Zum Donnerstag der 1. Fastenwoche

Annecy, 17. Februar 1622 (OEA X,215-232; DASal 9,427-440)

Frau, dein Glaube ist groß: dir geschehe, wie du willst (Mt 15,28).

An diesem Tag schlagen die Prediger verschiedene Umwege ein, um die Tugenden der Kanaanäerin zu loben; ich will dagegen den Glauben zum Gegenstand nehmen und euch zeigen, was er ist. Wenn ich dabei auf das stoße, was im Evangelium sich zwischen Unserem Herrn und der Kanaanäerin abspielt (Mt 15,21-28), werden wir es mit dem verbinden, was ich euch sagen will. Auf diese Weise werdet ihr erkennen, welche Eigenschaften der Glaube haben muß.

Zunächst: Wenn der Heiland sagt: Frau, dein Glaube ist groß, heißt das, daß der Glaube dieser Frau größer war als der unsere? Soweit es den Gegenstand betrifft, nein. Der Glaube hat ja zum Gegenstand die geoffenbarten Wahrheiten von Gott oder von der Kirche und er ist nichts anderes als eine Zustimmung unseres Verstandes zu diesen Wahrheiten, die er gut und schön findet. Dadurch kommt er dazu, sie zu glauben, und der Wille, sie zu lieben. Denn wie die Güte das Objekt des Willens ist, so ist die Schönheit das des Verstandes. Dem äußeren Menschen nach wird das Gute durch die Begierde angestrebt und die Schönheit von unseren Augen geliebt. Ebenso verhält es sich dem inneren Menschen nach bezüglich der Wahrheiten des Glaubens. Da sie gut, lieblich und echt sind, werden sie nicht nur vom Willen geliebt und erstrebt, sondern auch vom Verstand wegen der Schönheit geschätzt, die er in ihnen findet. Sie sind schön, weil sie wahr sind; denn es gibt keine Schönheit ohne Wahrheit und keine Wahrheit ohne Schönheit. Ebenso ist eine Schönheit, die nicht wahrhaftig ist, nicht mehr schön, da sie falsch und trügerisch ist.

Da nun die Wahrheiten des Glaubens sehr wahrhaftig sind, werden sie wegen der Schönheit dieser Wahrheit geliebt, die das Objekt des Verstandes ist. Geliebt sage ich, denn obwohl der unmittelbare Gegenstand der Liebe des Willens die Güte ist, kommt er dadurch, daß ihm der Verstand die Schönheit der geoffenbarten Wahrheiten zeigt, dahin, auch die Güte zu entdecken, und liebt indessen die Güte und die Schönheit der Geheimnisse unseres Glaubens. Um einen großen Glauben zu haben, ist es also notwendig, daß der Verstand dessen Schönheit erkennt, so daß Unser Herr, wenn er ein Geschöpf zur Erkenntnis der Wahrheit (1 Tim 2,4) führen will, ihm stets dessen Schönheit enthüllt. Wenn sich auf diese Weise der Verstand angezogen und eingenommen fühlt, teilt er diese Wahrheit dem Willen mit, der sie wegen der Güte und Schönheit ebenfalls liebt, die er darin erkennt. Dann bewirkt die Liebe, die diese beiden Seelenkräfte für die erkannten Wahrheiten hegen, daß der Mensch alles aufgibt, um an sie zu glauben und sie anzunehmen. Das geschieht durch Abstraktion. Ihr seht also, daß der Glaube nichts anderes ist als eine Zustimmung des Verstandes und des Willens zu den Wahrheiten der göttlichen Geheimnisse.

Was aber den Gegenstand des Glaubens betrifft, kann er für die einen nicht größer sein als für andere, ebensowenig bezüglich der Zahl der Dinge, die man glauben muß, denn wir müssen alle das gleiche glauben, sowohl dem Gegenstand als dem Umfang nach. Darin sind alle gleich, denn alle müssen alle Wahrheiten des Glaubens annehmen, sowohl jene, die Gott selbst geoffenbart hat, als jene, die er durch seine Kirche geoffenbart hat, so daß einer, der nicht alle diese Geheimnisse glaubt, nicht katholisch ist und folglich niemals in das Paradies eingehen wird. Wenn also Unser Herr sagt: Frau, dein Glaube ist groß, dann heißt das nicht, daß sie an mehr glaubt als wir, sondern, daß verschiedene Dinge ihren Glauben vortrefflicher machen. Es ist wahr, daß es nur einen Glauben (Eph 4,5) gibt, den alle Christen haben müssen; trotzdem besitzt ihn nicht jeder im gleichen Grad der Vollkommenheit. Um verständlich zu machen, ob er groß oder klein ist, spricht man deshalb von Bedingungen, die seine Größe ausmachen, und von Tugenden, die ihn begleiten. Aber um das recht zu begreifen, muß man es nach und nach entwickeln.

Der Glaube ist die Basis und das Fundament aller anderen Tugenden, besonders aber der Hoffnung und der Liebe. Wenn ich aber von der Liebe spreche, muß man das auch auf die große Zahl der Tugenden anwenden, die ihr folgen und sie begleiten. Wenn diese Liebe mit dem Glauben vereinigt und verbunden ist, belebt sie ihn. Daraus folgt, daß es einen toten und einen sterbenden Glauben gibt. Der tote Glaube ist jener, der von der Liebe getrennt ist. Diese Trennung bewirkt, daß man nicht die Werke tut, die mit dem Glauben übereinstimmen, den man bekennt. Das ist der Glaube vieler Christen in der Welt; sie glauben wohl an alle Geheimnisse unserer heiligen Religion, da aber ihr Glaube nicht von der Liebe begleitet wird, tun sie nichts Gutes, das mit ihrem Glauben übereinstimmte. Der sterbende Glaube ist jener, der nicht völlig von der Liebe getrennt ist. Er bewirkt zwar einige gute Werke, wenn auch selten und schwach, denn die Liebe kann nicht in einer Seele sein, die den Glauben hat, ohne mehr oder weniger zu wirken; sie muß wirken oder vergehen, denn sie kann nicht sein, ohne zu wirken.

So wie die Seele nicht im Leib sein kann, ohne Lebensäußerungen zu bewirken, so kann auch die Liebe nicht mit unserem Glauben verbunden sein, ohne Werke hervorzubringen, die ihm entsprechen (Gal 5,6; Jak 2,14-26); das kann nicht anders sein. Wenn ihr deshalb erkennen wollt, ob euer Glaube tot oder sterbend ist, dann schaut auf eure Werke und Handlungen. Mit ihm verhält es sich wie mit einem sterbenden Menschen: wenn ihn eine Schwäche befällt oder wenn er die Seele ausgehaucht zu haben scheint, dann hält man ihm eine Feder vor die Lippen und die Hand auf das Herz; wenn die Seele noch da ist, dann fühlt man, daß das Herz schlägt, man sieht an der Feder vor seinem Mund, daß er noch atmet, und man schließt daraus mit Sicherheit, daß dieser Mensch wohl im Sterben liegt, aber doch noch nicht ganz tot ist. Da er Lebenszeichen gibt, muß notwendigerweise die Seele mit seinem Leib vereinigt sein. Wenn er kein Lebenszeichen mehr gibt, sagt man, daß die Seele von ihm getrennt, folglich dieser Mensch gestorben ist.

Der tote Glaube gleicht einem dürren Baum, der keinen Lebenssaft hat. Wenn deshalb die anderen Bäume im Frühling Blätter und Blüten treiben, bringt er keine hervor, weil er nicht den Saft hat wie die anderen, die nicht tot sind, sondern nur abgestorben. Das ist ja etwas anderes; wenn sie auch im Winter dem äußeren Anschein nach den toten Bäumen gleichen, tragen sie doch zu ihrer Zeit Blätter, Blüten und Früchte, was ein toter Baum nie tut. Dieser ist gewiß ein Baum gleich den anderen, das ist wahr; er ist dennoch tot, denn er trägt nie Blüten und Früchte. So hat der tote Glaube wohl das gleiche Aussehen wie der lebendige, aber mit dem Unterschied, daß der erste keine Blüten und nicht die Früchte der guten Werke bringt, der zweite aber solche zu jeder Jahreszeit hervorbringt.

Mit dem Glauben und der Liebe verhält es sich ebenso. An den Werken, die die Liebe hervorbringt, erkennt man, ob der Glaube tot oder im Sterben ist. Bringt sie keine guten Werke hervor, dann sagen wir, daß er tot ist; sind sie klein und schwerfällig, dann sagen wir, daß er im Sterben ist. Wenn es aber einen toten Glauben gibt, dann muß es als Gegenstück einen lebendigen Glauben geben. Der ist vorzüglich, denn da er mit der Liebe verbunden und vereinigt ist und von ihr beseelt wird, ist er stark, fest und beständig, er tut viele große und gute Werke, die verdienen, daß man ihn preist mit den Worten: Dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willst.

Wenn man nun sagt, daß dieser Glaube groß ist, will man damit nicht ausdrücken, daß er 14 oder 15 Ellen lang sei; o nein, so darf man das nicht verstehen. Er ist groß wegen der guten Werke, die er bewirkt, ebenso wegen der großen Zahl von Tugenden, die ihn begleiten, die er wie ein König regiert, der sich für die Verteidigung und Bewahrung der göttlichen Wahrheiten einsetzt. Daß diese Tugenden ihm gehorchen, darin zeigt sich seine Erhabenheit und Größe, genau so wie die Könige nicht nur groß sind, wenn sie viele Provinzen und zahlreiche Untertanen haben, sondern wenn sie dabei Untertanen haben, die sie lieben und ihnen ergeben sind. Wenn aber bei all ihrem Reichtum die Vasallen ihre Erlässe und ihre Gesetze nicht beachten, würde man nicht sagen, daß sie große Könige sind, sondern recht kleine. So folgen der mit dem Glauben vereinigten Liebe nicht nur alle Tugenden, sondern sie befiehlt ihnen wie eine Königin; und alle gehorchen ihr und kämpfen für sie nach ihrem Belieben. Von daher kommt die große Zahl von guten Werken des lebendigen Glaubens.

Drittens gibt es einen wachen Glauben, der ebenfalls abhängig ist von seiner Verbindung mit der Liebe; es gibt aber auch einen, der eingeschlafen ist, schwerfällig und lethargisch, und das ist das Gegenteil vom wachen Glauben. Er ist träge, sich mit der Erwägung der Geheimnisse unserer Religion zu befassen; er ist recht schläfrig, daher dringt er nicht in die geoffenbarten Wahrheiten ein; er sieht sie wohl und nimmt sie wahr, weil er die Augen nicht ganz geschlossen hat, da er nicht schläft, aber er ist benommen und schlaftrunken. Er gleicht sehr schläfrigen Leuten, die wohl die Augen offen haben, aber trotzdem fast nichts sehen, und obwohl sie reden hören, nicht verstehen und begreifen, was man sagt. Warum? Ach, deswegen, weil sie ganz vom Schlaf befangen sind. Ebenso hat dieser schläfrige Glaube wohl die Augen offen, denn er glaubt an die Geheimnisse, er versteht genügend, was man davon erklärt, aber ich weiß nicht, mit welcher Schwerfälligkeit und Schläfrigkeit, die ihn hindert zu begreifen, was es bedeutet. Dieser Glaube gleicht auch noch Menschen, die einen schwerfälligen und verträumten Geist haben. Wirklich, sie öffnen die Augen, ihr seht sie nachdenklich und scheinbar aufmerksam auf irgendetwas, aber sie wissen nicht, was es ist. Ebenso ist es bei denen, die einen schläfrigen Glauben haben: Sie glauben an alle Geheimnisse im allgemeinen, aber fragt sie, was sie davon verstehen, sie wissen nichts. Wenn der Glaube so eingeschläfert ist, ist er in großer Gefahr, von verschiedenen Feinden überfallen und verführt zu werden, ja in gefährliche Abgründe zu stürzen.

Der wache Glaube dagegen tut nicht nur gute Werke wie der lebendige, sondern durchdringt und begreift die geoffenbarten Wahrheiten mit lebhaftem Scharfsinn. Er ist eifrig tätig, zu erforschen und zu erfassen, was ihn vermehren und festigen kann. Er wacht und nimmt alle seine Feinde in großer Ferne wahr. Er ist stets auf der Hut, um das Gute zu entdecken und das Böse zu meiden. Er hütet sich vor dem, was ihm zum Untergang gereichen könnte, und da er wach ist, geht er sicher voran und vermeidet leicht, in Abgründe zu stürzen.

Dieser wache Glaube wird von den vier Kardinaltugenden begleitet. Er besitzt die Stärke, die Klugheit, die Gerechtigkeit und die Mäßigung. Er bedient sich ihrer als Waffenrüstung, um seine Feinde in die Flucht zu schlagen, und bleibt mit ihnen fest, unüberwindlich und unerschütterlich. Seine Stärke ist so groß, daß er nichts fürchtet, weil er nicht nur stark ist, sondern diese Stärke kennt und sich auf sie stützt, die die Wahrheit selbst ist. Nun gibt es nichts so Starkes wie die Wahrheit (3. Esra 4,36). Die Menschen besitzen wohl diese Stärke, sie haben Macht und Gewalt über alle Tiere; weil wir aber nicht erkennen, daß wir sie haben, folgt daraus, daß wir uns fürchten wie Schwache und Feiglinge und wie Tölpel vor den wilden Tieren fliehen. Die Stärke des Glaubens dagegen besteht zum Teil darin, daß er sie kennt. Daher gebraucht er sie bei Gelegenheit und schlägt alle seine Feinde in die Flucht.

Er gebraucht die Klugheit, um sich anzueignen, was ihn stärken und vermehren kann. Er begnügt sich nicht damit, alle Wahrheiten zu glauben, die von Gott geoffenbart sind und von der Kirche verkündet werden, was zum Heil notwendig ist; er ist vielmehr wach, um immer mehr neue zu entdecken; und nicht nur das, er vertieft sich in sie, um aus ihnen den Saft und das Mark zu gewinnen, mit denen er sich nährt und labt, stärkt und vermehrt. Diese Klugheit ist nun nicht wie die vieler Weltmenschen, die sehr darauf aus sind, Reichtümer anzuhäufen, Ehren und ähnlichen Plunder, die sie reich und in den Augen der Menschen angesehen machen, die ihnen aber für das ewige Leben nichts nützen. Das ist eine falsche Klugheit! Obwohl sie mich Städte, Fürstentümer und Königreiche gewinnen läßt, was nützt sie mir, wenn ich dabei verdammt werde (Mt 16,26)? Was nützt mir mein Wachsein,´wenn ich es nur dazu gebrauche, um vergängliche Dinge dieses sterblichen Lebens zu erwerben? Wäre ich auch der stärkste und klügste Mensch der Welt, wenn ich mich dieser wachen Klugheit nicht für das ewige Leben bediene, ist es gewiß nichts.

Trotzdem gibt es so viel menschliche Klugheit! Man gewahrt sie in abertausend Gestalten und wir sehen bestimmt, daß der Großteil unserer Übel von dieser falschen Klugheit kommt. Doch sprechen wir in dieser Stunde nur von der Klugheit des Glaubens. Die Mehrzahl der Christen, die den Glauben haben (den muß man ja haben, um einer zu sein), glaubt alles, was man glauben muß, um das Heil zu erlangen. Nun gut, sagt der hl. Bernhard, ihr werdet es erlangen, wenn ihr glaubt und tut, wovon euch der Glaube lehrt, daß es notwendig ist, um das ewige Leben zu gewinnen. Es braucht wenig, um das Heil zu erlangen: alle Geheimnisse unserer Religion glauben und die Gebote Gottes halten (Mt 19,16f). Die Klugheit dieser Menschen begnügt sich damit und will nicht mehr tun, als notwendig ist, um das ewige Leben zu besitzen, und fliehen, was ihnen die Verdammnis bringen kann. Ihr bemüht euch also nicht für Gott, sondern einzig für euch selbst, weil eure Klugheit nicht weiter reicht, als das zu tun, wovon ihr wißt, daß es euch vor dem Verderben bewahren kann. Ihr gehört nicht zu den wachsamen Dienern, die stets das Auge auf die Hände ihres Herrn gerichtet haben (Ps 123,2), die sehr sorgsam darauf bedacht sind, alles zu tun, wovon sie wissen, daß es ihm ihre Dienste wohlgefällig machen kann. Sie zeigen damit, daß sie nicht für sich arbeiten, sondern aus Liebe zu ihrem Herrn. Sie wenden ja ihre ganze Klugheit an, um nicht nur ihre Pflicht gegen ihn zu erfüllen, sondern um auch alles zu tun, was sie als ihm wohlgefällig entdecken. Sie sind treue Knechte (Mt 25,21.23), sie werden daher das ewige Leben besitzen und darüber hinaus eine große Herrlichkeit und Seligkeit in der Freude der Gegenwart der göttlichen Majestät.

Es gibt aber auch manche, schreibt der hl. Bernhard, die sagen: Ich halte die Gebote Gottes. Nun gut, du wirst das Heil erlangen, das ist dein Lohn. Ich bin kein Dieb. Du wirst nicht gehängt, das ist dein Lohn. Ich habe niemand um seine Ehre gebracht. Du wirst nicht entehrt, das ist dein Lohn. Ich habe getan, wovon ich weiß, daß man es tun muß, um das Heil zu erlangen. Nun denn, du wirst das ewige Leben besitzen, das ist dein Lohn. Nun, der wache Glaube handelt nicht so; er dient Gott nicht als Mietling, sondern treu, denn er setzt all seine Kraft und Klugheit ein, seine Gerechtigkeit und Mäßigung, um alles zu tun, was er vermag und als unserem Herrn und Meister wohlgefällig erkennt. Er beobachtet nicht nur, was zum Heil notwendig ist, sondern sucht, ergreift und übt getreu alles, was er vermag, um Gott näher zu kommen.

Es gibt eine fünfte Eigenschaft des Glaubens, nämlich wachsam zu sein. Der wachsame Glaube ist sehr groß und vorzüglich, denn darüber hinaus, daß er lebendig und wach ist, gelangt er durch diese Wachsamkeit zum Gipfel der Vollkommenheit. Diesen Glauben hatte die Kanaanäerin. Sehen wir also ein wenig, wie groß der Glaube dieser Frau ist wegen dieser Wachsamkeit. Da Unser Herr die Gegend von Tyrus und Sidon durchzog und sich verbergen wollte, um nicht seine Herrlichkeit zu offenbaren, gedachte er sich in ein Haus zurückzuziehen, um nicht gesehen und erkannt zu werden. Da nämlich sein Ruhm von Tag zu Tag zunahm, folgte ihm eine große Volksmenge, die angelockt wurde von den Wundern und großartigen Taten, die er wirkte. Da er sich also verbergen wollte, trat er in eines der nahegelegenen Häuser. Doch da war eine heidnische Frau, die in Bereitschaft stand, die wartete und sorgsam darauf achtete, wann der Heiland vorüberkäme, von dem sie so viel Wunderbares gehört hatte. Sie war wachsam wie ein Hund, der auf der Lauer oder auf der Spur ist, um die Beute zu erspähen, die auf diesem Weg fliehen müßte. So kann man nämlich die Worte des hl. Markus auslegen, der einer seiner Evangelisten ist.

Unser Herr kam vorüber, betrat das Haus oder hatte es betreten oder hatte es verlassen (das ist eine Streitfrage, aber darüber will ich hier nicht sprechen; ich meinerseits glaube, daß es sich zutrug, als er in diesem Haus war); da trug ihm die Kanaanäerin, die auf der Hut war, um ihre Beute zu erhaschen, ihre Bitte vor und rief: Herr, Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir, denn meine Tochter wird vom Teufel grausam gequält. Seht doch den großen Glauben dieser Frau: sie bittet unseren göttlichen Meister nur, er möge Erbarmen mit ihr haben, und glaubt, dieses Erbarmen werde genügen, um ihre Tochter zu heilen und von dem bösen Geist zu befreien, der sie quälte. Ihr Glaube wäre nicht so groß gewesen, hätte sie nicht darauf geachtet, was sie über Unseren Herrn sagen hörte und was sie davon verstand. Die ihm folgten oder in den Häusern wohnten, die dem benachbart waren, wo er sich zurückgezogen hatte, hatten wohl die Wundertaten gesehen, die er wirkte, durch die er die Lehre bekräftigte, die er verkündete, oder hatten davon reden gehört. Sie hatten ebensoviel Glauben wie die Kanaanäerin, denn ein Großteil glaubte, was von ihm gesagt wurde, aber ihr Glaube war nicht so groß wie jener dieser Frau, weil er nicht so wachsam war wie der ihre.

Wir sehen das im allgemeinen bei den gewöhnlichen Weltleuten. Da gibt es Leute, die sich in guter Gesellschaft befinden, in der man ein gutes Gespräch führt und von guten und heiligen Dingen spricht. Ein geiziger Mensch wird wohl hören, was man sagt, aber fragt ihn, wenn er die Gesellschaft verlassen hat, was in diesem Gespräch gesagt wurde, dann wird er davon kein Wort wiederholen können. Und warum? Deshalb, weil er nicht aufmerksam hörte, was gesagt wurde; seine Aufmerksamkeit galt seinem Reichtum. Ebenso ein Vergnügungssüchtiger; denn obwohl er scheinbar hört, worüber man spricht, wird er sich trotzdem an nichts erinnern, weil seine Aufmerksamkeit mehr seinem Vergnügen gilt als dem, worüber gesprochen wird. Wenn es aber einen gibt, der seine ganze Aufmerksamkeit darauf richtet, was gesprochen wird, der wird sehr genau wiedergeben, was er gehört hat. Warum erleben wir, daß man so wenig Nutzen zieht aus den Predigten oder aus den Geheimnissen, die man uns erklärt und lehrt, oder aus jenen, die wir betrachten? Deswegen, weil der Glaube nicht wachsam ist, mit dem wir sie hören oder betrachten. Daher kommt es, daß wir wohl glauben, aber nicht mit großer Gewißheit. Der Glaube der Kanaanäerin war nicht so geartet. Frau, dein Glaube ist groß, nicht nur wegen deiner Aufmerksamkeit, mit der du hörst und glaubst, was man von Unserem Herrn sagt, sondern auch wegen der Wachsamkeit, mit der du ihn bittest und ihm dein Anliegen vorträgst. Ohne Zweifel macht die Aufmerksamkeit, die wir aufbringen, um die Geheimnisse unserer Religion zu begreifen, mit der wir sie erwägen und betrachten, unseren Glauben noch größer.

Doch was ist das, Gebet und Betrachtung? Diese Worte scheinen aus einer anderen Welt zu stammen; wenige Menschen wollen sie hören. Wißt ihr, was Betrachtung und Beschauung ist? Das ist kurz gesagt das Gebet. Beten heißt bitten; und mit Aufmerksamkeit bitten heißt, einen lebendigen, wachsamen und wachen Glauben haben wie die Kanaanäerin. Diesem wachen Glauben oder dem aufmerksamen Gebet folgt eine große Vielfalt weiterer Tugenden und begleitet es, die in der Heiligen Schrift genannt werden; da ihre Zahl aber unermeßlich ist, will ich mich darauf beschränken, euch jene aufzuzählen, die sich für euch eignen und die im Gebet der Kanaanäerin besonders aufscheinen. Der vorzüglichen Tugenden, von denen die Bitte dieser Frau begleitet war, sind vier: das Vertrauen und die Beharrlichkeit, die Geduld und die Demut. Über jede will ich euch ein Wort sagen, denn ich will nicht lang sprechen.

Sie hatte Vertrauen; das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, die unserem Gebet vor Gott Gewicht geben. Herr, sagte diese Frau, hab Erbarmen mit mir, denn meine Tochter wird vom Teufel arg gequält (tourmenté ist ein französisches Wort, das uns das lateinische male vexatur wiedergibt). Das ist also, als wollte sie sagen: Dieser böse Geist behandelt sie äußerst grausam, deshalb hab Erbarmen mit mir. Welch großes Vertrauen! Sie glaubt, wenn der Herr Erbarmen mit ihr hat,wird ihre Tochter geheilt. Sie zweifelt weder an seiner Macht noch an seinem Willen, denn sie ruft nur: Hab Erbarmen mit mir. Ich weiß, wollte sie sagen, daß du so gütig und gnädig zu allen bist, so daß ich nicht daran zweifle, daß du dich meiner erbarmen wirst, wenn ich dich darum bitte, und daß meine Tochter sogleich geheilt wird, wenn du dich erbarmst.

Der größte Mangel in unseren Gebeten und bei allem, was uns begegnet, vor allem, was unsere Prüfungen betrifft, ist gewiß unser schwaches Vertrauen. Daher kommt es, daß wir die Hilfe nicht zu erlangen verdienen, die wir ersehnen und erbitten. Dieses Vertrauen nun begleitet stets den wachen Glauben. Als der hl. Petrus und die übrigen Apostel sich mit ihrem Herrn im Boot befanden und den Sturm losbrechen sahen, bekamen sie Angst und riefen seinen Beistand an. Daran taten sie gut, denn bei ihm müssen wir Zuflucht suchen und von ihm müssen wir alle Hilfe erwarten. Als sie aber den See immer aufgewühlter und ihren Meister schlafend sahen, erregten sie sich sehr und riefen: Herr, rette uns, wir gehen zugrunde. Der Heiland rügte sie und sagte ihnen: Ihr Menschen von geringem Glauben (Mt 8,24-26), als wollte er sagen: Wie schwach ist euer Glaube, da euch das Vertrauen bei der Gelegenheit fehlt, wo ihr es mehr hättet zeigen müssen. Da nun das Vertrauen klein ist, das euch noch bleibt, ist es auch euer Glaube.

Die Kanaanäerin dagegen hatte großes Vertrauen, als sie ihre Bitte aussprach, selbst in Sturm und Unwetter, die dieses Vertrauen nicht im geringsten zu erschüttern vermochten. Es war ja begleitet von der Beharrlichkeit, mit der sie mutig zu rufen fortfuhr: Herr, Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir. Sagte sie denn sonst nichts? Nein, sie brachte kein anderes Wort über die Lippen als dieses und gebrauchte es dauernd die ganze Zeit, die sie hinter Unserem Herrn her rief. Welch große Tugend ist diese Beharrlichkeit! Hättet ihr den guten Ordensmann des hl. Pachomius, der Gärtner war, gefragt, ob er nichts anderes mache als den Garten besorgen und Matten flechten, er hätte geantwortet: Nichts anderes. Das war seine Beschäftigung seit seinem Eintritt ins Kloster und er strebte den ganzen Rest seines Lebens nicht danach, eine andere Aufgabe zu bekommen. Welche Beharrlichkeit! Wenn ich jedoch von der Beharrlichkeit spreche, will ich nicht von der Beharrlichkeit bis ans Ende sprechen, die wir haben müssen, um gerettet zu werden, sondern von jener, die unser Gebet begleiten muß. Wie wenige verstehen recht, worin sie besteht! Ihr könnt junge Mädchen finden, die erst am Beginn der Frömmigkeit stehen, auch Männer (aber sprechen wir jetzt nicht von ihnen; sprechen wir nur von den Mädchen, da ich mich an Mädchen wende); da gibt es also solche, die mit dem Gebet und der Nachfolge Unseres Herrn erst beginnen: die bitten um Freuden und Tröstungen und wollen sie auch schon haben; sie können nicht beharrlich beten, außer kraft süßer Empfindungen. Ach, wenn man irgendwie Unlust am Gebet empfindet, wenn Gott uns die gewohnte Freude und Leichtigkeit entzieht oder vorenthält, beklagt man sich, ist man bekümmert und sagt: Weil ich nicht demütig bin, läßt Gott mich nichts empfinden; er beachtet mich nicht, denn er schaut nur auf die Heiligen, und was weiß ich, welche Albernheiten und tausend Gedanken, die man unterhält, um sich der Verdrossenheit und Mutlosigkeit zu überlassen. Man wird bei dieser Trockenheit und Niedergeschlagenheit des Gebetes überdrüssig; und was will man? Ekstasen, Verzückungen, süße Gefühle und Tröstungen. Wenn Gott nicht unverzüglich gibt, worum man ihn bittet, oder wenn er uns nicht zeigt, daß er uns erhört, verliert man den Mut; man kann nicht beharrlich beten, gibt alles auf.

Nicht so die Kanaanäerin; denn obwohl sie sieht, daß der Herr ihre Bitte nicht beachtet, da er ihr keine Antwort gibt, und damit scheinbar ein Unrecht begeht, fährt diese Frau dennoch fort, hinter ihm her zu rufen, so daß die Apostel sich veranlaßt sahen, ihm zu sagen, er möge sie wegschicken, weil sie dauernd ihm nachrufe. Dazu meinen die einen, sie habe sich an die Apostel gewandt, als sie sah, daß der Heiland ihr keine Antwort gab, und sie um Fürsprache gebeten; deshalb hätten sie gesagt: Sie hört nicht auf, hinter uns her zu rufen. Andere glauben, sie habe die Apostel nicht gebeten, sondern immer lauter nach Unserem Herrn gerufen. Ich will mich aber dabei nicht aufhalten; ich halte mich meinerseits an die letzte Ansicht und glaube, als die Apostel sagten: Herr, entlasse sie, oder vielmehr: schicke die Frau weg, denn sie hört nicht auf, hinter uns her zu rufen, wollten sie damit sagen, hinter dir her, denn hinter ihnen her rufen hieß, hinter ihrem Meister her rufen.

Obwohl Unser Herr taube Ohren für all das hatte, hörte sie nicht auf, das gewohnte Gebet fortzusetzen. Damit bewies sie ihre Beharrlichkeit, denn es ist keine geringe Tugend, stets im gleichen Gebet und in den gleichen Übungen zu beharren. Und welches Gebet sollen wir immer verrichten? Unser Herr hat es mit seinem eigenen Mund gesagt: Sprecht: Vater unser im Himmel (Mt 6,9-13; Lk 11,2-4). Das sollen wir jeden Tag tun. Sollen wir kein anderes Gebet verrichten? Das sage ich nicht; aber Gott gebietet euch kein anderes. Ich weiß wohl, daß es nicht schlecht ist, in den Gebeten und Betrachtungen abzuwechseln, denn das lehrt uns die Kirche selbst in der Vielfalt ihrer Stundengebete. Aber außer diesen Gebeten werdet ihr eines jeden Tag verrichten, das man nicht nur nach der Laudes, der Prim und Vesper sprechen muß, sondern oftmals am Tag. Und welches soll das sein? Vater unser im Himmel. Wie glücklich wird man sein, wenn man das Gebet mit dieser Beharrlichkeit verbindet; wenn man, sobald man Unlust und Trockenheit dabei empfindet, sobald uns die Süßigkeit des Gebetes entzogen wird, zu beten fortfährt, ohne dessen überdrüssig zu werden, sich zu beklagen und sich davon zu befreien zu versuchen, sondern wenn man sich damit begnügt, bei all dem unablässig auszurufen: Herr, Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir.

Cicero sagt an einer Stelle seiner Schriften, ich weiß aber nicht, wo, in der Form eines Sprichworts, daß nichts den Wanderer so sehr ermüdet wie ein langer Weg, wenn er eben ist, oder ein kurzer, wenn er recht uneben und bergig ist (ich entsinne mich nicht seiner eigenen Worte). Er fügt einige andere Dinge hinzu, aber er will doch ausdrücken, daß die Beharrlichkeit etwas sehr Schwieriges ist. Obwohl der Wanderer auf einem schönen, ebenen Weg geht, ist es dessen Länge, die ihn ermüdet; und wenn er die Nacht anbrechen sieht, wird er unmutig und unruhig. Schließlich hätte er gewiß mehr Freude, wenn dieser Weg abwechslungsreich wäre durch einige Täler und Hügel. Ebenso ermüdet und langweilt der unebene und bergige Weg den Pilger, obwohl er kurz ist, zumal man immer das gleiche tun muß. Aber er ist doch kurz. Trotzdem möchte er lieber, daß er länger wäre und es manche Ebenen und Täler gäbe.

Was ist das anderes als Launenhaftigkeit des menschlichen Geistes, der keine Ausdauer hat in dem, was er unternimmt? Deshalb verstehen es die Weltmenschen, die nach ihren Launen leben, so gut, durch Zeitvertreib und Veranstaltungen Abwechslung in die Jahreszeiten zu bringen. Sie erfreuen sich nicht immer am gleichen Vergnügen, sondern an verschiedenen, denn sonst würden sie dessen müde. Bald halten sie Tanzfeste und Maskenbälle in der Karnevalszeit, kurz sie verbringen die Zeit in einer Vielfalt von Vergnügungen, die nichts anderes sind als Launen und Unbeständigkeit des menschlichen Geistes. Deshalb ist die Ausdauer, im Ordensleben stets das gleiche zu tun, ein Martyrium für den, der recht darauf bedacht ist. Es ist wahr, daß es auch ein Paradies genannt wird von denen, die es recht verstehen; aber auch das kann man ein Martyrium nennen, denn dabei tötet man ständig die Einbildungen des menschlichen Geistes und jeden Eigenwillen ab. Ist es denn kein Martyrium, immer auf die gleiche Art gekleidet zu sein, ohne die Freiheit zu haben, seine Kleider zu verbrämen oder abzuschneiden, wie es die Weltleute tun? Ist es kein Martyrium, immer zur gleichen Zeit zu essen und fast die gleichen Speisen, wie es auch bei den Bauern eine große Ausdauer ist, als Nahrung gewöhnlich nur Brot und Käse zu haben? Trotzdem sterben sie davon nicht früher, sondern halten sich besser als die Feinschmecker, bei denen man nicht weiß, welches Fleisch recht ist. Man braucht so viele Köche, so viele Arten der Zubereitung! Und wenn ihr ihnen die Speisen vorsetzt, sagen sie: O, tragen Sie das ab, das ist nicht gut; oder: Das macht mich krank; oder ähnliche Launen. Im Kloster dagegen macht man nicht so viele Umstände; man ißt, was man bekommt. Das ist ebenso ein Martyrium wie immer die gleichen Übungen zu machen.

Bleiben wir allzeit beharrlich im Gebet; denn wenn Unser Herr uns nicht zu hören scheint, dann nicht deswegen, weil er uns zurückweisen wollte, sondern um uns zu verpflichten, unseren Ruf lauter zu erheben und uns die Größe seines Erbarmens mehr fühlen zu lassen. Die etwas von der Jagd verstehen, wissen wohl, daß die Hunde im Winter die Beute nicht wittern können, weil die Luft kalt ist und der Frost sie hindert, die Spur zu verfolgen wie in den übrigen Jahreszeiten. Ebenso nimmt ihnen im Frühling die Vielfalt des Duftes der Blumen die Fähigkeit, die Witterung des Wildes aufzunehmen. Um dem abzuhelfen, nimmt der Jäger Essig in den Mund, hält den Kopf des Hundes fest und gießt ihm den Essig ins Maul. Das tut er nun nicht, um ihn zu entmutigen, sich auf die Spur der Beute zu setzen, sondern vielmehr, um ihn dazu zu drängen und anzuspornen, zu tun, was seine Aufgabe ist. Genau so ist es, wenn Unser Herr uns die süßen Gefühle und Tröstungen entzieht; das geschieht nicht, um uns zurückzuweisen oder den Mut verlieren zu lassen; er gibt uns vielmehr den Essig in den Mund, um uns anzuspornen, uns seiner göttlichen Güte um so mehr zu nahen, und uns zur Beharrlichkeit anzuregen.

Es geschieht außerdem noch, um unsere Geduld auf die Probe zu stellen. Sie ist die dritte Tugend, die das Gebet der Kanaanäerin begleitete. Als der Heiland ihre Beharrlichkeit sah, wollte er auch ihre Geduld prüfen, die Tugend, durch die wir soviel als möglich den Gleichmut in allen Wechselfällen dieses Lebens bewahren. Deshalb erwiderte er seinen Aposteln, die ihn baten, sie fortzuschicken, ein Wort, das sie sehr schmerzlich berühren und sie offenbar aus der Fassung bringen mußte. Es ist nicht recht, sagte er, daß ich den Kindern das Brot nehme, um es den Hunden zu geben. Ich bin nicht gekommen, um alle verirrten Schafe, sondern um die verlorenen Schafe aus dem Hause meines Vaters zu finden. Nun denn, Herr, gehört dieses Schäflein hier nicht zum Haus deines Vaters? Soll es zugrundegehen? Bist du nicht für alle gekommen, für das jüdische Volk und für die Heiden? Es ist ganz klar, daß Unser Herr für die ganze Welt gekommen ist; das wird in der Heiligen Schrift ganz offenkundig. Wenn er aber sagt: Ich bin nicht für die verirrten Schafe gekommen, sondern nur für die verlorenen Schafe aus dem Hause meines Vaters, dann will er damit zu verstehen geben, daß er nur den Juden verheißen war, die Kinder Gottes genannt werden. Das heißt, es war (Jes 11,1f.10f; 61,1; Lk 4,18-21) vorhergesagt, er werde kommen und auf seinen eigenen Füßen unter diesem Volk wandeln; er werde es mit seinem Mund lehren, seine Kranken heilen mit seinen eigenen Händen; er werde selbst in Israel Wunder wirken. Folglich durfte er den Kindern Gottes, d. h. dem jüdischen Volk nicht das Brot wegnehmen, um es den Hunden vorzuwerfen, dem heidnischen Volk, einer Nation, die ihn nicht kannte. Das ist, als wollte Jesus Christus sagen: Die Gnaden, die ich den Heiden erweise, zu denen ich nicht gesandt bin, sind so klein und ihre Zahl so gering im Vergleich zu jenen, die ich unter den Israeliten austeile, daß sie keinen Grund haben, deswegen eifersüchtig zu sein.

Wie aber ist das zu verstehen, daß Unser Herr ebenso für die Heiden gekommen ist wie für die Juden? Seht, wie er gekommen ist, um auf seinen eigenen Füßen unter den Kindern Israels zu wandeln, so muß er auf den Füßen der Apostel unter den Heiden wandeln; er muß ihre Kranken heilen, nicht mit seinen eigenen Händen, sondern durch die der Apostel, ihnen seine Lehre predigen, aber durch den Mund der Apostel, das verlorene Schaf wiederfinden, aber durch den Fleiß der Apostel. Deshalb sagt er zur Kanaanäerin die scheinbar so harten und verletzenden Worte, die so sehr nach Verachtung und Geringschätzung dieser armen heidnischen Frau klingen. Gewiß verletzt im allgemeinen nichts so sehr wie kränkende Worte, die man sagt, um jene zu mißachten, denen man sie sagt, besonders dann, wenn sie Personen von Ansehen und Autorität aussprechen. Man hat schon Menschen sterben gesehen vor Schmerz und Kummer über ein Wort der Verachtung, das ihr Fürst ihnen sagte, wenn auch in Erregung oder von Leidenschaft überrascht. Als diese Frau Unseren Herrn hörte, wurde sie nicht ungeduldig, war nicht traurig und beleidigt, sondern warf sich ihm zu Füßen und antwortete: Es ist wahr, ich bin ein Hündlein, das gebe ich zu; aber ich nehme dich beim Wort, denn die Hunde folgen ihrem Herrn und nähren sich von den Brocken, die unter den Tisch fallen.

Diese Demut ist die vierte Tugend, die den Glauben und die Bitte der Kanaanäerin begleitete; eine Demut, die dem Heiland so wohlgefällig war, daß er ihr alles gewährte, worum sie bat, und sagte: Frau, dein Glaube ist groß! Dir geschehe, wie du willst. Gewiß, alle Tugenden sind Gott teuer, aber die Demut gefällt ihm über alles und er kann ihr anscheinend nichts verweigern. Diese Frau nun machte die Größe ihrer Demut deutlich durch das Bekenntnis, daß sie ein Hündlein sei, und als Hündlein bat sie nicht um Gnaden, die den Juden als den Kindern Gottes vorbehalten waren, sondern nur darum, die Brocken sammeln zu dürfen, die unter den Tisch fallen. Manche sagen wohl, sie seien nichts, seien nur Niedrigkeit, Elend und ähnliches (von dieser Demut ist die Welt erfüllt); sie könnten es aber nicht ertragen, wenn ein anderer ihnen sagte, sie seien nichts wert, sie seien dumm, oder ähnliche Ausdrücke der Verachtung. Sie bekennen es, soviel man will, aber hütet euch wohl, es ihnen zu sagen, denn dann sind sie beleidigt. Ich will nebenbei noch dieses Wort hinzufügen, weil es mir einfällt: Die Beichtväter wären recht glücklich, wenn sie ihre Pönitenten immer dazu bringen könnten, zu bekennen, daß sie Sünder sind. Doch nein, obwohl man ihnen ihre Fehler zeigt und sie zu bewegen versucht, ihr Unrecht zuzugeben, wollen und können sie es oft nicht glauben. Was unsere Kanaanäerin betrifft, war sie nicht nur nicht gekränkt, daß sie ein Hündlein genannt wurde, sondern sie glaubte es, bekannte es und bat nur um das, was den Hunden zukommt. Darin zeigte sie eine bewundernswerte Demut, die durch den Mund Unseres Herrn gelobt zu werden verdiente; das tat er mit den Worten: Frau, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willst. Indem er ihren Glauben lobte, lobte er alle übrigen Tugenden, die ihn begleiteten.

Nun denn, vermehren wir also unseren Glauben, beseelen wir ihn durch die Liebe und die Übung der guten Werke, die in Liebe getan werden. Wachen wir sorgsam darüber, ihn zu bewahren und zu vermehren, sowohl durch die aufmerksame Erwägung der Geheimnisse, die man uns lehrt, als auch durch die Übung der Tugenden, über die wir gesprochen haben, besonders der Demut; durch sie hat die Kanaanäerin alles erlangt, was sie wünschte. Ahmen wir diese Frau darin nach, daß wir unserem Erlöser und Meister immer nachrufen: Herr, Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir. Dann wird er uns am Ende unserer Tage sagen: Es geschehe, wie du willst. Komm, um dich dafür, was du getan hast, der Ewigkeit zu erfreuen. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.


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