Maler
Mein lieber Leser, ich bitte dich, lies dieses Vorwort zu deiner und meiner Befriedigung. Die Blumenbinderin Glykera verstand es so geschickt, ihre Blumen auf mannigfaltige Art zusammenzustellen, dass der Maler Pausias, der die verschiedenen Sträuße zu malen versuchte, nicht imstande war, ihre stets neue Farbenpracht so auf die Leinwand zu bringen, wie sie Glykera durch geschickte Anordnung der Blumen hervorzauberte. So ist es auch mit den Unterweisungen für das geistliche Leben. Alle Diener Gottes tragen in ihren Predigten und Schriften die gleichen Lehren über die Frömmigkeit vor; unter der Leitung des Heiligen Geistes bringt sie aber jeder in anderer Anordnung und Zusammenstellung. Bei völlig gleichbleibender Lehre sieht daher die Darstellung immer wieder anders aus und wirkt auch anders. (DASal 1, Seite 25)
Kommentiert: Verkündigung spricht vom Gleichen in unterschiedlicher Weise
Der Maler Parrhasius verstand es ausgezeichnet, die Bewohner Athens in ihren verschiedenartigen, wandelbaren Charakteren darzustellen. Er malte sie zornentbrannt, ungerecht, unbeständig; dann wieder höflich, gütig, barmherzig; einerseits hochmütig und ruhmsüchtig, aber auch demütig, anderseits prahlerisch und feige, schließlich all dies zugleich. So möchte ich dir Reichtum und Armut gleichzeitig ins Herz legen: eine große Sorgfalt für die zeitlichen Güter, gepaart mit einer tiefen Verachtung für sie. (DASal 1, Seite 145)
Kommentiert: Am Wohlstand nicht hängen
Genau so vervielfältigt und verändert die Natur, gleich einem Maler, ihr Wirken je nach der Vielfalt ihrer Werke. Um Großes zu schaffen, bedarf sie langer Zeit. Gott aber rief, gleich jenem Drucker, all die verschiedensten Geschöpfe, die je waren, sind und sein werden, durch einen einzigen Akt seiner Allmacht ins Dasein. Aus seinem ewigen Gedanken nahm er gleichsam wie von einer sorgfältig gestochenen Kupferplatte diese wundervolle Mannigfaltigkeit von Personen und Gegenständen, die alle in ihrer Ordnung zu bestimmten Zeiten, Zeitaltern und Jahrhunderten aufeinanderfolgen, wie es eben sein sollte. (DASal 3, Seite 102)
Kommentiert: Alles ist durch Ihn geschaffen.
Gewohnheiten oder Fertigkeiten, die durch rein natürliche Tätigkeit erworben wurden, verliert man nicht durch eine einzige Handlung, die ihnen entgegengesetzt ist. Niemand wird behaupten, jemand sei unmäßig, weil er es einmal war, oder ein Maler sei kein besonderer Künstler, weil ihm einmal ein Werk misslang. Wir haben diese Fähigkeiten allmählich gewonnen; sie haben sich in uns durch wiederholte Übung festgesetzt; so verlieren wir sie auch nur, wenn wir sie längere Zeit nicht betätigen oder wenn wir vieles tun, was ihnen zuwider ist. Die Liebe aber, die der Heilige Geist in einem Augenblick in unsere Herzen ergießt (Röm 5,5), wenn die dafür notwendigen Vorbedingungen da sind, wird auch in einem Augenblick von uns genommen, sobald wir Gott den ihm schuldigen Gehorsam verweigern und unsere Einwilligung zur Empörung und Treulosigkeit geben, zu der uns die Versuchung reizt. (DASal 3, Seite 211)
Kommentiert: Gott sieht auf unser Herz.
Pireicus malte in den letzten Jahren seines Lebens nur Bilder kleinen Formats und unbedeutender Gegenstände: so malte er Barbierstuben, Schusterwerkstätten, kleine mit Gemüse beladene Esel und ähnliche Kleinigkeiten. Das tat er, wie Plinius meint (H.n. 35,10), um seinen Ruhm etwas abzuschwächen. Schließlich sprach man von ihm als von einem Maler minderer Art. Und dennoch kam die Größe seiner Kunst gerade in diesen Werken geringen Inhalts so sehr zur Geltung, dass sie viel mehr gekauft wurden, als die großen Werke anderer Künstler. Ebenso, mein Theotimus, waren die kleinen Einfältigkeiten, Abtötungen und Verdemütigungen, in denen sich die großen Heiligen so sehr gefielen, um sich zu verbergen und ihr Herz vor eitler Ehrsucht zu schützen, Gott wegen der großen Kunstfertigkeit und Glut himmlischer Liebe, die sie dabei beseelte, viel wohlgefälliger als große und berühmte Werke anderer, die mit wenig Liebe und Frömmigkeit getan waren. (DASal 4, Seite 237)
Kommentiert: Die Liebe gibt den kleinen Dingen ihren Wert.
Begnüge auch du dich nicht damit, die Liebe und mit ihr die Übung der Tugend zu haben, sondern sorge dafür, daß du die Tugenden aus Liebe und um der Liebe selbst willen übst, damit sie ihr gerechterweise zugeschrieben werden können. Hält und führt ein Maler die Hand seines Schülers, so wird der Pinselstrich, der ausgeführt wird, hauptsächlich dem Maler zugeschrieben. Hat auch der Schüler zur Handbewegung und Führung des Pinsels beigetragen, so hat doch der Meister seine Bewegung derart in die des Schülers hineingelegt, dass ihm die Ehre für das, was an diesem Pinselstrich gut ist, in besonderer Weise zukommt, wenngleich man den Schüler der Geschmeidigkeit wegen loben wird, mit der er sich der Bewegung und Führung des Meisters angepasst hat. O wie groß sind die Werke der Tugenden, wenn die göttliche Liebe ihnen ihre heilige Bewegung mitteilt und einprägt, d. h. wenn die Liebe ihr Beweggrund ist! Das geschieht aber auf verschiedene Weise. (DASal 4, Seite 305)
Kommentiert: Alles tun um der größeren Liebe willen.
Thema: Wille Gottes, Identität
Man machte sich über den Maler lustig, der ein Pferd malen wollte, statt dessen aber einen Stier ausgezeichnet darstellte. Das Werk an sich war schön, machte aber dem Künstler wenig Ehre, der doch etwas anderes darstellen wollte und nur durch Zufall etwas Gutes zustandebrachte. Seien wir das, was Gott will, vorausgesetzt, dass wir ihm gehören, und seien wir nicht das, was wir gegen seine Absicht sein wollen; denn wozu würde es dienen, wenn wir die vortrefflichsten Geschöpfe des Himmels wären, aber nicht in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes? (DASal 6, Seite 95)
Kommentiert: Dem Bild Gottes von uns mehr und mehr ähnlich werden
Thema: Geistliche Begleitung, Seelsorger
Ach, meine Tochter, wenn niemand den Seelen diente als jene, die keine Schwierigkeiten in den Übungen haben und vollkommen sind, dann hätten Sie keinen Vater an mir; man darf nicht aufhören, den anderen beizustehen, auch wenn man selbst in Ratlosigkeit steckt. Gibt es nicht viele gute Ärzte, die selbst kaum gesund sind? Und wie viele schöne Gemälde werden von hässlichen Malern gemalt! Wenn also Ihre Töchter zu Ihnen kommen, sagen Sie ihnen ganz ruhig in Liebe, was Gott Ihnen eingibt, und schicken Sie sie nicht mit leeren Händen von sich fort. (DASal 7, Seite 296)
Kommentiert: Auch Geistliche Begleiter müssen nicht vollkommen sein
Thema: Wort Gottes, Glaube, Kirche
Es ist also Gott allein, der unseren christlichen Glauben bestimmt, jedoch mit zwei Instrumenten auf verschiedene Weise: 1. durch sein Wort als seiner förmlichen Regel, 2. durch seine Kirche als jener, die zumisst und regelt. Sagen wir also: Gott ist der Maler, unser Glaube das Gemälde, die Farben sind das Wort Gottes, der Pinsel ist die Kirche. (DASal 10, Seite 121)
Kommentiert: Das Kunstwerk unseres Glaubens, gemalt mit dem Pinsel der Kirche
Wie sehr täuschen wir uns doch, wenn wir jene Tote nennen, die aus diesem sterblichen Leben geschieden sind, und Lebende jene, die noch in ihm wandeln! Wir nennen Lebende jene, die sterben, weil sie das Sterben noch nicht vollendet haben; und die das Sterben vollbracht haben, nennen wir Tote. Wir machen es wie die Maler, die die Engel nur mit einem Leib darstellen können, weil man sie sonst nie sähe. Denn so nennen wir die Verstorbenen Tote, weil wir sie nie anders gesehen haben als im Tod dieses Lebens oder im Leben dieses Todes. Wenn wir sie aber jetzt sehen könnten, da sie davon befreit sind, mein Gott, wie wären wir beschämt, dass wir sie als Tote bezeichnet haben, und wie wären wir verlegen, passende Worte zu finden, um die Vortrefflichkeit des Lebens auszudrücken, in das sie gelangt sind! So nennt sie auch unsere französische Sprache nicht Tote, sondern Heimgegangene (trépassés); damit drückt sie deutlich genug aus, dass der Tod nur ein Übergang oder eine Überfahrt ist, jenseits dessen der Sitz der Herrlichkeit ist. (DASAl 12, Seite 254)
Kommentiert: Der Tod ist Übergang zum Leben