Nicht Ausbeutung, sondern Liebe
Der ökologische Schöpfungsauftrag an den Menschen
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Die Umwelt schlägt zurück … seit Jahren machen Klimaforscher darauf aufmerksam, dass der Mensch durch den Raubbau an der Natur und deren Verschmutzung das sensible ökologische System der Erde nachhaltig verändert, und zwar zu seinem (tödlichen?) Nachteil.
Klimawandel, Treibhauseffekt, Erderwärmung, Ozonloch, Feinstaubbelastung, Abschmelzen der Polkappen, … sind Schlagworte, die aus der Berichterstattung der Medien nicht mehr wegzudenken sind. Sie kommen täglich vor, ebenso wie die Wetterkapriolen, die durch das veränderte Klima verursacht sind: verheerende Wirbelstürme, zu warme oder zu kalte Winter, zu heiße oder zu kalte Sommer, Sturmböen bis zu 220 Stundenkilometern, Schneechaos, Überflutungen, und so weiter. All diese Schlagzeilen machen deutlich, dass Ökologie und Umweltschutz zu einem Überlebensthema des Menschen geworden sind. Ist es auch ein Thema unseres Glaubens? Oder können wir Christen uns raushalten und die Entscheidungen über Umweltschutz getrost den Wissenschaftlern und Politikern überlassen?
1. Den Schöpfungsauftrag missverstanden
Wir Christen glauben daran, dass nicht nur der Mensch, sondern die ganze Welt von Gott erschaffen ist. Ob dies in Form eines Urknalls geschah oder auf andere Weise, ist dabei zweitrangig. Wichtig ist, dass hinter allem Geschaffenen Gott steht, Schöpfung also nach einer göttlichen Ordnung geschah. Der Schöpfungsbericht aus dem ersten Buch der Bibel (Gen 1,1-2,4a) will genau das zum Ausdruck bringen. Er ist keine wissenschaftlich biologische Abhandlung über die Entstehung der Welt, sondern die theologische Deutung all dessen, was zur Zeit seiner Abfassung von der Welt bekannt war. Die Menschen erlebten Tag und Nacht, sie sahen Himmel und Erde, Sonne, Mond und Sterne, Wasser und Land, Bäume und Pflanzen, Tiere, die im Wasser, auf dem Land und in der Luft lebten, und schließlich den Menschen. Von all dem sagt der Bericht: „Alles war sehr gut“ (Gen 1,31). Oder anders ausgedrückt: Gott hat ein wohlgeordnetes, funktionierendes Ökosystem erschaffen, in dem jedes Lebewesen seinen Platz hat. Der Mensch wurde nach diesem Bericht zum Wächter über diese göttliche Schöpfungsordnung ernannt. Er solle über die Erde herrschen, damit sie reiche Frucht bringt und den Menschen zur Nahrung dient. In diesem göttlichen Auftrag an den Menschen, sich die Schöpfung „zu unterwerfen“ (Gen 1,28), liegt der Grund, warum wir Christen zum Schutz der Umwelt und gegen jede Art der Ausbeutung, Verschmutzung und Zerstörung aufgerufen sind.
Leider haben die Menschen zumindest in den letzten Jahrhunderten diesen Auftrag gründlich missverstanden, als in Folge der technischen Revolution der Mensch fähig wurde, das wohlgeordnete Ökosystem der Schöpfung nachhaltig aus dem Gleichgewicht zu bringen. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein war man von der Idee erfüllt, dass der Mensch als Herr über die Schöpfung auch das Recht habe, mit ihr tun und lassen zu können, was er will. So wurde es also quasi ein Zeichen menschlicher Sinnerfüllung, die Natur grenzenlos zu erobern und auszubeuten. Der völlig falsch verstandene biblische Schöpfungsauftrag diente plötzlich dazu, die Ausbeutung der Natur als göttlichen Auftrag zu begründen.
Mit den Erkenntnissen und Warnungen, dass ein solcher Umgang mit der Schöpfung auf Dauer verheerende Folgen hat, fand endlich ein Umdenken in der Deutung dieses Schöpfungsauftrages statt. Sich die Erde zu unterwerfen, hat nichts mit grenzenloser Ausbeutung zu tun, sondern mit der Kultivierung und Achtung der Schöpfung. Damit aber sind dem Menschen Grenzen gesetzt – und seither wird in Gesellschaft, Politik und Kirche lebhaft darüber gestritten, welche Grenzen sich der Mensch um des Erhalts der Umwelt willen setzen lassen muss.
2. Ein moralisches Problem
Es ist hier nicht der Platz, ökologische Konzepte zu entwickeln, die aus der gegenwärtigen Umweltkrise herausführen. Es soll nur darauf hingewiesen werden, dass es nach biblischem Verständnis Uraufgabe des Menschen ist, die Schöpfung Gottes zu schützen und zu bewahren. Der verstorbene Papst Johannes Paul II. (1920-2005) hat dies in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 1990 unmissverständlich formuliert. Für viele gilt heute diese Botschaft als Eckstein für ein ökologisches Engagement der katholischen Kirche zur „Bewahrung der Schöpfung“. In dieser Botschaft rückt der Papst zunächst den Schöpfungsauftrag Gottes an den Menschen ins rechte Lot. Herrschaft über die Schöpfung ist kein Freibrief, die Natur mit allen zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten auszubeuten, sondern bedeutet Umgang mit der Schöpfung „mit Weisheit und Liebe“.
Er macht deutlich, dass das grundlegende Problem der Umweltzerstörung im Menschen selbst zu suchen und zu überwinden ist. Die „ökologische Krise ist … ein moralisches Problem“. Sie gründet auf dem Egoismus und Machtmissbrauch des Menschen, der seine Achtung vor dem Geschaffenen verloren hat: „Das tiefste und schwerwiegendste Zeichen dafür, dass der ökologischen Frage moralische Implikationen innewohnen, besteht … im Mangel an Achtung vor dem Leben, den man in vielen die Umwelt belastenden Verhaltensweisen antrifft.“ Das ökologische Problem ist daher nur zu lösen, wenn der Mensch die Achtung jeglichen Lebens als Schöpfung Gottes höher stellt als jedes Trachten nach „wirtschaftlichen, industriellen und wissenschaftlichen Fortschritt“ im Namen des menschlichen Wohlstandes.
Am Ende seiner Botschaft macht Papst Johannes Paul II. das ökologische Anliegen zur besonderen Pflicht des Christen. „Die Männer und Frauen, die keine besonderen religiösen Überzeugungen besitzen, erkennen es aufgrund ihrer eigenen Verantwortung für das Allgemeinwohl als ihre Pflicht an, zur Sanierung der Umwelt ihren Beitrag zu leisten. Umso mehr müssen diejenigen, die an Gott, den Schöpfer, glauben und folglich überzeugt sind, dass in der Welt eine fest umschriebene und zielstrebige Ordnung besteht, sich aufgerufen fühlen, sich mit diesen Problemen zu beschäftigen. Die Christen insbesondere stellen fest, dass ihre Aufgaben im Bereich der Schöpfung, ihre Pflichten gegenüber der Natur und dem Schöpfer Bestandteil ihres Glaubens sind … Der Einsatz der Gläubigen für eine gesunde Umwelt entspringt unmittelbar aus seinem Glauben an Gott, den Schöpfer … Die Achtung vor dem Leben und vor der Würde der menschlichen Person beinhaltet auch die Achtung vor und die Sorge für die Schöpfung, die berufen ist, mit dem Menschen zusammen Gott zu verherrlichen.“
3. Ökologische Spiritualität
Zur Zeit des heiligen Kirchenlehrers Franz von Sales (1567-1622) gab es noch keine ökologische Krise. Seine Äußerungen zu Natur und Schöpfung können jedoch einen wertvollen Dienst dafür leisten, dass wir genau diese Achtung für alles Geschaffenen gewinnen können, die Papst Johannes Paul II. als grundlegende Christenpflicht einfordert.
Schon die zahlreichen Bilder und Vergleiche aus der Natur und Tierwelt, die der Heilige in seinen Schriften verwendet, geben Zeugnis davon, dass Franz von Sales der Schöpfung einen sehr hohen Stellenwert einräumt. Besonders deutlich wird dies in der Meditation über die Schöpfung und das Ziel des Menschen aus seinem berühmten Buch „Philothea“ oder „Anleitung zum frommen Leben“ (DASal 1,45-47). Diese Texte können uns zu einer gelebten ökologischen Spiritualität verhelfen, die die Achtung vor allem Geschaffenen in den Mittelpunkt unseres Handelns stellt.
„Betrachte die Natur, die Gott dir gegeben“, schreibt Franz von Sales, „Sie ist die vollkommenste der sichtbaren Welt, befähigt zum ewigen Leben und zur vollkommenen Vereinigung mit der göttlichen Majestät.“ Also nicht der Mensch allein, sondern die gesamte geschaffene Welt ist zum ewigen Leben und zur vollkommenen Vereinigung mit Gott berufen. Die Natur trägt nicht nur die Handschrift Gottes, sie hat auch göttlichen Wert und göttliche Würde.
Dem Menschen weist Franz von Sales darauf hin, dass seine Vorrangstellung innerhalb der Schöpfung nicht aus ihm selbst, sondern von Gott her kommt: „Es ist noch nicht lange her, da warst du noch nicht auf der Welt, warst in Wahrheit nichts … Die Welt existierte schon lange – und man hat von uns noch nichts gehört. Gott hat dich aus dem Nichts hervorgehen lassen, um dich zu dem zu machen, was du bist, ohne dass er dich gebraucht hätte, einzig durch seine Güte.“
Gottes Schöpfungsauftrag an den Menschen ist also nichts anderes als ein Geschenk und daher – ganz im Sinne Johannes Pauls II. – kein Freibrief zur Ausbeutung der Natur, sondern Ausdruck göttlicher Liebe. Genau diese Liebe aber muss dann auch der Maßstab dafür sein, wie sich der Mensch gegenüber der Schöpfung zu verhalten hat. Noch deutlicher wird diese Aspekt, wenn Franz von Sales das Ziel des Menschen beschreibt:
„Gott hat dich in das Leben gerufen, nicht etwa weil er dich gebraucht hätte; du kannst ihm doch nichts nützen. Er hat dich geschaffen, einzig um an dir durch das Geschenk seiner Gnade und seines Reichtums seine Güte zu bestätigen. Deshalb gab er dir den Verstand, ihn zu erkennen; das Gedächtnis, dich seiner zu erinnern; den Willen, ihn zu lieben; die Phantasie, seine Wohltaten dir vorzustellen; die Augen, seine wunderbaren Werke zu sehen; die Zunge, ihn zu preisen; deshalb gab er dir auch all die anderen Fähigkeiten.“
4. Über allem steht die Liebe
Die Liebe, nicht der Nutzen ist der Grund, warum Gott den Menschen erschaffen hat. Die Liebe, nicht deren Nutzen gibt daher auch der Schöpfung ihren Wert. Franz von Sales beschreibt dies vor allem in seinem theologischen Hauptwerk „Abhandlung über die Gottesliebe.“
Die „wunderbare Ordnung“, welche die Liebe Gottes in der Schöpfung bewirkte, veranlasst den Menschen gerade nicht zur Ausbeutung der Natur, sondern zum gegenseitigen Dienen:
„Als Gott die menschliche Natur mit jenen natürlichen Mitteln ausstatten wollte, die ihr notwendig sind, um seine göttliche Güte zu verherrlichen, erschuf er um des Menschen willen alle Tiere und Pflanzen. Um dann für die Bedürfnisse der Tiere und Pflanzen zu sorgen, schuf er verschiedenartiges Erdreich, verschiedene Jahreszeiten, Quellen, Winde, Regenfälle, ... die Elemente, den Himmel und die Gestirne, alles in einer so wunderbaren Ordnung, dass fast alle Geschöpfe einander dienen. So tragen uns die Pferde, wir aber pflegen sie; die Schafe nähren und kleiden uns, wir aber weiden sie. Die Erde lässt Dünste in die Luft aufsteigen, die Luft hingegen spendet der Erde den Regen. Die Hand dient dem Fuß, der Fuß trägt die Hand. Zu welch leidenschaftlicher Liebe muss doch unser Herz für die allerhöchste Weisheit entflammt werden, wenn wir diese Hinordnung aufeinander betrachten.“ (DASal 3,106)
Wenn wir Menschen diese leidenschaftliche Liebe, die Franz von Sales für die Schöpfung und das Leben überhaupt hatte, in uns „entflammen“, dann überwinden wir die sittliche Krise, die nach Johannes Paul II. die ökologische Krise verursachte. Jenes Welt- und Schöpfungsbild, das Franz von Sales zeichnet, kann uns dazu behilflich sein. Der Mensch ist zwar „Vollendung des Weltalls“, aber über allem steht die Liebe:
„Der Mensch ist Vollendung des Weltalls, der Geist Vollendung des Menschen, die Liebe Vollendung des Geistes und die göttliche Liebe Vollendung der Liebe. Daher ist die göttliche Liebe Ziel, Vollendung und Krönung des Weltalls“ (DASal 4,168). Und daher bedeutet der Schöpfungsauftrag an den Menschen nicht Ausbeutung, sondern die Liebe zu allem Geschaffenen.
Herbert Winklehner OSFS