Zu einer Einkleidung
Annecy, 9. Oktober 1618 (OEA IX,202-207; DASal 9,290-294)
Ich habe überlegt, wovon ich bei der Zeremonie ausgehen soll, die wir feiern, wenn wir unsere Postulantin in das Noviziat aufnehmen. Da fand ich die Worte des hl. Paulus in seinem Brief an die Epheser (4,22-24) und an die Kolosser (3,9f) passend: Erneuert euch in Gerechtigkeit und Wahrheit; zieht den alten Menschen aus, um euch von neuem zu bekleiden mit unserem Herrn Jesus Christus. Er sagt: Zieht die Gewohnheiten der Welt und ihre Neigungen aus. Das ist der Wunsch der Kirche bei der Segnung, wenn sie den Jungfrauen den Schleier aufsetzt. Wenn wir Ihnen gleich den Schleier geben werden, teuerste Tochter, werden wir sagen: „Der Herr möge dich des alten Menschen entkleiden, um dich neu zu bekleiden.“ Das ist gleichsam ein Vorwort dafür, was ich behandeln will.
Viele gehen aus unterschiedlichen Gründen ins Kloster. Die einen tun es aus Hoffnungslosigkeit, denn sie wissen nicht mehr, was sie in der Welt machen sollen. Da die Welt von ihnen nichts mehr wissen will, kommen sie ins Kloster. Ach, ihre Absicht ist nicht gut. Andere wollen eintreten aus Furcht vor der Hölle. Sie fürchten, verloren zu gehen, wenn sie in der Welt bleiben inmitten der ständigen Gelegenheiten zur Sünde und zu soviel Unglück und Elend, die dort herrschen. Wieder andere kommen, um das Paradies zu gewinnen, denn sie wissen, daß man es leichter im Kloster erwirbt. Zurückgezogen vom Plunder dieser Welt und in der Observanz lebend können sie leichter in den Himmel kommen. Es gibt noch andere, die sich ins Kloster zurückziehen, um durch das Gebet immer bei Unserem Herrn in Ruhe zu leben und hier die Wonnen zu genießen, die er denen schenkt, die ihm dienen; denn wer wünscht diese Wonnen nicht?
Jeder dieser Beweggründe ist sehr unvollkommen und entspricht nicht der Absicht Unseres Herrn, weshalb er die Orden geschaffen hat, nämlich „um sich vollkommen mit Gott zu vereinigen“ auf dem Kalvarienberg (Konst. 33.44) und mit ihm im Himmel zu leben (Röm 6,8; 2 Tim 2,11f), um den alten Menschen auszuziehen und mit dem neuen bekleidet zu werden. Die mit einer anderen Absicht kommen, täuschen sich sehr. Man darf nicht kommen, um es schön zu haben, denn man muß sich in allem abtöten, woran die Natur in der Welt Gefallen haben kann; man muß seinen Eigenwillen verleugnen, um in allem dem der anderen zu folgen; man muß sein eigenes Urteil verleugnen, seine Neigungen und Leidenschaften überwinden, um sich vollständig den Vorgesetzten zu unterwerfen. Mit einem Wort, man muß den alten Menschen ausziehen, sich selbst, sein Fleisch, seine Gewohnheiten, denen man in der Welt so sehr gefolgt ist.
Die schlechten Gewohnheiten sind in uns als Folge der Sünde unserer Stammeltern Adam und Eva, die durch den Ungehorsam die ursprüngliche Gnade verloren haben. Seither sind sie groß geworden. Man sieht ja heute viel mehr Eitelkeit als früher, mehr Habsucht, mehr Begehrlichkeit nach weltlichen Freuden, mehr Streben nach Ehre und Würden (vgl. 1 Joh 2,16). Ich erinnere mich an die Zeit, als ich ein junger Mann war. Da kannte man nicht so viel Prunk; die Kinder waren einfacher gekleidet. Heutzutage muß man für die Eitelkeit so viel aufwenden. Die Damen von Paris sinnen stets darauf, neue Eitelkeiten zu erfinden, um das Geld ihrer Gatten auszugeben. So lebt man in der Welt nach dem alten Menschen. Was heißt das, nach dem alten Menschen leben? Das heißt leben wie die Weltmenschen. Sie sind ständig begierig nach Reichtum, um immer mehr davon zu besitzen, und bekommen davon nie genug. Sie jagen nach Würden, um höher als alle geschätzt zu werden. Sie folgen unaufhörlich dem rohen, sinnlichen und ehrlosen Vergnügen. Sie wollen Herr über alle sein und von niemand eine Zurechtweisung annehmen. Sie lieben bei allem ihr Fleisch und ihre Bequemlichkeit. Das ist der alte Mensch, von dem der hl. Paulus sagt, daß er gekreuzigt werden muß, um nach dem neuen Menschen zu leben in Gerechtigkeit und Wahrheit.
Der alte Mensch, das ist unser Stammvater Adam und unsere Stammmutter Eva. Von ihnen haben wir die Sünde und alle unsere Leidenschaften: den Zorn, die Begierlichkeit, die uns Güter und Ehren wünschen läßt; die Liebe zur Selbstgefälligkeit, die Selbstverzärtelung, die uns die Freiheit so lieben läßt, daß man die Unterordnung nicht liebt. Nun, das alles muß man abtöten, um ins Kloster zu kommen, und Gewohnheiten annehmen, die der Welt ganz entgegengesetzt sind; um nach dem neuen Menschen zu leben. Man liebt die Freiheit; hier muß man sich den Regeln, dem Gehorsam und den Befehlen der Vorgesetzten unterwerfen. In der Welt liebt und pflegt man die Selbstgefälligkeit sehr; im Kloster muß man vor allem die Demut üben; denn wer sich in dieser Tugend gut übt, besitzt bald alle anderen. Unser Herr hat sie hervorragend und in höchstem Grad geübt; denn es gibt kein Geschöpf in der Welt, selbst unter allen Heiligen und unter allen Engeln, das der Demut unseres Heilands nahekäme. Im Kloster muß man in beständiger Keuschheit leben, die der Freizügigkeit des Fleisches und Blutes entgegengesetzt ist; in vollkommener Armut, entgegen den Reichtümern und Bequemlichkeiten, von denen die Welt so viel Aufhebens macht; man muß sein Urteil abtöten, was sehr schwierig ist, seine Neigung zur eigenen Ruhe, das Behagen, das man am Gespräch mit Gott findet, um seine Wonnen zu genießen.
Mag die letztgenannte Absicht auch gut scheinen, so ist das doch nicht die Absicht, deretwegen die Orden geschaffen wurden. Dies geschah zu dem Zweck, daß man Gott vollkommener diene, den alten Menschen ausziehe und den neuen anziehe; denn wenn man in den Orden eintritt, darf man nicht die alten Gewohnheiten mitbringen. Der hl. Basilius schrieb an Syncleticus, der Senator war und Ordensmann wurde, und fragte ihn: „Mein Bruder, was hast du gemacht? Du hast einen Senator abgeschafft, aber du hast keinen Ordensmann aus ihm gemacht.“ Du bist nicht mehr Senator, denn du hast dieses Amt niedergelegt; du bist aber kein guter Ordensmann, denn du lebst mit den Gewohnheiten, die du von der Welt mitgebracht hast.“ Meine liebe Tochter, wenn Sie im Kloster bleiben wollen, dürfen Sie nicht die Sitten der Welt mitbringen, sondern müssen sich des alten Menschen entledigen: der kleinen Wallungen des Zornes, die man fühlt, wenn man uns tadelt, denn niemand liebt die Zurechtweisung; der Selbstverzärtelung, wenn man uns widerspricht; der Tränen des Mitleids und der kleinen Regungen der Ungeduld, wenn man unseren Neigungen und Launen widerspricht; der hohen Meinung von uns selbst, dem Wunsch, wegen der Abstammung aus gutem Haus für etwas Besseres als die anderen gehalten zu werden. O, wir sind alle gleich, denn wir sind alle Kinder des gleichen Vaters Adam und der gleichen Mutter Eva. Es ist deshalb eine große Torheit, sich seiner Abstammung zu rühmen.
Alles dessen muß man sich entledigen. Es bedeutet nichts, die äußeren Kleider abzulegen, die man sieht, um das Ordenskleid zu nehmen, wenn wir nicht die Gewohnheiten und Sitten des Ordenslebens annehmen. Wie viele Menschen sah man Heilige werden in Kleidern aus Seide und Atlas, Samt und Goldbrokat. Beispiele dafür sind die heilige Königin Radegunde von Frankreich, die heilige Königin Elisabeth von Ungarn, die heilige Königin Elisabeth von Portugal und viele andere. Es bedeutet nichts, die äußeren Kleider abzulegen, wenn man sich nicht von neuem bekleidet in Gerechtigkeit und Wahrheit. Die Kirche verrichtet noch dieses Gebet: Gott „möge dich des alten Menschen entkleiden und dich von neuem bekleiden“, um uns zu zeigen, daß all unsere Kraft von Gott kommt. Als der hl. Paulus Unseren Herrn bat, ihn von seinen Gebrechen zu befreien, antwortete ihm dieser: Paulus, meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft vollendet sich in deiner Schwachheit (2 Kor 12,8-10). Was bedeutet: meine Kraft vollendet sich in deiner Schwachheit? Das bedeutet: wenn wir uns in unserer Schwachheit schwach glauben, um das Gute zu unternehmen, dann stützen wir uns vollständig auf Gott, erkennen unser Kleinsein und daß wir ohne göttliche Gnade nichts aus uns vermögen. O, wir müssen uns sehr demütigen, denn durch diese Tugend werden wir der göttlichen Majestät sehr wohlgefällig und gestalten uns in Unseren Herrn um.
Der hl. Augustinus war sehr gut erzogen und lebte lange Zeit in der Lebensart der Welt. Eines Tages befand er sich in einem Garten unter einem Feigenbaum; da hörte er etwas wie Stimmen kleiner Kinder, die so melodisch sangen, daß er nie Ähnliches gehört hatte. Ohne Zweifel waren es die Engel, die sangen: „Nimm und lies; nimm und lies.“ Sie wollten, daß Augustinus die Briefe des hl. Paulus lese, die er bei sich hatte. Er nimmt das Buch, öffnet es und findet den Brief, den der Apostel an die Römer geschrieben hatte: Seid nicht dem Trunk ergeben und haltet keine Gelage, flieht den Umgang mit Frauen, usw. (13,13f). Nun, Unser Herr sprach zum Herzen des hl. Augustinus: Ändere die alten Gewohnheiten, liebe nicht Feste, Vergnügungen, eitle Unterhaltungen, zieh den alten Menschen aus, und du wirst mit dem neuen bekleidet.
Um vor dem ewigen Vater zu erscheinen, muß man die Livree seines Sohnes anziehen und alles verachten, womit die Welt soviel Staat macht. Als Isaak alt und krank geworden war, hatte er Lust, Wildbret zu essen. Er sagte zu Esau: Wenn du mir Wildbret bringst, werde ich dir meinen priesterlichen Segen geben. Ich will nicht die ganze Geschichte (Gen 27,1-29) erzählen, denn das ist nicht nötig. Rebekka hatte gehört, was Isaak zu Esau sagte, nahm ein Böcklein, das sie anstelle des Wildbrets zubereitete, dann ließ sie es durch Jakob seinem Vater bringen, damit er seinen Segen erhalte (Gott ließ nicht zu, daß er auf Esau komme). Um aber Isaak besser zu täuschen, ließ sie Jakob die Kleider seines Bruders anziehen, die stark dufteten. Isaak umarmte seinen Sohn, den er für Esau hielt, und als der den Duft seiner Kleider wie blühendes Feld spürte, nahm er seine Hände und gab ihm den Segen des himmlischen Erbes. Meine liebe Tochter, bekleiden auch Sie sich mit den Kleidern und Gewohnheiten des heiligen Sohnes des ewigen Vaters, damit Sie der Gnade gewürdigt werden können, seinen Segen zu empfangen.
Wie glücklich sind die Seelen, die um dieses höchsten Zieles willen in den Orden eintreten: um die Blüten der Gnade Gottes zu sammeln und dann ihre Früchte im Himmel zu genießen! Jene aber, die aus anderen Beweggründen gekommen sind, brauchen den Mut nicht zu verlieren. Man kann ja seine Absicht immer berichtigen, sie gut und besser machen, wenn man den alten Menschen auszieht, wie wir gesagt haben, und die Gewohnheiten des Ordenslebens annimmt.
Wohlan denn, meine sehr teure Tochter, bleiben wir im Frieden, und Sie werden den neuen Menschen anziehen, wie wir Ihnen sagen werden, wenn wir Ihnen den Schleier aufsetzen, und Sie werden den Segen empfangen, den die Kirche in dieser Absicht gibt. Amen.
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