Zum 1. Adventssonntag II
(Fragment) Annecy, 27. November 1611 (OEA VIII,68-71; DASal 9,143-144)
Die Natur hat verschiedene Zeiten geschaffen und jeder einen besonderen Charakter gegeben, so dem Winter die Kälte, dem Sommer die Hitze, mäßige Wärme dem Herbst und dem Frühling. So feiert auch die Kirche verschiedene Feste, etc.
Am vierten Schöpfungstag sprach Gott: Am Himmel sollen Leuchten entstehen, sie sollen Tag und Nacht voneinander scheiden und sollen Zeichen der Zeiten, der Tage und Nächte sein, auf daß sie am Firmament des Himmels leuchten und die Erde erhellen (Gen 1,14f). Wenn sich bei einer öffentlichen und feierlichen Versammlung alle entfernt haben, löschen die Diener die Lichter, die sie tragen, und man geht durch das ganze Haus, um alle Fackeln löschen zu lassen. Wenn das Ende der Welt kommt und alle Bewohner gestorben sind, wird Gott ebenso die Lichter am Himmel ausgehen lassen: Die Sonne wird verfinstert und der Mond wird seinen Schein nicht mehr geben (Mt 24,29). Es wird nicht mehr notwendig sein, Tag und Nacht voneinander zu scheiden, denn im Himmel wird für die Heiligen ewiger Tag sein, für die anderen ewige Nacht. Es wird keine Zeichen mehr geben, sondern die Wirklichkeit, keine Tage mehr, sondern die Ewigkeit. Der Himmel bedarf nicht mehr der Sterne, denn die (Leiber der) Seligen werden ihre Stelle einnehmen: Die Gerechten werden leuchten wie die Sonne und wie strahlende Sterne in alle Ewigkeit (Mt 13,43; Dan 12,3). Auch die Erde braucht nicht mehr erleuchtet zu werden, denn es wird auf ihr keine Augen mehr geben, um sie zu sehen. Das sagt das Evangelium (Lk 21,25): Es werden Zeichen ... sein und auf Erden Drangsal der Völker. O Gott, wie wunderbar ist der Anfang der Welt und mit welcher Sorgfalt ordnet Gott alles an! Aber, o Gott, wie schrecklich ist ihr Ende, wenn Gott alles verwirrt und umstürzt! Wenn der König in ein Schloß einziehen will, spannt man Wandteppiche und stellt Möbel auf; ebenso wenn Gott den Menschen in die Welt versetzt. Und wie man alles umwirft, wenn der König auszieht, etc.
Doch warum spricht Christus so oft vom Gericht und vom Ende der Welt? Um Furcht einzuflößen. Aber warum will er, daß wir uns fürchten? Damit wir lieben, denn die Furcht ist der Anfang der Weisheit (Ps111,10). Jes 26,17f: Vor deinem Angesicht (nach Sa: von deiner Furcht, wegen der Furcht vor dir) haben wir den Geist empfangen und gleichsam geboren, d. h. die Liebe. Vor deinem Angesicht, d. h. angesichts deines Zornes und Unwillens (Ps 101,11). So hat das Konzil von Trient gegen Luther erklärt, daß unsere Rechtfertigung bisweilen auch mit der Furcht beginnt, d. h. die Disposition zu unserer Rechtfertigung. Da wir diesen Gegenstand im vergangenen Jahr zu erörtern begonnen haben, können wir fortfahren. Es gibt zweierlei Furcht: die menschliche und die Gottesfurcht. Die Menschenfurcht kann wieder zweifach sein: natürlich moralisch und weltlich. Die Gottesfurcht ist vierfältig: knechtisch, die Furcht des Mietlings, kindlich und bräutlich.
Die Furcht der Knechte, der Sklaven, der Leibeigenen und Sträflinge, weil sie die Strafe fürchten. Sie kann aber zweifach sein: gut und schlecht. Schlecht, wenn sie den Willen zu sündigen nicht ausschließt, vielmehr den Wunsch zu sündigen einschließt. Wer also sagt: Hätte Gott das geboten und dem Gebot nicht die Androhung der Strafe hinzugefügt, würde ich sündigen; da er aber, usw., der ist im Herzen ein Sünder. Ja, diese Furcht ist sündhaft, weil sie glaubt, die Strafe sei mehr zu fürchten als die Schuld und Gott, und weil sie den eigenen Vorteil höher als alles und höher als Gott schätzt. 1 Joh 4,18: Die Liebe verbannt die Furcht. Diese Furcht unterscheidet sich auch nicht von der Trostlosigkeit der Verdammten. Gut ist diese Furcht, 1. wenn sie die Hölle einfach ohne die genannte Überlegung fürchtet; so die Niniviten, Christus, die Apostel. Wenn es erlaubt ist, das Gute des Lohnes wegen anzustreben, dann auch, die Sünde aus Furcht vor der Strafe zu meiden. – 2. Wenn man von der Furcht bewogen und angetrieben wird, Gott zu dienen und die Beleidigung Gottes zu meiden. Das ist ein Akt der Hoffnung, denn die gleiche Tugend, die zum Streben nach dem Guten drängt, führt auch dazu, das Böse zu meiden. Beispiele zur Verdeutlichung s. S. 28. – – –
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