Die Höflichkeit –
die Tugend des guten Benehmens
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Spätestens seit dem doch relativ guten Verkaufserfolges des Buches „Manieren“ des äthiopischen Prinzen Asfa-Wossen Asserate, es befand sich jedenfalls unter den Top Ten sämtlicher Bestsellerlisten, wurde wieder deutlich, dass der Mensch offenbar immer noch darauf bedacht ist, sich in Gesellschaft gut oder richtig zu benehmen. Zumindest das Interesse dafür scheint groß zu sein, zu wissen, worauf es im richtigen Umgang miteinander ankommt.
1. Adel verpflichtet
Die Tugend der Höflichkeit weist schon dem Namen nach darauf hin, dass es sich hier um eine adelige Tugend handelt. Bei Hofe gibt es eben bestimmte Verhaltensregeln, Sitten und Umgangsformen, die sich aus dem alltäglichen Rahmen abheben. Der Dame lässt man den Vortritt, man spricht dezent und würdevoll, verwendet gewisse Ausdrücke nicht, zu Tisch wird nicht gerülpst oder geschlürft, die Gabel gehört links, Messer und Löffel rechts, usw. Wer die Tugend der Höflichkeit übt, der weiß sich eben auch außerhalb illustrer Gesellschaften so zu benehmen, als wäre er bei Hofe. Er benimmt sich also „höflich“, so als wäre er stets in adeliger, feiner Umgebung.
Der heilige Franz von Sales entstammte einem angesehenen savoyardischen Adelsgeschlecht. Er erhielt selbstverständlich die zu seiner Zeit übliche adelige, höfische Erziehung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Höflichkeit in seinem Katalog der kleinen Tugenden eine vorrangige Stelle einnahm. Stets war er jedoch darauf bedacht, dass diese Höflichkeit eine „ganz einfache“ ist, also keine gekünstelte oder gezierte, wie er dies am französischen Königshof in Paris erlebte. Wahre Höflichkeit hat für ihn immer etwas mit Demut zu tun. In einem Brief, den er aus Paris an seinen Herzog in Savoyen schrieb, hebt er daher diese Eigenschaft demütiger, einfacher Höflichkeit besonders hervor:
„Im Übrigen vermag ich nicht zu beschreiben, mit welchem Anstand sich der Herr Kardinal [der Bruder des Herzogs] an diesem Hof bewegt und wie geschickt er den Rang des großen Prinzen, den ihm seine Geburt verleiht, mit dem des sehr würdigen Kardinals zu verbinden weiß, den sein Beruf ihn zu wahren verpflichtet, indem er sehr bewundernswert die ungezwungene und allgemeine Höflichkeit, die bei diesem Volk so erwünscht und geschätzt ist, mit der Bescheidenheit und Schicklichkeit vereinigt, die hier so kostbar ist wie auf der ganzen Welt.“ (DASal 8,292)
2. Die große Würde des Anderen
Franz von Sales will also eine einfache Höflichkeit, eine Höflichkeit, die mit Demut verbunden ist. Daran lässt sich sehr gut erkennen, worauf es ihm bei dieser Tugend vor allem ankam: Es geht bei der Höflichkeit nicht darum, allen zu zeigen, dass man sich in guter Gesellschaft zu benehmen weiß, dass man die Regeln kennt und damit also perfekt „hofieren“ kann. Der wahrhaft höfliche Mensch macht in aller Einfachheit den Menschen, mit denen er Umgang pflegt, durch sein Verhalten deutlich, dass sie für ihn eine besondere Würde besitzen: Ich verhalte mich diesen Menschen gegenüber so, als wären sie große Persönlichkeiten von Adel, Rang und Namen.
Der wahrhaft höfliche Mensch verhält sich deshalb so, weil ihm klar ist, dass sein Gegenüber, egal um wen es sich dabei handelt, ein Ebenbild Gottes ist und daher eine große Würde besitzt. Der unhöfliche Mensch bringt zum Ausdruck, dass niemand besser ist als er und niemand ihm daher irgendwelche Vorschriften zu machen hat, wie er sich wo zu verhalten habe. „Ich bin mein eigener Herr,“ sagt der Unhöfliche, „und alle haben sich nach mir zu richten, denn alle haben geringer zu sein als ich.“
Höflichkeit aber macht deutlich: „Du bist für mich wertvoll.“ Höflichkeit ist somit eine ganz besondere Form der Nächstenliebe, die konsequenterweise nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern vor allem innerhalb der eigenen vier Wände geübt werden sollte, dann also, wenn es niemand sieht.
Franz von Sales, der das Verhalten seiner Mitmenschen offenbar sehr gut kannte, weist in seiner Philothea besonders auf diesen Punkt hin: „Nicht nur duftenden Honig sollen wir haben, d. h. Höflichkeit und Liebenswürdigkeit im Verkehr mit Freunden, sondern auch süße Milch für die Hausleute und Nachbarn. In dieser Hinsicht verfehlen sich diejenigen schwer, die auf der Straße wie Engel sind, daheim aber Teufeln gleichen.“ (DASal 1,132)
Eine Anekdote zeigt, wie gut sich Franz von Sales selbst im höflichen Umgang verstand. 1603 besuchte er seinen Freund Bischof Juvenal Ancina in Carmagnole, in der Grafschaft Saluzzo. Als ihm Bischof Ancina am Portal der Kathedrale den Vortritt überlassen wollte und dies mit den Worten „Du bist das Salz“ (Sal-es, lateinisch „sal“ bedeutet Salz) begründete, erwiderte Franz schlagfertig: „Du aber bist noch viel mehr, du bist nämlich Salz und Licht“ (lateinisch "sal et lux" ... Saluzzo ... bedeutet Salz und Licht).
Darum geht es Franz von Sales in der Tugend der Höflichkeit: dem Anderen deutlich machen: „Du bist noch mehr.“ In der Philothea formuliert er dies so: „Ich füge nur hinzu, dass wir manchmal aus Höflichkeit anderen den Vortritt anbieten müssen, obwohl wir wissen, dass sie ihn nicht annehmen werden. Das ist nicht Doppelzüngigkeit und falsche Demut; denn das Anbieten allein ist schon der Ansatz zu einer Ehrung, zu der wir uns wenigstens anschicken sollen, wenn wir sie schon nicht ganz erweisen können.“ (DASal 1,120)
Es gibt interessanterweise einen Fall, bei dem Franz von Sales „Unhöflichkeit“ nicht nur erlaubt, sonder sogar für notwendig hält, und auch das hat mit der Würde des Menschen zu tun. Konkret schreibt er in der Philothea: „Hüten wir also unsere Ohren sorgfältig vor dem Pesthauch törichter Worte, sonst wird er gar bald unser Herz vergiften. In diesem einzigen Fall ist es erlaubt, unhöflich und grob zu sein.“ (DASal 1,159)
Höflichkeit hört sich also genau dort auf, wo die Würde des Menschen durch ungebührliche Worte herabgesetzt wird. Die Verteidigung dieser Würde ist nach Franz von Sales der einzige Fall, bei dem man „unhöflich und grob“ reagieren darf.
3. Empfehlungen zur Höflichkeit
Abschließend noch zwei salesianische Empfehlungen zur Höflichkeit. Die eine schrieb Franz von Sales an einen unbekannten jungen Mann, der sich anschickte, am Königshof in Paris eine Anstellung zu finden. Diesem schrieb er: „Ich empfehle Ihnen freundliche und aufrichtige Höflichkeit, die keinen beleidigt und alle verpflichtet, die mehr Liebe als Ehre sucht, die niemals auf Kosten anderer Spott treibt oder verletzend wirkt, die niemanden zurückstößt und auch niemals zurückgestoßen wird.“ (DASal 6,197)
Und der Präsidentin Le Blanc de Mions empfahl er für deren gesellschaftlichen Umgang: „Möge die hochheilige und göttliche Demut in allem und überall leben und herrschen! Ihre Kleidung soll einfach, aber standesgemäß sein, so dass Sie nicht abschreckend wirken; Ihre Worte seien einfach, höflich und liebenswürdig; Ihre Bewegungen und Ihr Gespräch weder zu beengt und gezwungen, noch zu frei und lässig; Ihr Antlitz sei sauber und gepflegt; es möge mit einem Wort in allem die Güte und Bescheidenheit herrschen, wie es einer Tochter Gottes entspricht.“ (DASal 6,265)
4. FRAGEN ZUM NACHDENKEN
- Was verstehe ich unter Höflichkeit?
- Warum versuche ich höflich zu sein?
- Achte ich in meinem Verhalten darauf, dass der Andere wertvoll ist?
Herbert Winklehner OSFS