„Gebet - Sprechende Gottesliebe“

Liebe Schwestern und Brüder,

jeder von uns weiß seit seiner Kindheit, dass das Gebet ganz wesentlich zu unserem Leben dazu gehört, wenn wir Christen sein wollen. Darüber brauche ich jetzt nichts zu sagen. Sogar die Atheisten bestätigen das. So etwa sagte Milan Machovec: „Einer der glaubt, muss auch aussprechen, was er glaubt: Und das ist beten. Darum gehört das Beten zum Menschlichsten was es gibt.“ - Das Wort eine Atheisten. Etwas Schwieriger wird es allerdings, wenn wir uns fragen, was denn das Gebet überhaupt ist. Was ist Gebet? Was tun wir da, wenn wir beten? Was müssen wir denn da tun, wenn es heißt, dass das Gebet wesentlich zum Christsein dazu gehört. Fragen wir die Frau oder den Mann auf der Straße, dann wird man wahrscheinlich eine Antwort am häufigsten hören: „Gebet, das ist Reden mit Gott.“ Bei allen Versuchen, Gebet zu definieren, ist das sicher die einfachste, verständlichste und für alle einsichtigste Erklärung. Das ist auch die Definition des hl. Franz von Sales, der sagt: „Beten ist nichts anderes als mit Gott zu sprechen.“

Am schwierigsten zu beantworten ist jedoch sicherlich die Frage: Was soll ich beten? Wenn ich schon davon überzeugt bin, dass das Gebet notwendig zu meinem christlichen Leben gehört, und wenn ich weiß, dass ich im Gebet mit Gott spreche, was soll ich dann sagen oder tun? Wie geht denn dann das: Beten?

Fragen wir wieder die Frau oder den Mann auf der Straße, dann bekommen wir mit ziemlicher Sicherheit die Antwort: „Na, da gibt es doch Gebetbücher, wo so etwas drinnen steht!“ - Richtig, davon gibt es hunderte, ja tausende. Ein anderer wird sagen: „Na, Abendgebet, Morgengebet, Tischgebet, Vater Unser, Rosenkranz und so“ - Auch das sind mit Sicherheit richtige Antworten. Ich sage aber jetzt mit dem hl. Franz von Sales: „Ja, aber das ist erst die erste Stufe. Gebet ist jedoch viel viel mehr. Mein ganzes Leben, alles was ich denke, rede und tue, soll zum Gebet werden.“ Franz von Sales treibt also die Gebetspflicht des Christen auf die Spitze: Das Ziel meines Betens soll sein, dass ich immer bete, Tag und Nacht! Jetzt werden Sie wahrscheinlich denken: Dieser Heilige ist doch verrückt! Wie stellt er sich das vor! Glaubt der, dass ich den ganzen Tag nichts anderes zu tun habe, als in der Kirche zu hocken und zu beten? Ich bin froh, wenn ich die Gebete am Morgen, mittags und abends über die Runden bekomme!

An diesem Einwand zeigt sich aber, dass derjenige, der so spricht, über die erste Stufe seines Betens noch nicht hinweggekommen ist, und im Grunde die wahre Dimension des Gebetes noch nicht begriffen hat. Die Folge ist, dass ich dann wirklich zum Beten keine Zeit habe, und dass ich dann bei meiner nächsten Beichte bekennen muss: „Ich habe meine täglichen Gebete unterlassen - weil ich eben aus beruflichen Gründen, aus Zeitgründen nicht dazu gekommen bin.“

Verstehe ich aber das Gebet so, wie es uns der Hl. Franz von Sales versucht klarzumachen, dann spielt die Zeit für das Beten keine Rolle mehr, denn dann wird alles in meinem Leben zum Gebet, das Aufstehen, das Waschen und Anziehen, das Frühstück, meine Arbeit, das Autofahren, das Mittagessen oder Abendessen, das Gespräch mit einem Bekannten. Einfach Alles, was ich denke, rede oder tue, ist dann Ausdruck meines Betens.

Wörtlich sagt Franz von Sales: „Alle Handlungen jener Menschen, die gottesfürchtig leben, sind ständige Gebete und heißen Gebete des Lebens. Ebenso kann man sagen, dass diejenigen, die Gutes tun, beten, weil sie dadurch Gott ganz nahe sind.“

Um das deutlich zu machen, verwendet der Bischof von Genf das Bild vom Verliebt sein. Einer der Verliebt ist, wird immer an den Geliebten denken, und das wird sein Leben, seine Arbeit nicht belasten, sondern im Gegenteil: fördern und anspornen. Jemand, der Liebeskummer hat, der wird lustlos dahinvegetieren, keine Freude am Leben und schon gar nicht an seiner Arbeit haben, weil er sich immer sagt: Was soll ich denn tun, wofür lebe ich denn, wofür arbeite ich denn.

Wichtig ist also, dass ich mir zu aller erst bewusst werde, dass das Gebet der Ausdruck meiner Liebe zu Gott ist. Wenn ich die Nächstenliebe verwirklichen möchte, dann eben, indem ich dem anderen helfe, mit ihm so umgehe, wie Jesus Christus das getan hat. Wenn ich die Gottesliebe verwirklichen möchte, dann eben dadurch, dass ich alles in meinem Leben zum Gebet werden lasse. Dass ich mir ständig bewusst mache, dass nichts in meinem Leben ohne Gott geschieht. Er ist immer da, bei mir, nicht um mich zu kontrollieren, sondern um mir zu zeigen, dass er mich gern hat, meine Gegenwart nicht meidet, sondern sie wünscht. Und Gott ist ungeheuer traurig, wenn ich ihm zu verstehen gebe, dass ich seine Nähe nicht haben möchte, dass er verschwinden soll!

„Weil Leben und Gebet eine Einheit sind,“ schreibt Michael Schneider, „daher lernt nicht der beten, der sich Gebetsmethoden und fromme Bücher aneignet, sondern der, welcher bereit ist, sein ganzes Leben auf Gott hin umzustellen, also „umzukehren“. Der lernt also beten, der zu Gott sagt: „Ja, ich möchte, dass Du immer in meiner Nähe bist, weil auch ich Dich liebe. Ich möchte nicht, dass Du verschwindest, sondern dass du dableibst bei mir, ganz gleich, was ich denke, rede oder tue.

Damit ich zu dieser Gebetshaltung meines Lebens komme, durch die mein ganzes Leben zum Gebet wird, empfiehlt uns Franz von Sales folgende konkrete Schritte:

Der erste: „Immer, wenn Du eine Arbeit beginnst, denke bewusst an Gott, versetze dich in seine Gegenwart, indem Du daran denkst, dass er Da ist, wie ein Freund der dich besucht.“

Der zweite Schritt: Versuche auch während deiner Arbeit immer wieder ganz bewusst an Gott zu denken, durch Stoßgebete oder Herzensgebet. „Erhebe immer wieder Dein Herz zu Gott“, schreibt er, „und sei glücklich, dass Du ihm gehörst.“

Diese zwei konkreten Schritte, die uns Franz von Sales empfiehlt, das Versetzen in Gottes Gegenwart, die Stoß- und Herzensgebete, dauern nur Sekunden. Sie hindern mich daher nicht an meiner Arbeit, sondern tragen dazu bei, dass ich mir der Nähe Gottes, der in mich verliebt ist, bewusst werde. Das wird meine Arbeit und mein Leben nicht beeinträchtigen sondern fördern.

Die wunderbaren Folgen dieses Betens beschreibt uns der Theologe Gisbert Greshake folgendermaßen:

„Die Praxis eines solchen Gebetes, eines ruhigen kurzen Nachdenkens vor Gott, vor allem zu Beginn unserer Arbeit, ist unumgänglich wichtig, um „ganz Ohr“ für den Anruf der Stunde zu sein. Wer diese Art zu beten beginnt, wird anfangs eher erfahren, wie oberflächlich man den Alltag durchlebt, wie man Zeichen übersieht und Anregungen überhört. Mit der Zeit aber wird man sensibler für die Stimme Gottes hinter den Ereignissen. Man erkennt sozusagen mehr und mehr die Handschrift Gottes in den zunächst rätselhaft erscheinenden Hieroglyphen des Tagesablaufes. Darum ist die Praxis eines solchen „Gebetes der liebenden Aufmerksamkeit“ für alle, die ein bewusstes geistliches Leben führen wollen, nachdrücklich anzuraten.“

Der berühmte Franziskanertheologe des Mittelalters Franzico de Osuna schrieb einmal: „Die Kunst des Betens ist eine Kunst des Liebens.“ Und damit meint er nichts anderes als Franz von Sales, der schrieb: „Wer Gott liebt, der kann einfach nicht anders, als immer nur mit ihn zu reden, der kann nicht anders als nur beten, immer nur beten.“ Amen.

Herbert Winklehner OSFS


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