Zum Donnerstag der 3. Fastenwoche

(Entwurf) Grenoble, 2. März 1617 (OEA VIII,325-329; DASal 9,117-179)

Jesus ging von der Synagoge in das Haus des Simon. Die Schwiegermutter Simons wurde von einem schweren Fieber heimgesucht (Lk 4,38).

Nun müssen wir kurz behandeln, was gestern von der Überlieferung ungesagt blieb. Das liegt keineswegs außerhalb unseres Gegenstandes, denn unter den kirchlichen Überlieferungen ist die von der Ehelosigkeit der Priester eine der bedeutendsten. Über sie mußte am Anfangn des heutigen Evangeliums unbedingt gesprochen werden. Doch laßt uns Gott bitten.

Ich glaube, ihr habt bemerkt, daß ich meine Ausführungen nicht ausgedehnt habe auf die Überlieferungen, auf denen die Religion überhaupt beruhte bis auf Mose, der als erster etwas aufgezeichnet hat; ebenso nicht auf die Überlieferungen, die es bei den Hebräern gab, denn das wäre zu lang gewesen. Ich habe also die Predigt auf die christliche Lehre beschränkt, von der ich sagte, daß sie am Anfang nicht geschrieben, sondern überliefert wurde. Und wenn sie auch später aufgeschrieben wurde, so doch nur unvollständig. Das zwingt uns zuzugeben, 1. daß wir heilige Schriften besitzen, denn nur durch die Überlieferung wissen wir, daß wir sie haben.

2. daß wir sie in dieser Zahl haben. Denn woher anders als durch die Überlieferung wissen wir, daß der Brief an die Gemeinde von Laodizea und der Brief an Seneca keine echten Paulusbriefe sind? Dann sagt der Apostel selbst (Hebr 5,11): Darüber hätten wir Großes zu sagen, aber es ist nicht in Worten auszusprechen. Was ist aus diesem großen Wort, aus dieser langen Rede geworden? Wir Katholiken wissen genug. Das versteht sich von der Gestalt Christi im Sakrament des Altares; fast das ganze Altertum handelt davon.

3. um den Sinn der Heiligen Schrift zu ermitteln. Denn nur durch die Überlieferung können wir je die Hartnäckigkeit der Häretiker überwinden; deshalb hassen sie ja die Überlieferung. Gewiß hätten die Arianer tausend Jahre an ihrer falschen Lehre festgehalten, hätte man nicht durch die Überlieferung die Autorität der Väter und der Apostel anführen können. Es gibt wirklich nur mehr wenig, was man nicht aus den heiligen Schriften belegen könnte, wenn man die Überlieferung zu Hilfe nimmt. Legt man sie nicht zugrunde, dann kann man fast nichts sicher belegen. Vgl. die Lehre des Epiphanius ...

4. Für die Form, die Zahl, die Materie und den Ritus der Sakramente. Deshalb sagt der Apostel (1 Kor 11,34): Das übrige werde ich regeln, wenn ich komme. Dabei hatte er vieles schriftlich angeordnet.

5. Für die Gesetze, z. B. für die Verlegung des Sabbats auf den Sonntag, über das Osterfest, die Fastenzeit, daß nach einiger Zeit der Genuß von Blut und Ersticktem erlaubt wurde (vgl. Apg 15,20). Die Genfer Bibel: Was Ersticktes und Blut betrifft, war der Genuß nicht etwas in sich Unerlaubtes, aber er war zeitweise durch ein Gebot verwehrt. Das Verbot galt nicht zur Zeit Tertullians, wie man in seiner Apologetik (c. IX) sehen kann (dort findet man eine schöne Bemerkung über den Kindermord). Die Ehelosigkeit der Priester seit der frühesten Zeit aus tausend Gründen.

6. Unterschiede zwischen den kirchlichen Überlieferungen. Alle sind dennoch so in Ehren zu halten, wie die Kirche lehrt.

7. Man muß feststellen, daß keine Überlieferung je zu den heiligen Schriften in Widerspruch stand, denn sie stammen vom gleichen Gott; vielmehr stimmen sie mit ihnen überein. Deshalb kann man auch von den Überlieferungen sagen: Forscht in den Schriften; sie geben Zeugnis (Joh 5,39) für die Überlieferungen und für die unfehlbare Autorität der Kirche. Sie fügen nichts hinzu, sondern erklären, wie man aus dem Myrrhen und Balsambaum den Saft nicht mit einem Messer aus Stahl gewinnt, sondern mit Glas, Stein, Knochen, Elfenbein oder einem anderen Holz; wie die Bienen Honig aus Blüten saugen. Die Häretiker gewinnen (aus der Schrift) Galle und Gift wie Spinnen. Nicht daß sie Gift enthielte, vielmehr verwandeln sie ihren Sinn in Gift. Lk 16,29: Sie haben Mose und die Propheten; auf die sollen sie hören. Hören bedeutet aber gehorchen; dem gehorchen, der spricht. Auf Mose hören heißt, auf die Lehre hören, die die Bücher Moses darlegen.

Bleiben wir also mit Christus im Haus des Simon und Andreas. Hier heilt Christus die Fieberkranken. Es ist eine fremdartige Hitze, die unnatürlich ist. Ach, wie viele Fieberkranke sehe ich, die mir den Puls, die Augen, die Zunge zeigen!

Die Tradition und die Heilige Schrift verhalten sich zueinander wie das Hervorgegangene und das Hervorgehen. Die Heilige Schrift hat den Vorzug, daß in ihr alles kanonisch ist, sogar die Interpunktion. Das zeigte sich, als die Arianer einen Punkt verrücken wollten: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war. Das Wort ... (vgl. Joh 1,1). Für diesen Punkt muß man zu sterben bereit sein. So muß man auch glauben, daß der Hund des Tobias einen Schwanz hatte (Tob 1,9). Da Sinn und Folgerung bei den Überlieferungen die gleichen sind, fügen sie den Worten nichts hinzu. Die Überlieferungen haben den Vorteil, daß sie von den Häretikern nicht verfälscht werden können.


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