Echo

Thema: Liebe, Nachlassen

flickr:deep well

Als junger Student kam ich mit anderen Kameraden auf einem Spaziergang in ein Dorf unweit von Paris, wo ein Brunnen war, der ein mehrfaches Echo gab. Vielleicht hätte ein Unwissender sich täuschen lassen und gemeint, im Brunnen wäre ein Mensch, der die Worte, die wir hineinriefen, zurückrief. Wir wussten aber als Studenten, dass nicht ein Mensch unsere Worte wiederholte, sondern dass unsere Stimme, in Höhlen aufgefangen, zurückschlug und eine zweite Stimme hören ließ, diese auf gleiche Weise eine dritte und vierte und so weiter bis zu elf Stimmen, die nichts mehr mit unseren Stimmen zu tun hatten, sondern nur Nachklänge derselben waren. Diese Nachklänge waren auch verschieden von unseren Stimmen. Sagten wir eine größere Anzahl von Worten in den Brunnen hinein, so tönten nur einige davon zurück und zwar mit verkürzten Silben und verzerrten Akzenten. Auch fing der Nachklang der Worte erst an, nachdem wir sie beendet hatten. So waren es eigentlich nicht Worte eines lebenden Menschen, sondern eines ausgehöhlten und leeren Felsens, der aber die menschliche Stimme so gut zurückgab, dass ein Unwissender sich leicht dabei getäuscht hätte. Mit all dem will ich folgendes klar machen: Wenn die heilige Liebe von einer bildsamen Seele aufgenommen wird und in ihr längere Zeit verweilt, bringt sie in ihr gleichsam eine zweite Liebe hervor, die nicht die eigentliche göttliche Liebe ist, wohl aber ein Nachklang von ihr. Diese Liebe ist nur menschlich, hat aber eine so große Ähnlichkeit mit der göttlichen Liebe, dass es nach deren Erlöschen noch immer den Anschein hat, als wäre sie vorhanden, da sie ihr eigenes Bild, das sie darstellt, zurückgelassen hat. So täuscht sich leicht jemand, der dies nicht weiß, wie es den Vögeln bei den von Zeuxis gemalten Trauben erging, die so naturgetreu abgebildet waren, dass sie daran pickten, weil sie sie für echte Trauben hielten (Plin. H.n. 35,10). (DASal 3, Seite 227)

Kommentiert: Lässt man die göttliche Liebe in der Seele erlöschen, bleibt oft noch ein Nachhall in Form der menschlichen Liebe.