Zum Fest aller Heiligen
Annecy, 01. November 1620 (OEA IX,366-379; DASal 9,365-375)
Dieses Fest enthält Stoff in Fülle, um seine Größe und seine Feierlichkeit zu zeigen, und die Prediger sind erfreut über die Fülle und Vielfalt dessen, worüber man an diesem Tag sprechen kann. Die einen sprechen über die Glorie der Heiligen und über ihre Seligkeit, die anderen behandeln ebenso nutzbringend und lobenswert ihre Tugenden und die Heiligkeit, durch die sie diese Seligkeit erworben haben. Wieder andere erklären die wunderbare Bergpredigt, in der Unser Herr die acht Seligkeiten verkündete (Mt 5,1-11). Ich will mich meinerseits in dieser Predigt so gut wie möglich der Absicht der heiligen Kirche anschließen und euch einen unserer Glaubensartikel auslegen, nämlich die Gemeinschaft der Heiligen.
Diese Gemeinschaft kann man in verschiedener Weise auffassen und erklären, wie wir in der Heiligen Schrift sehen; wir wollen euch aber zeigen, daß man sie vor allem verstehen muß von der zweifachen Liebe, die sich viel besser erklären läßt, wenn man von ihr spricht, soweit sie Unseren Herrn betrifft, als die Geschöpfe. Es gibt 1. die Liebe des Wohlgefallens, 2. die Liebe des Wohlwollens. Durch die Liebe des Wohlgefallens haben wir Gefallen am Gut, das einer besitzt, den wir lieben; durch die Liebe des Wohlwollens wünschen wir ihm, daß er davon mehr habe. Man kann Gott auf diese zweifache Weise lieben. Das Wohlgefallen erfüllt uns mit Freude darüber, daß er unendlich, grenzenlos, von unbegreiflicher Vollkommenheit, mit einem Wort, daß er Gott ist; und wir sagen mit lebhaftem Empfinden die Worte Davids (Ps 16,2; 77,3): Ich habe gesagt: mein Gott bist du; darüber habe ich mich gefreut. Man kann also diese Liebe gegen Gott üben, aber die Liebe des Wohlwollens scheint unmöglich, da er unendlich und die Unendlichkeit selbst ist; man kann ihm nicht mehr an Heiligkeit und Vollkommenheit wünschen, als er besitzt. Er ist von unermeßlicher Größe, er überragt unendlich an Herrlichkeit die Kerubim und Serafim, die Mächte und Throne, alle Engel und himmlischen Geister; er besitzt mehr Vollkommenheit als alle Heiligen zusammen; und ihre ganze Vollkommenheit, selbst die der glorreichen Jungfrau Maria, ist nichts im Vergleich mit der des Gottessohnes. Seine Heiligkeit überragt die aller Heiligen, der Engel und der seligsten Jungfrau, und ihr Glück hängt von Gott ab, denn er ist es, der es ihnen schenkt und mitteilt. Sie können daher stets eine Vermehrung ihrer Glorie erfahren, zwar nicht wesentlich, sondern akzidentell. Die Herrlichkeit und Vollkommenheit Gottes geht von niemand aus und kann von niemand eine Vermehrung oder Minderung erfahren. Was können wir also tun, um ihn mit einer Liebe des Wohlwollens zu lieben? Wir können diese Akte nur durch die Vorstellung von etwas Unmöglichem üben, als wenn wir zu ihm sagten: wenn wir ihm mehr Herrlichkeit und Vollkommenheit wünschen könnten, als er besitzt, würden wir sie ihm wünschen und verschaffen, wenn es in unserer Macht stünde. Auf diese Weise üben wir die Liebe des Wohlwollens Unserem Herrn gegenüber.
Doch kommen wir auf uns selbst zurück und sehen wir, wie man die Gemeinschaft der Heiligen, an die wir glauben, in dieser Liebe des Wohlgefallens und des Wohlwollens verstehen kann. Wenn wir sagen: „Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen“, zeigt das, daß uns ihre Güter gemeinsam sind, d. h. daß wir an allen Gütern teilhaben, die sie im Himmel besitzen, und daß die Heiligen teilhaben an den kleinen Gütern, die wir Sterblichen hier unten haben. Glaubt nicht, daß die Seligen im Himmel sind und wir armselige Sterbliche auf Erden, das sei ein Hindernis für diese Gemeinschaft. O nein, der Tod hat nicht die Macht, diese Trennung zu bewirken. Wir alle haben ja nur ein und dasselbe Haupt, das Jesus Christus ist (Eph 1,22; 4,15; Kol 1,18). Nun sind unsere Liebe und Einheit in ihm begründet; wie könnte also der Tod die Macht haben, sie je zu zerstören? Der hl. Paulus sagte (Röm 8,35.38f): Wer wird mich scheiden von der Liebe Jesu Christi? Nicht Engel und Mächte, nicht Himmel und Erde noch Hölle wird uns trennen können von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist. Diese Liebe ist nichts anderes als die Gemeinschaft der Heiligen, und wenn wir sterben, werden wir mit ihnen enger vereint sein als mit den liebsten Freunden, die wir hier auf Erden haben.
Die Güter, an denen wir auf diese Weise teilhaben, sind unaussprechlich, sowohl wegen ihrer Großartigkeit als wegen der Unzahl der Engel und Seligen, die in der Herrlichkeit sind. Denn wie es an so vielen Stellen der Heiligen Schrift (vgl. Dan 7,10; Offb 5,11) heißt, gibt es im Himmel so viele Engel, daß ihre Zahl unfaßbar ist; wenn auch der dritte Teil davon mit Luzifer in die Hölle stürzte (es heißt ja Offb 12,4, daß er bei seinem Sturz den dritten Teil der Sterne des Himmels, d. h. der Engelsgeister, mit sich riß), so ist die Zahl jener, die treu blieben, dennoch so groß, daß sie nicht zu fassen ist. Über diese himmlischen Geister hinaus ist die Zahl der Seligen so groß, daß sie nicht gezählt werden können. Was meint ihr denn, wie viele Heilige es seit der Erschaffung der Welt bis jetzt gibt? Das kann man nicht sagen. Der hl. Hieronymus spricht von der Zahl der Heiligen, die im Himmel sind, und sagt: wenn die Kirche für alle Märtyrer ein Fest feiern wollte, gäbe es jeden Tag des Jahres 700, von denen man sicher weiß, daß sie gemartert wurden; doch wie viele gab es, die man nicht kennt! Und wenn es so viele Märtyrer gibt, wie viele Kirchenlehrer, Bekenner und andere muß es dann geben? Ihre Zahl ist unaussprechlich. Deshalb feiern wir heute das Fest aller im allgemeinen, nicht nur der Heiligen, sondern auch der Serafim, der Kerubim und aller Engel, die sich dieser Herrlichkeit erfreuen und Gott preisen für die Gnaden, die er den Seligen erwiesen hat, die wir feiern. Die Kirche nimmt an dieser Freude teil und lädt uns ein, uns dieses Festes zu freuen und den Sohn Gottes an diesem Tag ob der Heiligen zu preisen.
Um uns nun in der rechten Weise zu freuen und auf die Absicht der Kirche einzugehen, müssen wir gegen die Heiligen im Himmel die Liebe des Wohlgefallens und des Wohlwollens üben, da wir das leicht tun können. Wenn wir das himmlische Jerusalem betrachten und in ihm die heiligen Seelen sehen, die sich so großer Glorie und Seligkeit erfreuen, fern den Gefahren dieser Welt, in denen wir Sterblichen noch sind, dann müssen wir Akte des Wohlgefallens hervorbringen, uns über ihre Glorie und Seligkeit freuen und daran Wohlgefallen haben, als wenn wir selbst uns ihrer erfreuten. Dieses Wohlgefallen bewirkt die Gemeinschaft der Heiligen, denn in dem Maß, in dem wir Wohlgefallen an den Gütern haben, die sie besitzen, werden wir ihrer teilhaft. Das Wohlgefallen hat ja die Macht, das Geliebte an sich zu ziehen und sich zu eigen zu machen. Wir sehen ja tatsächlich, daß jemand der einen anderen mit dieser Liebe liebt, das Gute an sich zieht, das sich in ihm findet, denn es ist unmöglich, in dieser Weise zu lieben, ohne die Teilnahme und Gemeinschaft mit den Gütern derjenigen zu haben, die man liebt.
Die Seligen lieben Unseren Herrn; auch der Himmel ist erfüllt von dieser Liebe des Wohlgefallens; sie ist die hauptsächliche Ursache ihrer Seligkeit. Da sie die Hoheit und Vollkommenheit Gottes und alle göttlichen Attribute in ihm klar erkennen, lieben sie ihn überaus mit dieser Liebe des Wohlgefallens und eignen sich auf diese Weise seine Vollkommenheiten an. Ich habe gesagt, die Liebe des Wohlgefallens ist die hauptsächliche Ursache der Seligkeit der Heiligen, denn bei allem Respekt vor denen, die gegenteiliger Ansicht sind, glaube ich, daß die hauptsächliche Ursache der Glorie der Seligen nicht im Verstand liegt, mit dem sie Gott sehen und erkennen, sondern im Willen, durch den sie ihn mit dieser Liebe des Wohlgefallens lieben; und ich halte dafür, daß darin ihre Seligkeit besteht. Auf gleiche Weise verwirklicht sich auch die Liebe des Wohlgefallens gegen die Heiligen.
Auch die Liebe des Wohlwollens gegen sie kann sich ohne Schwierigkeit verwirklichen. Denn obwohl sie alle gesättigt und zufrieden sind in der Seligkeit, die sie besitzen, und obwohl wir ihre wesentliche Glorie nicht vermehren können, die darin besteht, Gott von Angesicht zu Angesicht zu sehen (1 Kor 13,12) und vollkommen zu lieben, können wir doch eine Vermehrung der akzidentellen Glorie bewirken und folglich die Liebe des Wohlwollens üben. Wir können für sie die Güter wünschen und ersehnen, die sie noch nicht besitzen, d. h. die Auferstehung des Fleisches, die Wiedervereinigung mit ihrem Leib, denn in dieser Wiedervereinigung besteht ein Teil ihrer Glorie; nicht zwar der wesentlichen, die der Seele eigen ist, denn sie wird durch die Auferstehung des Fleisches nicht vermehrt, wohl aber der akzidentellen, die dem Leib ebenso zukommt wie der Seele.
Die Seelen der Heiligen genießen im Himmel die wesentliche und akzidentelle Glorie, so daß sie befriedigt sind und nichts wünschen können, was sie nicht schon besitzen, außer mit ihrem Leib wieder vereinigt zu werden. Deshalb sehnen sie sich stets nach dieser Wiedervereinigung, die ihre akzidentelle Glorie abschließen und vollenden wird. Die Heiligen sind Menschen wie wir, bestehend aus Seele und Leib. Um ein ganzer Mensch zu sein, muß man eine Seele und einen Leib haben; und obwohl die Seele den Menschen ausmacht, hat Gott sie dennoch bei der Erschaffung mit einem Leib ausgestattet. Wir sagen daher, daß der Mensch aus Seele und Leib besteht; und obwohl sie der Tod voneinander trennt, der durch die Sünde in die Welt gekommen ist (Röm 5,12), hoffen wir doch und glauben „an die Auferstehung des Fleisches“, durch die unser armseliger Leib mit unserer Seele vereinigt und durch diese Wiedervereinigung an ihrer Glorie und Seligkeit oder an ihrer Pein in der ewigen Verdammnis teilhaben wird.
Die Kirche übt also an diesem Tag die Liebe des Wohlgefallens und des Wohlwollens gegen die Heiligen. Sie freut sich über die Glorie, die sie schon besitzen, beglückwünscht sie und ruft ihre Kinder zum Wohlgefallen daran auf und dazu, Gott zu verherrlichen, der sie geheiligt hat. Sie macht auch Akte des Wohlwollens, da sie ihnen die Auferstehung des Fleisches wünscht; wir sehen ja, daß sie darum in so vielen Psalmen und Liedern bittet, die der Heiligen Schrift entnommen sind. Sie will aber auch, daß alle ihre Kinder sie wünschen und darum bitten. Das tun wir jeden Tag im Gebet des Herrn oder Vaterunser; darin wünschen wir den Heiligen diese Auferstehung. Was bedeuten denn die Worte (Mt 6,20): Dein Reich komme zu uns, wenn nicht, daß wir unseren Wunsch nach der Wiedervereinigung der Seelen mit ihrem Leib vortragen? So als wollten wir sagen: Herr, dein Reich ist schon gekommen, es ist für die Heiligen bereitet, es ist für alle bereitet; und nicht nur für alle jene, die heilig sind, sondern auch für jene, die es nicht sind. (Gott wünscht alle zu retten: 1 Tim 2,4. Es ist an uns, von der Freiheit Gebrauch zu machen, die uns gegeben wurde, das Paradies zu wählen oder nicht. Das hängt von uns ab. Gott gibt uns hinreichende Gnade, dahin zu gelangen, wenn wir es wünschen.) Dein Reich komme zu uns. Es ist schon gekommen zu den Heiligen, d. h. zu den glorreichen Seelen, die im Himmel sind. Was uns betrifft, die wir auf Erden sind, ist es auch bereits zu uns gekommen. Herr, du hast uns ja die Wahl und Entscheidung darüber gelassen, und die Gerechten besitzen es bereits durch das Verlangen und die Hoffnung. Aber dein Reich komme zu uns, d. h. jenes Reich, das du geschaffen hast für die Seelen und die Leiber. Möge die Auferstehung des Fleisches geschehen, denn die Heiligen haben ihren Leib noch auf Erden, folglich sind sie noch nicht vollkommen verherrlicht. Deshalb bitten wir um die allgemeine Auferstehung, nach ihr sehnen sich jene, die im Himmel sind, und wir Sterblichen.
Außer diesen Akten des Wohlwollens, das wir gegen die Heiligen hegen, gibt es noch zwei andere, die unmittelbar von unserer Mitwirkung abhängen; durch sie können wir ihren Wünschen entsprechen und ihnen eine akzidentelle Glorie verschaffen, die sie sonst nicht haben. 1. Die Heiligen loben und verherrlichen Gott ohne Rast und Unterbrechung. Sie singen unablässig und unermüdlich einen ununterbrochenen Lobgesang. Sie preisen Gott mit einer Freude und einem Wohlgefallen voll unvergleichlicher Lieblichkeit; sie eifern und spornen sich gegenseitig an, ihn stets zu verherrlichen, aber mit einem milden, ruhigen Verlangen, das sie vollkommen befriedigt. Sie loben Gott in sich selbst und weil er Gott ist, wegen der Vorzüge, die er in sich und an sich hat, an deren Schau sie ein vollkommenes Wohlgefallen haben. Sie loben ihn auch dafür, daß er sie zu Heiligen gemacht hat; sie anerkennen, daß ihre Heiligkeit von ihm ausgeht als von ihrem Prinzip und ihrer tiefsten Ursache, und geben ihm dafür alle Ehre. Dann beglückwünschen sie sich gegenseitig, daß sie selig sind und Gott sie geheiligt hat. Sie empfinden eine einmalige Freude, wenn sie sehen, wie er sie die Wirkungen seiner großen, grenzenlosen Barmherzigkeit erfahren ließ.
Nun lieben uns die Heiligen überaus und wünschen, daß wir hier auf Erden tun, was sie im Himmel tun, d. h. daß wir unablässig und immerwährend Gott loben. Doch wenn wir sagen, sie wünschen, daß wir den Herrn wie sie loben, darf man das nicht so verstehen, daß das in allem und ganz geschieht. Sie preisen ihn ja ohne Unterlaß, unermüdlich und ohne Unterbrechung, und sie wissen wohl, daß wir das infolge der Schwachheit unserer Natur nicht zu tun vermögen. Obwohl der Lobpreis, den wir Gott weihen, stetig und unveränderlich sein muß, wird es doch mit mancher Pause sein. Es gibt ja keinen Menschen, so heilig er sein mag, der zu behaupten wagte, sein Wille sei mit dem Willen Gottes so eng verbunden, daß er nicht einen Augenblick von ihm getrennt oder durch irgendeinen Vorfall dieses Lebens abgelenkt werden könnte, noch daß einer sein Herz so aufmerksam auf das Lob Gottes halten könnte, daß es keinerlei Unterbrechung in der Übung der Liebe und des Lobpreises gäbe, die ihm gebühren.
Es gibt zahlreiche Stellen und Sätze in der Heiligen Schrift, die das von uns zu verlangen scheinen. Die einen sagen: Lobt Gott immerwährend (vgl. Ps 34,1; 35,28); an anderen Stellen: Gott werde Tag und Nacht gepriesen (vgl. Ps 1,2; 19,3; 42,9); das muß man aber so verstehen. Die Kirche erwartet ebenso wie die Heiligen nicht, daß wir den Herrn immer ohne Unterbrechung loben, noch weniger, daß wir die ganzen Nächte und den ganzen Tag im Gebet verbringen; „stets“ bedeutet vielmehr, daß wir es verrichten, sooft wir können, daß wir unser Herz oft zu ihm erheben, daß wir ihn einige Zeit der Nacht und des Tages preisen, wie es in der Kirche geschieht. Zu allen Stunden des Tages und der Nacht gibt es Menschen, die Gott loben und verherrlichen.
Die Heiligen wünschen also, daß wir auf Erden Gott verherrlichen, wie sie es im Himmel tun, allerdings entsprechend unserer Verfassung und der Reichweite unseres Geistes; daß wir singen und wünschen, alle möchten mit ihnen singen: Heilig, Heilig, Heilig (Jes 6,3; Offb 4,8), und alle möchten ihren Wünschen entsprechen. Wenn wir nun solche Wünsche haben, bewirken wir ihnen eine akzidentelle Glorie; die hätten sie nicht, wenn wir Gott nicht verherrlichen und wenn wir nicht wünschen, daß alle es tun. Nachdem wir aber diesem Wunsch der Heiligen entsprochen haben, uns den Herrn preisen zu sehen, müssen wir auch sie selbst beglückwünschen, daß sie Heilige sind, und Gott in ihnen preisen. Die heilige Kirche tut dasselbe, wenn sie ihre Feste feiert: sie preist Gott in ihnen (vgl. Ps 150,1). Wer nämlich das Fest aller Heiligen zu ihrer Ehre feiern wollte und nicht zur Ehre Gottes, der täte nichts, was Gott und auch den Heiligen selbst wohlgefällig ist, weil sie keine Ehrung annehmen können, wenn sie nicht den Herrn in ihnen und sie in ihm verherrlicht sehen.
Ein weiterer Akt des Wohlwollens, das wir den Heiligen gegenüber üben können, besteht darin, ihrem Verlangen zu entsprechen, daß wir Heilige werden wie sie. Wenn wir diesem Wunsch entsprechen, verschaffen wir ihnen eine Vermehrung der Glorie. Wenn wir trachten, uns mehr und mehr zu vervollkommnen, die Heiligung anderer zu fördern, indem wir unsererseits alles dazu beitragen, was wir können, wenn wir wünschen, alle möchten Gott loben und preisen, da alle es tun können und müssen, daß alle Heilige werden, da alle es sein können, dann verschaffen wir den Seligen eine akzidentelle Glorie, die sie sonst nicht haben. So also verwirklicht sich die Gemeinschaft der Heiligen durch die Liebe des Wohlgefallens und des Wohlwollens.
Es gibt noch eine andere Liebe, das ist die Liebe der Nachahmung. Dazu ist es notwendig, daß man Sympathie mit denen hat, die man liebt. Doch was bedeutet Sympathie? Die Weltleute verstehen das gut, doch ihr, die ihr nicht von der Welt seid, werdet es vielleicht nicht verstehen, wenn ich es euch nicht sage. Die Sympathie ist eine gewisse Teilnahme an den Leidenschaften jener, die wir lieben. Die Liebe der Nachahmung bewirkt, daß wir in uns die Tugenden oder Laster annehmen, die wir an ihnen sehen. Die Sympathie bewirkt, daß der Zornige eine Zuneigung zum Zornigen hat, der Stolze und Anmaßende zum Stolzen und Anmaßenden. Die Leidenschaft der Liebe ist die erste und stärkste in der Seele; daher kommt es, daß die Liebe uns dermaßen zu eigen macht, was wir lieben, daß wir allgemein sagen, die Güter der geliebten Sache gehören mehr dem Liebenden als dem, der sie besitzt. Das also ist Sympathie.
Sie ist die Ursache, daß viele Weltleute große Schwierigkeiten haben, bestimmte Laster abzulegen, denen sie unterworfen sind. Sagt einem, es sei ratsam, daß er sich vom Zorn oder vom Stolz bessere oder daß er einen Ehrbegriff aufgebe, in den er so vernarrt ist, daß er sogleich aufbraust, wenn man an sein Ansehen rührt (das ist etwas, worauf die Menschen dermaßen eifersüchtig bedacht sind, daß es scheint, sie seien nur dazu geboren, sich Achtung, Lob und Liebe zu verschaffen; so verwendet man auch seine erste Sorge darauf, Ehrungen und Ansehen bei allen zu gewinnen). Sagt also solchen Leuten, man müsse etwas gegen dieses Laster tun; was wird man euch antworten? Das liegt in meiner Art, das ist die Sympathie mit meinem Vater; er war jähzornig und liebte die Ehre wie ich. Eine schöne Begründung! Das ist, als sagte dir einer: Dein Vater war dumm, du mußt es also auch sein, denn daran wird man erkennen, daß du mit ihm verwandt bist. Wenn wir auch gesagt haben, daß diese Liebe der Nachahmung von einer gewissen inneren Verwandtschaft miteinander kommt, darf man dennoch nicht meinen, daß sich solche, die nach menschlicher Ehre und nach Ruhm streben, jenen besser angleichen, die jähzornig und stolz sind, als solchen, die es nicht sind. O nein, denn die Ehrgeizigen wetteifern stets, wer von ihnen mehr Ehre und anderes dergleichen habe, denn jeder möchte seinen Nebenmann übertreffen. Sie sind sich aber ähnlich und man sagt tatsächlich: Die zwei Menschen sind einer so jähzornig wie der andere; und sie begegnen sich gern und ergreifen die Gelegenheit, um ihre Tapferkeit zu zeigen, sich zu übertreffen. So spricht die Welt.
Daß uns die Liebe denen ähnlich macht, die wir lieben, das ließe sich nun an tausend Beispielen zeigen. Die Väter lieben ihre Kinder, ganz besonders aber, wenn sie ihnen gleichen oder irgendeinem ihrer Vorfahren. Sie betrachten sich in ihnen wie in einem Spiegel und gefallen sich darin, in ihnen ihre Art, ihre Gesichtszüge und ihre Haltung verkörpert zu sehen. Die Griechen liebten ihren Kaiser so sehr, daß sie wünschten, ihre Kinder möchten seiner Person gleichen; deshalb trachteten sie, ihr Aussehen, wenn sie zur Welt kamen, soviel als möglich dem ihres Kaisers anzugleichen.
Um also das Fest der Heiligen recht zu feiern, muß man sie lieben mit einer Liebe der Nachahmung, des Wohlgefallens und des Wohlwollens. Durch die Liebe der Nachahmung machen wir uns ihnen ähnlich, indem wir ihr Leben nachahmen, indem wir lieben, was sie geliebt haben, tun, was sie taten, und auf dem Weg zum Himmel zu gehen trachten, dem sie gefolgt sind, um dahin zu gelangen. Das stellt uns die Kirche heute vor Augen, wenn sie uns im Evangelium der heiligen Messe die Rede vorträgt, die Unser Herr auf dem Berg gehalten hat (Mt 5,1-12), in der er von acht Seligkeiten spricht. Darin heißt es, daß er sich setzte, seinen Mund auftat und sprach: Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich; selig sind die Sanftmütigen; selig, die weinen; selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich, und so die übrigen. Nun bemerkt das Evangelium nicht ohne Grund, daß er seinen heiligen Mund auftat, um uns zu zeigen, daß seine göttliche Güte uns etwas Großes sagen und eine Lehre verkünden wollte, die man noch nicht vernommen hatte. Er wandte sich an die Apostel, um deutlich zu machen, daß er vor allem für sie und ihre Nachfolger die erste und die letzte Seligkeit verkündete: Selig die Armen im Geiste, selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen. Sie müssen ja diese Armut in besonderer Weise üben und viele Verfolgungen erleiden als Menschen, die Unserem Herrn in besonderer Weise angehören. Dann schaute er das übrige Volk an und sagt: Selig, die weinen, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, die rein und lauter von Herzen sind. Damit zeigt er, daß diese evangelischen Räte nicht nur für die Apostel gelten, sondern für alle, da alle Buße tun müssen, alle rein und lauter von Herzen sein müssen. Schließlich: selig die Sanftmütigen.
Von diesen Seligkeiten haben nun die Menschen tausend Auslegungen gemacht. Die einen meinten, wenn der Heiland sagt: Selig die Armen im Geiste, wollte er von denen sprechen, die einfältig sind und kaum Intelligenz besitzen. Ich leugne nicht, daß solche Leute leicht glücklich sind; trotzdem hat Jesus Christus nicht in diesem Sinn verkündet: Selig die Armen im Geiste. Er wollte vielmehr von der Armut sprechen, die er selbst übte und die jene übten, die alles aufgegeben und freiwillig alle Unbequemlichkeiten auf sich genommen haben, die daraus folgen. Davon ist weit entfernt, wer keinen Mangel leiden will und die Ehre beansprucht, arm zu sein, obwohl ihm nichts mangelt. Die Armut ist ehrenwert, und es gab sogar heidnische Philosophen wie Sokrates und Epiktet, die sich rühmten, arm zu sein. Manche wollen die Armut wählen, weil sie alles haben, was sie brauchen. Das sind aber nicht die Armen im Geiste, von denen Unser Herr spricht, denen er das Himmelreich verspricht.
Nachdem unser göttlicher Meister diese Seligkeiten verkündete, hat die Welt andere verkündet und hat gesagt: Glückselig die Reichen, denn der Reichtum bewirkt, daß man nichts nötig hat, daß man geehrt wird, daß man die Prozesse gewinnt. Mit einem Wort, die Reichen sind glücklich, denn sie brauchen niemand und jeder ist von ihnen abhängig. Glücklich jene, die keine Barmherzigkeit üben, die hüten, was sie haben, ohne sich darum zu kümmern, den Armen zu dienen, sondern nur darauf bedacht sind, Besitz auf Besitz zu häufen und niemand etwas zu geben, aus Furcht, ihn zu vermindern. Glücklich jene, die nicht weinen, sondern sich ergötzen und Kurzweil haben, denn Tränen sind langweilig. Selig, die sich rächen. Kurz der Weltgeist steht ganz im Gegensatz zum Geist Gottes. Aber die Apostel und jene, die sie genau nachahmten, haben die Armut im Geiste im Sinn Unseres Herrn geübt, denn sie haben alles verlassen, um ihm nachzufolgen (Mt 19,27), und haben viel Ungemach ertragen, das den Armen gewöhnlich zustößt. Nach der Herabkunft des Heiligen Geistes zogen sie aus, um das Evangelium zu verkünden; doch das geschah nicht, um Geld zu verdienen, Bezüge und Einkünfte, sondern sie lebten von Almosen, die sie von einem Tag zum anderen bettelten. Der hl. Paulinus, Bischof von Nola, gab nach dem Beispiel des hl. Paulus alles, was er besaß, den Armen, und nicht zufrieden damit, gab er sich selbst hin, um die Gefangenen loszukaufen.
Und wie groß war die Armut des großen Apostels! Nachdem er aus Liebe zu seinem Meister alles verlassen hatte, wollte er den Korinthern und anderen umsonst dienen. Nachdem er gepredigt, für das Evangelium und, um den Weg zum Heil zu zeigen, Schweiß vergossen und gelitten hatte, wollte er in der Tat nicht von den Almosen der Christen leben, sondern von der Arbeit seiner Hände und im Schweiß seines Angesichts; er arbeitete ja, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und sagte: Um zu zeigen, wie sehr ich meinen Meister liebe, dem zuliebe ich euch diene, und daß ich die Mühe nicht auf mich nehme, um mich an euren Mitteln zu bereichern, sondern rein aus Liebe zu Ihm, dem ich diene, will ich nicht, nachdem ich euch zu eurem Heil verholfen habe, daß ihr mich mit euren Almosen ernährt, wie ihr es bei den anderen Aposteln getan habt; ich will vielmehr meinen Lebensunterhalt im Schweiß meines Angesichts verdienen und euch umsonst dienen und euch auf diese Weise alles geben, was ich habe. Er sagt, alles, was ich habe, denn was er verdiente, gehörte ihm. Trotzdem legte er nichts davon in die Sparbüchse, sondern verwendete es nur für seinen Unterhalt. Er ging noch weiter und wollte selbst geopfert werden (2 Kor 12,15). Ich will mich nicht nur selbst für euer Heil aufopfern, sagte er, sondern was mehr ist, ich will mich durch andere opfern und verkaufen lassen. Ich will mich z. B. nicht nur geißeln, sondern will es leiden, daß andere mich geißeln. Wenn ich mich nämlich ganz allein geißelte, läge es in meiner Macht, sobald ich genug davon habe, aufzuhören und nicht weiter zu gehen; wenn ich mich aber von anderen nach ihrem Belieben geißeln lasse, werden sie nicht zu schlagen aufhören, wenn ich schon ganz zerschlagen bin. Ich will also für euer Heil, meine lieben Kinder, geschlagen, gegeißelt, gefesselt und eingekerkert werden, nicht durch mich selbst, sondern durch die anderen und nach ihrem Belieben. So gebe ich alles für euch, was ich habe, ohne meinen Leib und meine Haut auszunehmen.
Das ist eine vollendete Armut; sie ist von der Art, von der Unser Herr gesagt hat: Selig die Armen im Geiste. Viele Heilige haben sie sehr genau geübt und haben sich ihr so liebevoll gewidmet, daß sie freudig die Beschwerden und Unbilden erlitten, die sie begleiten. Was meint ihr denn, was unsere frühen Väter mit solcher Sanftmut die Härte der Wüste ertragen ließ, daß es ihnen als Kleinigkeit erschien, wenn nicht diese Armut, die sie so zärtlich liebten wie sonst nichts? War nicht der hl. Franziskus in sie so verliebt wie ein junger Mann in seine Braut, die er glühend liebt? So nannte er sie auch seine Frau und war stets auf sie bedacht, um ihre Unbilden zu erleiden und an ihnen seine Wonne zu haben. Alle Heiligen sind in den Himmel gekommen durch die Armut im Geiste, durch Tränen, durch die Barmherzigkeit, durch Hunger und Durst nach Gerechtigkeit und andere Seligkeiten. Daher legt uns die Kirche an ihrem Festtag diese Seligkeiten vor und lädt uns ein, ihnen zu folgen und in ihre Fußstapfen zu treten. Bemüht euch also treu in diesem Leben, meine lieben Töchter, und seid beharrlich bis ans Ende (Mt 10,22; 24,13), damit ihr mit den seligen Geistern in dieser Seligkeit versammelt und vereinigt werden könnt, um Gott zu lieben und euch die ganze Ewigkeit seiner zu erfreuen. Amen.
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