Zehn wesentliche Elemente salesianischer Begleitung
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Der hl. Franz von Sales (1567-1622) gilt als Meister der Seelenführung oder Geistlichen Begleitung. Seine Seelsorge bedeutete zu einem wesentlichen Teil Einzelseelsorge, also die Begleitung einzelner Menschen auf ihrem Glaubensweg. Aus dieser Einzelseelsorge heraus entstand auch sein berühmtes Buch „Philothea – Anleitung zum frommen Leben“.
Wenn man die „Philothea“ zu lesen beginnt, dann bleibt man möglicherweise gleich auf den ersten Seiten an zwei Aussagen hängen. Die erste Aussage findet sich gleich im Vorwort. Franz von Sales reagiert darin auf eine Kritik, die man gegen ihn als Bischof vorbringen könnte: „Wir leben in einer sonderbaren Zeit. Ich sehe voraus, dass manche sagen werden, um die persönliche Seelenführung sollten sich die Ordensleute und Asketen annehmen; sie nehme mehr Zeit in Anspruch, als ein Bischof zur Verfügung habe, auf dem die Sorge für eine so schwierige Diözese lastet.“ (Philothea, Vorwort; DASal 1,27) Offenbar passte es einigen Leuten nicht, dass sich ein Bischof mit den ganz normalen, alltäglichen Sorgen und Problemen Einzelner beschäftigte und deren „persönliche Seelenführung“ übernahm. Er hätte doch viel wichtigere Dinge zu tun. Dem widerspricht Franz von Sales ganz vehement: „Die Bischöfe der ersten christlichen Jahrhunderte nahmen die Pflichten ihres Amtes nicht leichter als wir; trotzdem übernahmen sie die Seelenleitung bestimmter Menschen, die sie um Hilfe baten ... Ich gebe zu, es kostet Mühe, einzelne Seelen zu führen; aber es ist eine Mühe, die erquickt.“ (Philothea, Vorwort; DASal 1,28)
„Persönliche Seelenführung“ – heute spricht man eher von „geistlicher Begleitung“ – ist für Franz von Sales also von Beginn des Christentums an ein wesentlicher Dienst an den Menschen, dem sich auch ein Bischof nicht entziehen kann. Einzelseelsorge ist genau so wichtig, wie die administrativen Amtsgeschäfte eines Bischofs in der Leitung einer Diözese.
Der zweite Satz aus den ersten Seiten der Philothea geht in eine ähnliche Richtung: „Willst du dich mit Vorbedacht auf den Weg der Frömmigkeit begeben, so suche dir einen vortrefflichen Mann als Führer und Berater. Das ist der dringlichste Rat, den ich dir geben kann.“ (Philothea I,4; DASal 1,38). Noch einmal: Der „dringlichste Rat“, den Franz von Sales einem Menschen gibt, der sich auf den Weg der Frömmigkeit begibt, ist die Suche nach einem Menschen, der ihn dabei begleitet. Auf diesem Weg kann so vieles geschehen, dass es ohne einen geistlichen Begleiter fast unmöglich ist, gut voran zu kommen, nicht stehen zu bleiben oder gar in die Irre zu gehen. „Da ein guter Führer auf dem Weg der Vollkommenheit so wichtig ist,“ schreibt Franz von Sales, „bete inständig zu Gott, dass er dir einen nach seinem Herzen schenke. Sei versichert: müsste Gott dir auch einen Engel vom Himmel schicken wie dem jungen Tobias, er wird dir einen guten und treuen Führer geben.“ (Philothea I,4; DASal 1,39)
Geistliche Begleitung ist heute glücklicherweise wieder „in“. Vor allem Klöster und Ordensgemeinschaften merken, dass sie verstärkt von Menschen Anfragen erhalten, die sich zurückziehen wollen, um inne zu halten und über ihr Leben nachzudenken. Kloster auf Zeit, Exerzitien, monatliche geistliche Gespräche sind erwünscht. So scheint es durchaus bedenkenswert zu sein, einmal darüber nachzudenken, welche Elemente der hl. Franz von Sales für eine solche geistliche Begleitung für wesentlich hält:
„Du sehnst dich nach Frömmigkeit“, schreibt Franz von Sales im 1. Kapitel der Philothea (DASal 1,33). Das ist das Grundlegende jeder salesianischen Begleitung. Der Mensch, der sich auf den Weg der Frömmigkeit macht, muss die Entscheidung treffen, dass er diesen Weg gehen will, selbst dann, wenn es mal schwierig, steinig und anstrengend wird.
Ebenso wichtig ist die Selbstannahme. Weil Gott mich so liebt wie ich bin, darf auch ich mich so annehmen wie ich bin. Ich bin ein Geschöpf Gottes, ja mehr noch, ich bin nach seinem Abbild geschaffen, daher ist meine Würde einzigartig. Beim Überreichen des weißen Kleides bei der Taufe werden zu jedem Täufling die Worte gesagt: „Du hast Christus angezogen … bewahre dir diese Würde für dein ganzes Leben.“ (Taufliturgie).
Natürlich sind wir nicht vollkommen. Zur Selbstannahme gehört, dass ich sowohl meine Stärken als auch meine Schwächen akzeptiere. Für deine Talente, Stärken und Fähigkeiten danke Gott, dass er sie dir geschenkt hat, vergrabe sie nicht, sondern nütze sie für dich und deine Mitmenschen. Die Schwächen allerdings gehören ebenso zu dir: Lass dich davon nicht entmutigen, sondern nimm sie als Herausforderung an. Wir werden „Sieger“ sein, „so lange wir nur kämpfen“, verspricht Franz von Sales (Philothea I,5; DASal 1,42).
Dieses „Kämpfen“ kann ein Leben lang dauern. Keiner soll glauben, dass er morgen schon vollkommen ist und sein Ziel auf dem Weg der Frömmigkeit erreicht hat. Das Gegenteil entspricht der Wirklichkeit: Jeden Tag neu muss ich mich aufmachen, diesen Weg zu gehen. Oft werde ich die Erfahrung von Rückschritten machen, oft werde ich von Mutlosigkeiten eingeholt. Hier sagt Franz von Sales: Nur Mut! „Es gibt kein besseres Mittel, das geistliche Leben gut zu vollenden, als immer wieder zu beginnen und niemals zu denken, genug getan zu haben.“ (DASal 6,138)
Das „salesianische Gottesbild“ ist ausgedrückt in 1 Joh 4,8: „Gott ist die Liebe“. Dieser Gott der Liebe ist das Ziel einer jeden salesianischen Begleitung. Wir glauben nicht an einen Tyrannen- oder Polizistengott, auch nicht an einen Automatengott, wo man oben seine Gebete hineinwirft und unten kommt dann das gewünschte Ergebnis heraus. Wir glauben daran, dass Gott ein liebender Gott ist, der möchte, dass alle Menschen das „Leben in Fülle“ (Joh 10,10) erhalten.
Die liebende Gott offenbart sich auch und vor allem in seinem Willen. Oft genug stellt sich der Mensch im Laufe seines Lebens die Frage: „Warum? Warum musste das so geschehen? Warum dieses Leid? Warum trifft es immer die Guten?“ … Salesianische Begleitung stellt sich selbstverständlich auch diesen Fragen. Weil das salesianische Gottesbild der Gott der Liebe ist, ist die Frage nach dem Warum stets von einem fundamentalen Optimismus getragen: Wer sein Leben Gott anvertraut, der wird nicht zugrunde gehen, egal was geschieht. Gott hat den Überblick, er weiß, was er tut, sein Wille ist Ausdruck seiner Liebe, ob ich das nun verstehe oder nicht.
Salesianische Begleitung, die vom liebenden Gott getragen ist, ist eine Begleitung von Herz zu Herz. Franz von Sales meint: „Wer das Herz des Menschen gewonnen hat, besitzt den ganzen Menschen.“ (Philothea III,23; DASal 1,164). Gott selbst möchte im Herzen der Menschen Wohnung nehmen, und genau deshalb hat er uns am Kreuz sein Herz geöffnet, damit auch wir im Herzen Gottes Wohnung finden. Salesianische Begleitung ist keine Lehrer-Schüler-Beziehung, sondern geistliche Freundschaft, eine Beziehung von Herz zu Herz.
Eine Herzensbeziehung ist nicht an Zeit und Ort gebunden. Sie geht davon aus, dass der Geliebte immer in meinem Herzen gegenwärtig ist. Salesianische Begleitung möchte, dass der Mensch zu einer solchen Beziehung mit Gott gelangt, dass er sich bewusst wird und bewusst macht, dass der liebende Gott immer bei ihm ist, egal, was er gerade tut. Gott ist da, er selbst steht dir zur Seite und begleitet dich auf deinem Weg der Frömmigkeit.
Der Weg der Frömmigkeit besteht nicht nur aus Sonntagen und Feiertagen. Im Gegenteil: die Herausforderung ist der Alltag des Lebens, dort, wo ich lebe und arbeite und die meiste Zeit verbringe. Dieser Alltag, meine Familie, mein Beruf, meine Freizeit, meine Mahlzeiten, mein Tagesrhythmus, das Aufstehen und Schlafengehen, ist der Ort, wo ich Jesus Christus nachfolge. Die Eucharistiefeier am Sonntag ist die Sonne, die meinen Alltag wärmt, sie ist die Quelle, die mich für meinen Alltag stärkt.
Manchmal hat man der salesianischen Spiritualität schon vorgeworfen, dass sie ein Weg nur für spirituelle Softies, Weicheier und Warmduscher sei. Wer seine Frömmigkeit allerdings radikal leben will, der wende sich lieber der ignatianischen, karmelitischen oder franziskanischen Spiritualität zu. Diese Einschätzung ist sicher falsch, abgesehen davon, dass es überhaupt keinen Sinn macht, unterschiedlich christliche Spiritualitäten gegeneinander auszuspielen. Dem salesianischen Leben wohnt mit Sicherheit ebenso eine mystische Radikalität inne, wie dies in jeder christlichen Spiritualität zu finden ist. Letztlich zielt salesianisches Leben genauso wie jede andere Form der Nachfolge Christi auf die Hingabe seines eigenen Willens an den Willen Gottes. „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden“ … radikaler als diese Vaterunserbitte geht es eigentlich nicht, vor allem dann nicht, wenn vor mir ein Kreuzweg liegt. Salesianische Begleitung macht Mut, diesen Weg nach Golgota trotzdem zu gehen, aber nicht mit einem einzigen Sprung, sondern Schritt für Schritt.
P. Herbert Winklehner OSFS