömmigkeit“ und die „Seele der Andacht“, „ein unfassbares Geheimnis, das den Abgrund der göttlichen Liebe umfasst, durch das Gott sich wirklich mit uns vereinigt und uns seine Gnaden und Gaben in herrlicher Fülle spendet.“ Diesem Sakrament wohnt „eine unsagbare Kraft inne“, wodurch die Seele „überreich an himmlischen Gnaden“ erfüllt wird (vgl. Philothea II, 14).
Der Grund für diesen hohen Stellenwert ist ganz einfach. In der Eucharistie begegne ich Gott mit Fleisch und Blut. Wer mit Gott eine funktionierende Beziehung leben will, der braucht wesentlich die Eucharistie, die den direkten Kontakt mit Gott ermöglicht. Selbstverständlich kann ich Gott immer und überall begegnen, in der Natur, in den Menschen, in der Stille. Gott ist immer da, immer gegenwärtig. In der Eucharistie aber begegne ich Gott mit Fleisch und Blut.
Daher klingt die Frage „Muss ich am Sonntag in die Kirche gehen?“ für Franz von Sales eher komisch. Sie klingt in seinen Ohren so, wie wenn ich frage: Muss ich mich denn mit diesem oder jenem Menschen immer wieder treffen, genügt es denn nicht, wenn wir uns hin und wieder eine Postkarte schreiben. Für Franz von Sales ist eben die Eucharistie DIE Gelegenheit, Gott auf die persönlichste und intimste Weise zu erleben, und diese Chance sollte sich niemand entgehen lassen.
2. Wie soll ich die heilige Messe feiern?
Die Feier der Eucharistie hat sich im Vergleich zur Zeit des hl. Franz von Sales verändert. Die so genannte „aktive Teilnahme aller Gläubigen“ gab es damals in der Form von heute nicht. Zur Zeit des hl. Franz von Sales war die heilige Messe etwas, das der Priester am Altar vollzog, und die Gläubigen saßen in den Kirchenbänken und sahen zu. Seine Aktivität bestand vorwiegend im stillen Mitbeten und im Kommunionempfang.
Heute ist das anders. Wir alle sind aufgerufen, uns aktiv an der heiligen Messe zu beteiligen, durch Gebet und Gesang, durch verschiedene Dienste, durch Gestaltungsmöglichkeiten aller Art. Dadurch soll die Feier der Eucharistie wirklich zu einem lebendigen Fest mit Gott für alle werden, damit Gottesbegegnung in allen Variationen und mit allen Sinnen stattfinden kann.
Mit dieser Veränderung wurde sehr viel Gutes bewirkt, es erhöhte sich jedoch auch die Gefahr, dass die heilige Messe zu sehr als Feier verstanden wird, bei der etwas „geboten“ werden muss, also eine Art religiöser Event mit Unterhaltungscharakter. Das tiefe Geschehen der direkten Gottesbegegnung kann dadurch in den Hintergrund gedrängt werden.
Daher ist das, was Franz von Sales in der Philothea für die Teilnahme an der Eucharistie rät, eigentlich wieder sehr aktuell. Mit seinen Ratschlägen möchte er uns nämlich zu einer innerlichen, bewussten Mitfeier der heiligen Messe anleiten. Heute könnten diese Empfehlungen folgendermaßen lauten:
1. Eintreten: Ich betrete die Kirche oder Kapelle als einen heiligen Ort. Das Kreuzzeichen mit Weihwasser hilft mir, mich in die Gegenwart Gottes zu versetzen, und erinnert mich an meine Taufe.
2. Vor Gott treten: Die Kniebeuge und der Bußakt helfen mir, mich in Gottes Gegenwart angenommen zu wissen, so wie ich bin, mit meinen Stärken und Schwächen. Gott, du kennst mich, und trotzdem lädst du mich ein an deinen Tisch.
3. Hören: Der Wortgottesdienst dient dem Hören auf das Wort Gottes. Wenn ich das Wort Gottes in der Lesung und im Evangelium höre, achte ich darauf, welche Worte mich ansprechen. Es sind jene Worte, die Gott mir heute sagen will. Ich nehme mir vor, wirklich gut zuzuhören. Beim Kreuzzeichen vor dem Evangelium sage ich: „Gott sei in meinen Gedanken, auf meinem Mund, in meinem Herzen.“
4. Antworten: In der heiligen Messe bin ich nicht nur zum Hören, sondern auch zum Antworten eingeladen. Diese Antworten sind mir geläufig: Amen … Und mit deinem Geiste … Ich bekenne … Herr erbarme dich … Halleluja usw. … Ich bete diese Antworten bewusst. Ich denke darüber nach, was sie bedeuten. Bei den Fürbitten denke ich „Dein Wille geschehe“, weil ich überzeugt bin, dass Gottes Wille immer Gottes Liebe ist.
5. Darbringen: Mit den Gaben, die auf den Altar gelegt werden, übergebe ich Gott mich selbst, alles, was mein Wesen ausmacht, das, was mir derzeit besonders am Herzen liegt. Ich bitte Gott, er möge alles nach seinem Willen verwandeln.
6. Danken und Preisen: Das griechische Wort „Eucharistie“ heißt „Danke“. Wenn wir Eucharistie feiern, dann geht es vor allem darum, dass ich Gott danke sage für all das, was er uns geschenkt hat. Dafür preise ich ihn in den Gebeten. Das Eucharistische Herzensgebet ist einfach dieses kleine Wort: Danke. Das Hochgebet, die Wandlung – geben mir Gelegenheit, Gott aus ganzem Herzen Danke zu sagen.
7. Empfangen: Ich trete bewusst vor Gott hin und nehme sein Geschenk in Empfang: Sein Fleisch und Blut. Ich verhalte mich dabei so, wie ich mich gegenüber Menschen verhalte, die mir ein Geschenk überreichen. Es ist nicht irgendein Geschenk, das ich von Gott bekomme, sondern sein größtes, er schenkt sich selbst.
8. Kommunion: Es ist ein ganz gewöhnlicher Vorgang und doch von intimster mystischer Tiefe: Ich esse Gott. Nie bin ich ihm so nahe wie jetzt. Er kommt zu mir, ich nehme ihn bei mir auf. Er darf bei mir wohnen. Nicht nur in meinen Gedanken, sondern in meinem ganzen Körper, in meinem Herzen.
9. Gesegnet: Am Ende der heiligen Messe erhalte ich Gottes Segen. „Bene-dicere“, das bedeutet: Gott sagt ein gutes Wort über mich. Er spricht mir Gutes zu. Er macht mir Mut und er breitet seinen Schutz über mich. Er wünscht mir alles Gute. Es sagt zu mir: Es ist gut, dass es dich gibt. Ich freue mich, dass du da bist. Ich schenke dir meinen Schutz für heute und immer.
10. Gesendet: Das Wort „Messe“ bedeutet „Sendung“. Am Ende der Eucharistie gehe ich wieder hinaus in den Alltag. So wie ich bewusst eingetreten bin, trete ich wieder bewusst hinaus aus der Kapelle oder Kirche. Und wenn ich das Weihwasser nehme, nehme ich einen Gedanken mit, den ich in die Welt hinaustragen will: Nur für heute will ich ein Segen sein für die Welt, in dem ich … Gott sendet mich, dass ich auf meine Weise und in kleinen Schritten seine Botschaft heute verkünde.
Eine jede und ein jeder ist eingeladen, diese Mitfeier für sich so zu gestalten, dass sie für ihn ein bewusstes und dankbares Erlebnis tiefer Gottesbegegnung wird.
Herbert Winklehner OSFS